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Ausgabe:

1979

Spalte:

247-249

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Das Vaterbild in Mythos und Geschichte 1979

Rezensent:

Lohmann, Theodor

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr.4

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bleiben hier ebenso Fragen offen wie bei den von Meinhold und
Hutten herausgestellten Kriterien. Gegenüber Huttens Klassifizierung
nach sechs Grundtypen weist Heyer richtig darauf hin,
daß manche Gemeinschaften von einem Typ zum anderen hinüberwechselten
. Er verkennt nicht, daß sich in manchen Gruppen
Momente bewahrt haben, die in den großen Kirchen vernachlässigt
worden sind oder in Vergessenheit gerieten und folgt der Beobachtung
von Karl Rahner, „daß es heute statt zu häretischen Bildungen
außerhalb der Kirche zu Häresien innerhalb ihrer komme"
(686).

Es wird darauf hingewiesen, daß die Beurteilung der „Sekten"
in der vorhandenon Literatur und seitens verschiedener Konfessionen
nach dem je unterschiedlichen Kirchen Verständnis von ganz
unterschiedlichen Maßstäben ausgeht. Man wird berücksichtigen
müssen, daß manche zunächst als sektiererisch geltende, einen
Protest gegen kirchliche Versäumnisse artikulierende Abspaltung
im Laufe der Entwicklung zur eigenen Kirchbildung geführt hat.
Auch ließe sich am Beispiel der S.692 erwähnten Aufhebung des
Anathemas über die russischen Altgläubigen seitens des Moskauer
Patriarchats im Jahre 1971 zeigen, daß damit diese „Sekten" faktisch
in höherem Maße als Kirche gewertet werden als die Kirchen
der Reformation. Schließlich zeigt die von Heyer angesprochene
Anerkennung der Taufe sowie die durch die Basis des ORK gegebene
, im Weltrat und anderen Zusammenschlüssen praktizierte
Gemeinschaft, daß nicht nur in der ökumenischen Arbeit, sondern
auch für die Konfessionskunde die Aufgabe weiteren Nachdenkens
über die bisherigen Verhältnisbestimmungen besteht.

Das abschließende Kapitel „Oekumenische Bewegung und Oeku-
menischer Rat der Kirchen" (785-838) umreißt die Geschichte der
ökumenischen Bewegung, der Einheitsvorstellungen sowie der
Rolle und Funktion des ORK und bietet damit den unmittelbaren
Anknüpfungspunkt für die ökumenik. Alle Kapitel sind mit Literaturhinweisen
versehen.

Somit erweist sich diese neue „Konfessionskunde" als ein Werk,
das den heutigen Aufgaben dieser Disziplin gerecht wird. Hier wird
nicht nur aktuell informiert, sondern durch die kritische Stellungnahme
, gerade auch da, wo sie zum Widerspruch reizt, zum Nachdenken
über die selbst einzunehmende Position und die sich daraus
ergebende Haltung gegenüber anderen Kirchen und Gemeinschaften
, zur Besinnung auf Wesen und Aufgabe von Christsein und
Kirche angeregt.

Abschließend noch einige Druckfehlerhinweise. Es muß heißen:
Pliska (29), Cerepis (32), Heiligster Synod (53), Pravoslavnaja Rus
(78), Milaä (94).

Religionswissenschaft

Tellenbach, H. [Hrsg.]: Das Vaterbild in Mythos und Geschichte.

Ägypten, Griechenland, Altes Testament, Neues Testament.
Stuttgart - Berlin - Köln - Mainz: Kohlhammer [1976]. 164 S.
8°. Kart. DM 19,80.

Das vorliegende Buch, das den Anfang einer Reihe von Veröffentlichungen
bildet, die von prominenten Gelehrten und Freunden
der Universität Heidelberg in einem interfakultativen Seminar
erarbeitet worden sind, beschäftigt sich mit dem Bild des Vaters
in den alten mediterranen Kulturen und ist H.-G. Gadamer, der die
Heidelberger „Vater-Seminare" maßgeblich mitbestimmt hat, zu
seinem 75. Geburtstag gewidmet.

Ausgangspunkt für die gemeinsamen Forschungen ist die von
H.Tellenbach in der Einleitung (7-11) ausgesprochene Beobachtung
, daß der Vater im Abendland (seit etwa dem 13. Jh.) soine
ursprüngliche Bedeutung immer mehr eingebüßt hat. „Wohin man
den Blick wendet, tritt einem der Vater entgegen als der absurdo,
der tragische, der scheiternde, als der Narr, der Geizhals, in den
Fängen seiner Eifersucht, als Opfer des Sohnes oder den Sohn
opfernd, hassend und gehaßt, von trauriger Gestalt, doch kein
Ritter" (9). Dieser erschreckende Sachverhalt gibt Anlaß, einerseits
prognostisch danach Ausschau zu halten, ob „ein neuer Morgengang
des Vaters in Sicht" ist, andererseits sich historisch auf

