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Ausgabe:

1979

Spalte:

289-294

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Döpmann, Hans-Dieter

Titel/Untertitel:

Die Russische Orthodoxe Kirche in Geschichte und Gegenwart 1979

Rezensent:

Schulz, Günther

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289

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 4

290

Kirchen- und Konfessionslcunde

Döpmann, Hans-Dieter: Die Russische Orthodoxe Kirche in Geschichte
und Gegenwart. Berlin: Union Verlag [1977]. 375 S.
m. 48 Taf. 8°. Lw. M 15,-.

Das hier zu rezensierende Buch ist mit Verständnis und Gespür
für den besonderen Weg der größten unter den orthodoxen Kirchen
geschrieben. Der Autor, Professor für Kirchengeschichte und Kirchenkunde
der Orthodoxie an der Sektion Theologie der Humboldt-
Universität zu Berlin, legt eine umfassende Darstellung der Russischen
Orthodoxen Kirche (ROK) vor, die sich bewußt auch auf
die ökumenischen Beziehungen zwischen der ROK und den Kirchen
in der DDR bezieht (7, 291).

Kontakte zwischen Christen und Kirchen in der DDR und
der ROK, zumeist durch das Exarchat des Moskauer Patriarchats
für Berlin und Mitteleuropa mit Sitz in Berlin-Karlshorst
vermittelt, hat es schon seit langem gegeben. Nach Gründung des
Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (1969) intensivierte
sich der Austausch. 1972 besuchte die erste offizielle Delegation
do3 Kirchenbundes mit den Bischöfen D. Schönherr, Dr.
Krusche und Dr.Rathke die ROK. Im folgenden Jahr fand der
Gegenbesuch der ROK unter dem Metropoliten Juvenalij, dem
Leiter des Außenamtes der ROK, bei den Kirchen in der DDR
statt. 1974 begannen theologische Gespräche zwischen autorisierten
Vertretern beider Kirchen, nach dem ersten Tagungsort Za-
gorsker Gespräche genannt. Inzwischen hat Zagorsk III in Kiew
stattgefunden. Kontakte zur ROK nahm auch die Katholische
Kirche in der DDR auf. Pfingsten 1974 besuchte Kardinal Bongsch
den Patriarchen von Moskau und ganz Rußland, Pimen. Es folgten
Reisen katholischer Hiorarchen nach Moskau und in die baltischen
Sowjetrepubliken.

Der Autor, der zum 16. Jh. eine Spezialstudie vorgelegt: hat
(Der Einfluß der Kirche auf die moskowitische Staatsidee. Staatsund
Gesellschaftsdonken bei Josif Volockij, Nil Sorskij und Vas-
sian Patrikeev, Berlin 1967 - vgl. ThLZ 93, 1968 Sp.857ff.)., verarbeitet
in dem vorliegenden Buch sachkundig und kenntnisreich
eine Fülle von Material, auch durch eine Bibliotheksreise zu den
Geistlichen Akademien in der Sowjetunion erschlossen, zu einem
eindrücklichen und überschaubaren, weil in sich deutlich strukturierten
Ganzen. Ihre innere Ordnung gewinnt die Darstellung dadurch
, daß der Autor bestimmte Themen der russischen KG von
den Anfängen bis in die Gegenwart hinein verfolgt. So hat der Titel
des Büches - in Anspielung auf „Die Religion in Geschichte und
Gegenwart" - eine enzyklopädische Intention. Dieser Intention
wird das Buch auch gerecht.

So stellt der Autor etwa die Geschichte des Mönchtums von seiner
Entstehung aus byzantinischen (9) und russischen Ansätzen
her(10./ll.Jh.,21)über seine Blüte in der Tatarenzeit (13./14.Jh.)
in der Gestalt und dem Wirken des Sergij von Radonez (42-45),
die verschiedenen monastischen Konzeptionen bei Josif Volockij
(koinobitisch) und Nil Sorskij (skotisch, sinaitisch-hesychastisch),
den Kampf um den Landbesitz der Klöster im 16. Jh. (63-65), die
Schwierigkeiten unter Peter dem Großen (117ff.), die Säkularisierungswolle
unter Katharina II (129), die Blüte des Starzentums
des 19. Jh. in Spiritualität, Seelsorge und Wissenschaft, die Diskussion
um die Rolle des Mönchtums in Kirche und Gesellschaft im 19.
und 20. Jh. (161 f., 233) bis hin zu einer Skizze über die Lage des
Mönchtums in der Gegenwart, eine Aufzählung der Klöster eingeschlossen
(273ff.), dar.

Die Beschreibung der psycho-physischen Gebetsmethode des
Hesychasmus und des Jesusgebetes schon bei Nil Sorskij (62),
hätte das Verständnis späterer Partien erleichtert (137, 161). Was
die Besitzlosen angeht, so hat sie Nil Sorskij beeinflußt, aber nicht
begründet. Vassian Patrikeev erscheint uns immer mehr als der
klassische Besitzlose, Maksim Grek hat sich in der Frühzeit zusammen
mit den Josefiten für den Landbesitz der Klöster ausgesprochen
. Auch Artemij ist in der Landfrage zurückhaltend. Vom
geistigen Gebet hebt er auf das Tun der Gebote mit Bezug auf
Basileios den Großen ab. Die Gebote Christi macht er zum materia-
lon Kanon seines interessanten Schrift- und Traditionsverständnisses
. Wo Väter und Kanones den Geboten Christi nicht entsprechen
, verwirft sie Artemij als unverbindlich. So findet sich nicht so
sehr bei Nil als vielmehr bei Artemij eine theologisch begründete
Traditionskritik, eine informativer Vorgang innerhalb orthodoxer
Theologie (vgl. Schulz, G., Die theologiegeschichtliche Stellung des
Starzen Artemij innerhalb der Bewegung der Besitzlosen im Rußland
der ersten Hälfte des 16. Jh., Theol. Diss., Greifswald 1970>
Masch.).

