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Ausgabe:

1979

Spalte:

278-279

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Henricus de Frimaria, Der Traktat Heinrichs von Friemar über die Unterscheidung der Geister 1979

Rezensent:

Ernst, Wilhelm

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277

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr.4

278

Bewegung" umfaßt einen Abriß derjenigen Gruppen, mit denen
Franziskus samt seiner ursprünglichen Bruderschaft in eine Reihe
gehört, von denen er sich aber auch charakteristisch abhebt. Insbesondere
werden Katharer, Humiliaten und Waldenser einschließlich
ihrer Ausläufer skizziert. Mit Ausnahme der Katharer, die
nicht christlich, sondern „neugnostisch-dualistisch" (34) sind, erweisen
sich die dargestellten religiösen Bewegungen des Mittelalters
als Versuche, zum ursprünglichen christlichen Ethos zurückzukehren
(mit deutlich sozialer Akzentuierung), und zugleich als
Ausdruck einer neuartigen, vom frühbürgerlichen Lebensgefühl
gespeisten Frömmigkeit, die sich jedoch - weil sie in hohem Maß
die ärmeren Schichten ergreift - auch gegen das bürgerliche Gewinnstreben
richtet (79). Dabei „mußte sich das Interesse auch der
menschlichen Seite des Lebens Jesu zuwenden" (80). „Nicht nur
der am Kreuz sterbende Gottessohn, sondern das vorbildliche Reden
und Handeln des irdischen Jesus, wie es besonders die synoptischen
Evangelien anschaulich darstellen", wurde für diese religiösen
Gruppen von Interesse und lenkte ihre Aufmerksamkeit „auf
die Armut und Selbstverleugnung Jesu als Ansporn zu wahrhaft
christlichem Leben" (81). Demgegenüber schwindet zeitweise der
„Sinn für das sakramentale Leben gerade in dem von der offiziellen
Kirche gelehrten und praktizierten Sinn" (81). Erst auf diesem
religiösen und gesellschaftlichen Hintergrund erschließen sich Leben
und Werk des Franziskus.

Der zweite Teil „Franziskus von Assisi und die ursprüngliche
franziskanische Bruderschaft" bildet den eigentlichen Kern der
Monographie. Dankenswerterweise widmet der Vf. der Quellenlage
gebührende und kritische Aufmerksamkeit. Dabei verleiht er einer
Forderung Nachdruck, die Lilly Zarncke (Der Anteil des Kardinals
Ugolino an der Ausbildung der drei Orden des heiligen Franz,
Leipzig/Beilin) bereits 1930 erhob: nämlich Methode und Ergebnisse
der formgeschichtlichen Arbeit auch auf die Franziskus-
Legenden anzuwenden. Indem der Vf. die unterschiedlichen Intentionen
der Quellen hervorhebt, gibt er selbst etliche redaktionsgeschichtliche
Fingerzeige. Die ausführliche Darstellung des Franziskus
und seiner Bruderschaft kann hier nicht referiert, sollte aber
um so sorgfältiger gelesen werden. Sie ist im Hinblick auf Motive
und Motivationszusammenhänge ausgesprochen erhellend - ob es
sich nun um Buße und Freude bei Franziskus, um den Zusammenhang
zwischen Arbeit und Bettel, um die Absage an die Welt, nicht
an die Schöpfung, um das Naturverständnis oder worum auch
immer handelt. Unzulässige Versuche der Modernisierung, wie sie
im Hinblick auf Franziskus nicht eben selten sind, werden sorgfältig
vermieden. Bei aller Radikalität war er kein Revolutionär.
„Er besaß keinen Plan für eine Reform der Gesellschaft, erwartete
auch durchaus nicht von allen Menschen, daß sie sich seine Lebensweise
voll zu eigen machten ... Er hatte nicht das Bestreben, die
Armut und das Elend zu beseitigen. Auch die bestehende Staatsgewalt
negierte er nicht, brachte ihr wohl überhaupt wenig Interesse
entgegen ... Ähnlich wie im Urchristentum bestand die kritische
Infragestellung der Gesollschaft hier darin, sie durch die eigene
Lebensweise gegenstandslos zu machen oder innerhalb ihrer doch
ein korrigierendes Vorbild aufzustellen" (167f). Die Absicht, einen
Mönchsorden zu gründen, lag Franziskus fern. Nicht ordo, sondern
charismatische fraternitas schwebte ihm vor. Sie suchte er zu verwirklichen
.

Demgegenüber schildert der dritte Teil den „Beginn der Umbildung
der minoritischen Bruderschaft in den Bettelorden der Franziskaner
". Die führenden Rollen bei diesem Vorgang spielen der
Kardinalprotektor Ugolino von Ostia, durch den die Kurie entscheidenden
Einfluß auf das Franziskanertum nimmt, und der
Generalminister des Ordens, Elias von Cortona. Notwendig wurde
die Wandlung dadurch, daß einerseits der ursprüngliche Enthusiasmus
in der Bruderschaft erschlaffte und andererseits die Gefahr
einer Verwechslung mit häretischen Gruppen wuchs. Begünstigt
wurde sie durch den unbedingten Willen zur Rechtgläubigkeit und
zur Unterwerfung unter die kirchliche Autorität bei Franziskus.
Er stellt die Kirche nicht in Frage, seine Kirchenkritik bleibt
systemimmanent (312). „Der Kardinalprotektor war ihm der
Garant für die Katholizität der Brüder. So konnte der kirchensprengende
Charakter seines evangelischen Ansatzes nicht zur
Auswirkung gelangen" (311). Nach der päpstlichen Bestätigung
der Regel von 1223 fregula bulluta) schwindet der Einfluß des

