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Ausgabe: | 1979 |
Spalte: | 231-233 |
Kategorie: | Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik |
Titel/Untertitel: | Ankunft Gottes und Handeln des Menschen 1979 |
Rezensent: | Bieritz, Karl-Heinrich |
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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 3
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Schaeffler, Richard, u. Peter Hünermann: Ankunft Gottes und
Handeln des Menschen. Thesen über Kult und Sakrament.
Freiburg-Basel-Wien: Herder [1977]. 87 S. 8° = Quaestiones
Disputatae, 77. Kart. DM 12.80.
Quaestiones disputatae: Die hier vorgelegten Thesen reizen
in der Tat dazu, einen Disput mit den Verfassern zu eröffnen.
Durch den engagierten Versuch einer umfassenden Rechtfertigung
kultischen Denkens und Verhaltens, den R. Schaeffler
präsentiert, muß sich nicht nur evangelische Theologie provoziert
fühlen, die sich unter dem Eindruck exegetischer und
systematisch-theologischer Einwürfe mit Vehemenz dagegen
sperrt, christlichen Gottesdienst als „Kult" zu verstehen und
mittels kultischer Begrifflichkeiten zu beschreiben; auch katholische
Liturgik, die sich unter Berufung auf Aussagen der
Liturgiekonstitution des II. Vatikanischen Konzils von einer
einseitig „kultischen Definition" christlicher Liturgie absetzt,
sieht sich durch eine solche Apologie des Kultus herausgefordert
. Freilich: Der Begriff des „Kultischen" kann sehr verschiedene
Bedeutungen abdecken, und E. J. Lengeling (in:
Kult in der säkularisierten Welt, Regensburg 1974, S. 72)
macht mit Recht darauf aufmerksam, daß bei Sch. ein sehr
ausgeweiteter Wortgebrauch vorliegt, der faktisch die Gesamtheit
religiös-ritueller Wirklichkeiten und Verhaltensformen
(einschließlich ihrer katabatischen, heilshaften Komponenten!)
meint. Es ist deshalb nicht ganz fair, wenn Sch. mit einem
solch umfassenden Verständnis von „Kult" im Rücken nun gegen
eine theologische Kultkritik zu Feld zieht, die sich doch
vorrangig gegen eine Überbewertung und unsachgemäße Vorordnung
der anabatischen, latreutischen Komponente im liturgischen
Geschehen wendet (9f).
Die Position Schaefflers braucht hier nicht ausführlich dargestellt
zu werden; dies hat W. Nagel in dieser Zeitschrift
anläßlich einer anderen Arbeit des Vf. (vgl. ThLZ 101, 1976
Sp. 709—711) bereits getan. In aller Kürze nur so viel: Sch.
geht davon aus, daß die kultische Weise der Auslegung und
Bewältigung von Wirklichkeit eine eigenständige und unersetzbare
Form der Weltdeutung darstellt, auf die nicht verzichtet
werden darf, soll nicht das .Humanuni" selber Schaden nehmen
(6). Kultische Weltauslegung stellt sich so als eine echte
Alternative zur philosophisch-wissenschaftlichen Weise der
Wirklichkeitsdeutung und -bewältigung dar; sie hat sich vor
dieser weder zu legitimieren noch kann sie sich in diese integrieren
. Während philosophisch-wissenschaftliches Denken sich
in den Kategorien von „Ursache" und „Wirkung" bewegt und
die Weltwirklichkeit in Natur und Gesellschaft als „Material"
betrachtet, das nach selbstgesetzten Zwecken gestaltet werden
kann (41), ist für kultische Weltdeutung das Verhältnis von
„Urbildhandlung" und „Abbildhandlung" konstitutiv (14f). Das
heißt: Der Bestand aller Wirklichkeiten dieser Welt hängt
davon ab, daß in ihnen die „Ursprünge" (die göttlichen Gründungshandlungen
) wirksam und erneuernd wiederkehren, „daß
ihnen beständig vom Ursprung her Erneuerung widerfährt"
(18). Eine solche „Wiederkehr der Ursprünge" geschieht nun
sowohl in kultischen Abbildhandlungen, die die göttliche
Gründungstat gegenwärtig setzen (ihre „erneuernde Parusie"
vermitteln, 16), wie auch im Weltlauf in Natur und Gesellschaft
, der so seinerseits zum Abbild einer göttlichen Urbildhandlung
wird. Dabei besteht zwischen Kult und Weltwirklichkeit
eine komplementäre Beziehung; sie verhalten sich zueinander
wie zwei Bildhälften, „die sich ergänzen müssen,
wenn sie für den göttlichen Ursprung transparent sein sollen"
(29).