die Suche nach dem verlorenen Vater zu machen und zu ergründen,
welche Rolle er ursprünglich in den alten Kulturen gespielt hat.
Dieser letzteren Aufgabe wissen sich die Verfasser der nachfolgenden
Beiträge verpflichtet. J. Assmann geht dem „Bild des Vaters
im Alten Ägypten" nach (12-49). Dabei kommt er zu dem Ergebnis
, daß hinsichtlich der drei Aspekte, die den lebenden Vater charakterisieren
(Erzeuger, Ernährer, Erzieher), dem biologischen eine
ungleich geringere Bedeutung beigemessen wird als dem kulturellen
und sozialen. Der ägyptische Vater erscheint als Versorger und
Beschützer seiner Familie, vor allem aber als vorbildlicher Ratgeber
und Erzieher (nicht Gebieter!) seines Sohnes zu einem Wesen,
das in Einklang mit den gesellschaftlichen Ordnungen und göttlichen
Normen lebt und dadurch befähigt wird, später selbst einmal
Vaterrolle zu übernehmen, so daß sich der altersschwache Vater
aus der Gesellschaft zurückziehen kann. Bringen die genannten
drei Aspekte des lebenden Vaters ein zeitliches Nacheinander mit
ansteigender Bedeutungskurve zum Ausdruck, so wird alles durch
das Bild des toten bzw. jenseitigen Vaters insofern beherrscht, als
dieser mit dem diesseitigen Sohn einmal durch den Gedanken der
Pietät des Totenkultos und der Nachfolge, andermal durch den der
Wiederverköiperung und des Weiterlebens über den Tod hinaus
verbunden bleibt.

L.Perlitt untersucht unter Berücksichtigung der Ubergänge
vom wandernden Gottesvolk zur seßhaften Dorfgemeinschaft und
städtischen Zivilisation sowie der Ablösung der altisraelitischen
Monarchie durch wechselnde Fremdherrschaften die Stellung des
Vaters im Alten Testament (50-101). An Hand von zahlreichen,
sorgfältig ausgewählten Beispielen wird vor allem der israelitischen
Grundanschauung, dem Leben im Vaterhaus, nachgegangen und
aufgezeigt, daß dieses als Teileiner größeren Einheit (Sippe, Stamm,
Volk) verstanden werden will und nicht nur Schutz und Geborgenheit
, sondern auch Lebens-, Arbeite-, Mahl- und Kultgemoinschaft
bedeutet. Darüber hinaus wird der Leser mit der innersten Struktur
des Vaterhauses, mit Formen der Ehe, Gleichgewichtigkeit von
Mann und Frau in ihrer Rolle als Vater und Mutter, ferner mit der
Bedeutung des Hausvaters hinsichtlich der Erziehung und Unterweisung
des Sohnes im Umgang mit alltäglichen Dingen und im
Umgang mit Gott, mit der Bedeutung der Ehefrau im Hinblick auf
Geburt bzw. Ausbleiben von Kindern, sowie mit Problemen der
Generationshaftung, des Kindesopfers und des Konfliktes zwischen
Vater und Sohn bekannt gemacht. Diese kenntnisreiche Studie
wird mit einem kurzen Hinweis auf die am Rande der israelitischen
Theologie stehende Vorstellung von Gott als Vater abgeschlossen.

Zwei Beiträge, dio sich leider in manchen Dingen überschneiden,
befassen sich mit dem Vaterbild der alten Griechen. H.-G. Gadamer
(„Das Vaterbild im griechischen Denken", 102-115), der im
Zeitalter der Sophistik eine unserem an Vater-Sohn-Konflikten
reichen Jahrhundert vergleichbare Krisis sieht, ist vornehmlich
darum bemüht, die Entwicklung, die im ausgehenden 5. Jh. zu
einer tiefen Erschütterung der väterlichen Autorität geführt hat,
darzustellen und die Überwindung dieser Krise durch eine philosophische
Neubegründung des Vaterbildes aufzuzeigen. - Im Mittelpunkt
des anderen Beitrages von W. Lemke steht die Darstellung
„des Vaterbildes in der Dichtung Griechenlands" (116-135), vornehmlich
an Hand der beiden Epen Homers und ausgewählter
Werke der Tragiker Aischylos und Sophokles. Auch in diesem
Artikel wird das Gefälle deutlich: An die Stelle des milden, gütigen
und allgeliebten Vaters, der um den verstorbenen Sohn trauert und
sich nichts sehnlicher wünscht, als daß der lebende besser und
tüchtiger werden möge als er selbst, tritt eine von Verfehlung und
Schuld, Haß und Unversöhnlichkeitgezeichnete Fluchgestalt, der
auf der anderen Seite eine Sohnesgestalt entspricht, die vor der
Verstoßung des Vaters und vor Vatermord nicht zurückschreckt.

Oer letzte, von G. Bornkamm verfaßte Artikel („Das Vaterbild
im Neuen Testament", 136-154), der seinen Platz besser nacli
dem Beitrag von L.Perlitt haben sollte, bringt fast ausschließlich
„die im Urchristentum zentrale religiöse und theologische Rodo
von Gott als Vater in Jesu Verkündigung und im Glauben seiner
Gemeinde" (136) zur Darstellung. Die Begründung für das Ausscheiden
wichtiger Aspekte (z. B. Bedeutung und Stellung, Rechte und
Funktionen des Vaters) ist wonig einleuchtend. So wird man geneigt
sein, auf Schrenk's Artikol pater im „Theologischen Wörterbuch
zum Nouon Testament", Bd.5, Stuttgart 1951, S.981 IT zu-