Andere Grundthemen des Buches sind die in der Frühzeit eng
mit dem Mönchtum verbundene theologische Ausbildung, Bibelübersetzung
und Theologie. Da das Buch sich zu Recht intensiv
den Schicksalen der Orthodoxie in der Ukraine und Weißrußland,
in Polen/Litauen widmet, wird die vermittelnde Funktion der
Ukraine im 16.-18. Jh. zwischen östlichem und westlichem Christentum
sehr deutlich. Petr Mogila (gestorben 1647) und die Kiewer
Akademie, die erste orthodoxe theologische Hochschule in Rußland
, vermitteln ein an Jesuitenschulen ausgerichtetes pädagogisches
System, die scholastische Theologie und viele, auch slawische
Drucke (88-92, 105). Erst im 18./19. Jh. kann sich eine auf orthodoxe
Quellen und die russische Sprache zurückgreifende Theologie
und Ausbildung durchsetzen. Sie hat starke Auswirkungen
auch auf das säkulare Schul- und Universitätswesen (107, 120, 131,
133, 136, 149, 158, 162, 2031'.).

Die Beziehungen zum Pietismus werden z.T. direkt, z.T. über
die Ukraine (Todorskij) geknüpft. In die Auseinandersetzung zwischen
Prokopovic und Javorskij Anfang des 18. Jh. greifen deutsche
Theologen, Johann Franz Buddeus und Johann Lorenz Mosheim
, ein. Durch die Non-Jurors nimmt man Beziehungen zur
anglikanischen Kirche auf. So wird orthodoxe Ausbildung und
Theologie seit dem 17./18. Jh. im europäischen Horizont und im
Gespräch mit anderen Konfessionen getrieben. Ein Musterbeispiel
dafür ist die Geschichte der Übersetzung und des Druckes der
kirchenslawischen Bibel.

Für die Orthodoxen in Polen/Litauen erschien 1491 in Krakau
der Psalter (86). Erzbischof Gennadij ließ im Kampf mit den
Judaisierenden 1499 eine Ubersetzung der noch fehlenden Teile
der Bibel ins Kirchenslawische herstellen und schuf so einen vollständigen
Kodex der kirchenslawischen Bibel, der freilich zunächst
nicht gedruckt wurde (177). Der aus Weißrußland stammende
Krakauer Doktor der Medizin Franz Skorina (gestorben etwa 1541)
ließ in der Hauptstadt Böhmens seine Ubersetzung von 23 Büchern
des AT ohne den schon gedruckten Psalter erscheinen (96). Skorina
benutzte die Vulgata und die tschechische Bibelübersetzung. In
Wilna folgten seit 1525 der Apostolos und andere Bücher. In der
von Ivan IV. eingerichteten ältesten Moskauer Druckerei des Ivan
Fedorov erschien 1564 der russische Erstdruck des Apostolos. In
Polen war kurz zuvor 1561 in Krakau die römisch-katholische,
1563 in Brest die protestantische polnische Bibelübersetzung erschienen
. Durch diese polnischen Ubersetzungen herausgefordert
und angeregt, wurde unter Protektion des orthodoxen Fürsten
Konstantin II. von Oströg 1581 als erste kirchenslawische Vollbibel
die Ostroger Bibel gedruckt. Sie beruht auf der noch ungedruckten
Genadijbibel, Texten Skorinas sowie Handschriften aus
Griechenland, Serbien und Rom. Die Gesamtbibel aus Polen/
Litauen wurde auch im Moskauer Staat benutzt und 1663 nachgedruckt
(Moskauer Bibel). Die heute in der ROK benutzte kirchenslawische
Bibel ist die Elisabethbibel von 1751 mit leichten
Verbesserungen von 1756 und vom Ende des 19. Jh. Sie beruht auf
der Ostrogerbibel und eigenen Übersetzungen seit Peter dem Großen
(134).

Die auch noch heute in der ROK verwendete russischo Bibel
basiert auf Ubersetzungen des 19. Jb., speziell der Synodalgesamtausgabe
von 1876 (150-152). Leider erwähnt Döpmann die an der
Leningrader Geistlichen Akademie laufenden Arbeiten an einer
Übersetzung der Bibel in das moderne Russisch nicht (vgl. Zurnal
Moskovskoj Patriarchii 9/1974, 7Sff. u. öfter; Bogoslovskie Trudy
XIV). Die heutige theologische Ausbildung vollzieht sich an zwei
Geistlichen Akademien und drei Seminaren mit z. T. großen Bibliotheken
(Leningrad mehr als 200000 Bände) und einem komplexen
Angebot moderner theologischer Zeitschriften aus vielen Ländern.
An der Moskauer Geistlichen Akademie und dem Seminar in Za-