Schaefflers Konzeption ist damit nur sehr unvollständig
(und sicher auch mißverständlich) beschrieben. Auch die Fragen
, die sich angesichts dieser Konzeption aufdrängen, können
hier nur angedeutet werden:
1. Mehr als befremdlich wirkt auf den ersten Blick der Versuch
, christlichen Gottesdienst total in ein allgemeingültiges
Begriffsgerüst kultischen Denkens und Verhaltens einzupassen
, das an religionsgeschichtlichen Phänomenen gewonnen
wurde. Der Vf. sagt es selbst deutlich genug: Von allgemeinkultischen
Phänomenen unterscheidet sich christlicher Gottesdienst
letztlich nur dadurch, daß er die „Funktionsgesetze des
Kultischen" selbst, die in jenen Phänomenen angelegt sind,
„radikal zur Geltung bringt" (38); christliche Liturgie ist somit
Steigerung (nicht aber Infragestellung!) allgemein-kultischen
Verhaltens. Auf den zweiten Blick zeigt sich freilich, daß sich
das Verhältnis auch umkehren läßt: Werden hier nicht — so
fragt man sich — unter einem gewissen Argumentationszwang
in die allgemeinen religionsgeschichtlichen Phänomene Strukturen
eingetragen, die auf jüdisch-christlichem Boden gewachsen
sind? Wird womöglich jene frappierende Übereinstimmung
zwischen den „Funktionsgesetzen des Kultischen" und
bestimmten Grunddaten christlichen Glaubens (etwa: Verzicht
auf Selbstgerechtigkeit und Eigenweisheit; „verantwortete
Vorläufigkeit" gottesdienstlichen Handelns als „Zeugnis der
Hoffnung für die Welt", 35 u.ö.) einfach dadurch erreicht, daß
hier Religionsgeschichte „christlich" gelesen und ausgelegt
wird?
2. Läßt sich das, was Christen glauben und leben (und was
sie in ihren Gottesdiensten feiern), wirklich derart in das
Urbild-Abbild-Schema einbinden? Lebt christlicher Glaube und
christlicher Gottesdienst nur von der „Wiederkehr der Ursprünge
"? Erschöpft sich christliche Hoffnung darin, auf die
erneuernde Ankunft der „Anfänge" zu vertrauen und solcher
Ankunft Orte, Zeiten und Gestalten offen zu halten in dieser
Welt (20)? Richtet sich christliche Hoffnung nicht auf eine Zukunft
, die alle „Anfänge" und „Ursprünge" und unvergleichlicher
Weise überbietet? Ich weiß — der Vf. kann darauf verweisen
, daß auch in seiner Konzeption die radikale „Neuschaffung
alles Wirklichen" ihren Platz hat (49). Und doch:
Das von ihm gewählte Denkmodell nötigt ihn dazu, solche
„Neuschaffung" in einer Weise an die „Anfänge" zurückzubinden
, daß für jenes „Mehr" der neuen Schöpfung, von dem
christliche Theologie eigentlich zu allen Zeiten gewußt hat,
kein Platz mehr bleibt. Und schließlich: Wir haben gelernt,
„Geschichtlichkeit" sei eine wesentliche Dimension biblischen
Glaubens. Wie will das Denkmodell des Vf. (das — genau genommen
— nur „restaurative" Lösungen und Entwicklungen
zuläßt) dieser Dimension entsprechen?
3. Sehr einleuchtend sind jene Passagen, in denen der Vf.
das komplementäre Verhältnis zwischen Kult und Leben (nicht
der Kult ist „Abbild" des Lebens, sondern Kult und Leben
sind in gleicher Weise „Bilder" göttlicher Wirklichkeit!) beschreibt
. Darf man hier eine gewisse Affinität zur Schleier-
macherschen Unterscheidung von „darstellendem" und „wirksamem
" Handeln vermuten? Freilich: Der Vf. betont immer
wieder, die Weltwirksamkeit kultischen Handelns sei nicht
über das Bewußtsein (per Information oder Motivation) vermittelt
(41f). Wenn er aber dann versucht, die Wirkweise kultischen
Tuns näherhin zu bestimmen (z. B. als „Praxis der
Hoffnung, die sich beschenken läßt", 42), so gerät er m. E.
doch wieder in Bereiche, für die „Bewußtseinsprozesse" solcher
Art von wesentlicher Bedeutung sind: Wie sonst soll eine Haltung
, die nichts bewirken will, als was „je schon gewirkt ist"
(42), zustande kommen und sich zu erkennen geben?
Im zweiten Beitrag des Bandes unternimmt P. Hünermann
den Versuch, die „anthropologische Notwendigkeit sakramentaler
Handlungen" (53) dadurch einsichtig zu machen, daß er
auf sie den Begriff der „kommunikativen Handlung" anwendet
: „Jede gesellschaftliche Gruppe — das Wort hier im weitesten
Sinne genommen — bedarf gewisser kommunikativer
Handlungen. . . Unter den vielfältigen kommunikativen Handlungen
gibt es einige, die für eine bestimmte Gruppe konstitutiv
sind. In und durch ihren Vollzug erhält sich die Gruppe"
(55). Näherhin werden solche Handlungen dann als „Figuren
des Lebens" beschrieben, durch die die soziale Binnenstruktur
einer Gruppe hergestellt und ihr Außenbezug geordnet wird;
gleichzeitig vermittelt die kommunikative Handlung einen
spezifischen Weltbezug (d. h., sie wirkt verändernd auch auf
das Umfeld der Sachwirklichkeiten ein, mit denen es die
Gruppe zu tun hat) und einen umfassenden Zeitbezug („Sie
versammelt Vergangenheit und antizipiert Zukunft in die Gegenwart
hinein", 59). Sie ist generatives Geschehen, in dem
Neues hervorgebracht und begründet wird („Ein qualitativ be-