Franziskus auf die Ordensentwicklung völlig. Freilich: „Die Kurie
und die Ordensleitung hatten schwerwiegende Gründe, für ihren
.realistischeren' Kurs, und hätten sie sich nicht des Ordens angenommen
, so wüßten wir heute vielleicht nicht einmal seinen Namen
... Die radikale Jesusnachfolge im Sinne von Franz läßt sich
in keiner geschichtlichen Periode institutionalisieren... Es ist
heute wie je unmöglich, im Geiste des Franziskus eine Gesellschaft
aufzubauen. Entscheidend ist, seine Grundintentionen aufzunehmen
und weiterzuführen - nicht in falscher Beschränkung auf die
,Idee', sondern in konkretem, zeitentsprechendem Tun" (344).

Das Buch entwirft - gerade weil es der soliden Forschung treu
bleibt - kein überraschend neues Bild des Mannes aus Assisi.
Manche traditionell mitgeschleppten Details werden korrigiert.
Ob die Auskunft über die Stigmata des Heiligen (333-337) den
Tatsachen voll gerecht wird, mag dahingestellt bleiben. Die sechzehn
Bildbeigaben zu dem Band bilden eine willkommene Ergänzung
, ihre Auswahl ist nicht zwingend. Kein aufmerksamer Leser
dürfte das Buch ohne Gewinn an Einsichten, Wissen und Verständnis
aus der Hand legen. Daß es so lesbar geschrieben ist, wird er
hoffentlich zu schätzen wissen.

Moritzburg Joachim Dachsei

Warnock, Robert G., u. Adolar Zumkeller OSA [Bearb.]: Der Traktat
Heinrichs von Friemar über die Unterscheidung der Geister.

Lateinisch-mittelhochdeutsche Textausgabe mit Untersuchungen
. Würzburg: Augustinus-Verlag 1977. VIII, 279 S. gr. 8° =
Cassiciacum, XXXII. Kart. DM 98,-.

Heinrich von Friemar der Ältere, 1305 in Paris zum Magister
promoviert, vor dieser Zeit und nachher bis zu seinem Tod
(|18.10.1340, Grab urkundlich bezeugt in der Augustinerkirche
zu Erfurt) am Generalstudium der Augustiner in Erfurt tätig, verfaßte
im ersten Viertel des 14. Jh. (möglicherweise bereits im ersten
Jahrzehnt) mit seinem Traktat „De quattuor instinctibus" als
erster Gelehrter des Mittelalters (abgesehen von der kurzen Darstellung
des hl. Bernhard in seinem „Sermo 23 de diversis") eine
thematische Schrift über die „Unterscheidung der Geister". Sie
fand im ausgehenden Mittelalter eine außergewöhnliche Verbreitung
(von Schweden bis nach Südfrankreich und von England bis
nach Ungarn) und wurde in dieser Zeit zum meist gelesenen Werk
über diese Materie.

Der Traktat ist nach A. Zumkeller im lateinischen Urtext, einschließlich
der Abbreviationen, in mehr als 150 Manuskripten aus
dem 14. und 15. Jh. und in ältesten Druckausgaben (seit 1498)
erhalten geblieben.

Neben der lateinischen (wohl vornehmlich für Gelehrte bestimmten
) zeugen die aus dem 15. Jh. stammenden volkssprachlichen
(nach R. G. Warnock hauptsächlich - aber nicht nur - in Frauenklöstern
verwendeten), mit 31 frühen deutschen und niederländischen
Manuskripten und einem Frühdruck erhaltenen Fassungen
des Traktats „von den Einsprechungen" von einer beachtlichen
Popularität der Friemarschen Texte.

Die beiden Bearbeiter des vorliegenden Werkes, A. Zumkeller als
Mediävist, der die Untersuchungen zu den lateinischen Manuskripten
und die kritische lateinische Edition besorgt hat, und R. G.
Warnock als Germanist, der die übersetzten Manuskripte untersucht
und die kritische volkssprachliche Edition vorgenommen hat,
konnten sich somit für ihr gemeinschaftliches Unternehmen der
Herausgabe einer möglichst an die Urtexte heranreichenden lateinisch
-mittelhochdeutschen Textfassung auf eine breite Textgrundlage
stützen.

Verfasserfrage, Abfassungszeit und -ort, wozu A. Zumkeller Stellung
nimmt und wofür er innere und äußere Kriterien anführt,
dürfton, den oben gegebenen Daten entsprechend, annähernd geklärt
sein, wenn auch aus den Texten selbst kein eindeutiger Beweis
dafür zu erbringen ist.

Die Arbeit der beiden Autoren zur Untersuchung der Texte wie
zur Edition ist enorm und gibt Zeugnis von hoher Sachkenntnis
.

Nach einem Aufweis sämtlicher z. Zt. erreichbarer Manuskripte
prüft A. Zumkeller für die lateiuischo Edition 27 Handschriften,