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Ausgabe:

1979

Spalte:

229-230

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Nitschke, Horst

Titel/Untertitel:

Gottesdienst '77; Liturgische Texte und Entwürfe Meditationen und Reden 1979

Rezensent:

Bieritz, Karl-Heinrich

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22!»

Theologische Litcraturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 3

230

Bis S. 368 reicht Teil I mit seinen biblischen Untersuchungen
. Um die sakramentale Begegnung zwischen Geist und
Christen darzustellen, werden drei Bibelstellen, fünf Verse,
ausführlich exegesiert. Es handelt sich dabei um 2Kor l,21f,
Eph l,13f und Eph 4,30. Auf rd. 120 Seiten geht der Vf. jedem
einzelnen Wort nach, geradezu schulmäßig exakt wird jeweils
der Kontext befragt und die Textfassung kritisch erörtert; der
Wortanalyse folgt jeweils eine Zusammenfassung. „Salbung"
und zumal „Siegel" werden herausgestellt, im letzteren sieht
der Vf. zu Recht das angelegt, was in Patristik und Scholastik
mit Charakter umschrieben wurde. Der Exegese der genannten
drei Texte geht ein Überblick über entsprechende Vokabeln in
biblischer und nachbibl.-jüdischer Literatur voraus, paulinische
Texte zur Taufe werden mit solchen über das Siegel verglichen
.

Die biblischen Untersuchungen werden mit einem interessanten
Versuch fortgesetzt. Der Vf. stellt christologische und
ekklesiologische Analogien der sakramentalen Struktur dar.
Er beginnt mit einem phänomenologischen Überblick über die
Salbung im AT und geht dabei vielfältigen Spezialfragen der
Exegese nach, ob es sich um Prophetensalbungen, um priesterliche
oder königliche Salbungen handelt. Wir lesen von den
Salbungen bei Ezechiel und von den zwei Gestalten bei
Sacharja. Die Fülle des Materials ist überwältigend — im
ambivalenten Sinne dieses Wortes. Aber es ist von Interesse,
wie der Messias in der Literatur vor dem NT dargestellt wird,
immer in seinem Verhältnis zum Geist. Dann verfolgen wir,
wieweit nach den Theologien innerhalb des NT Jesus als
Gesalbter verstanden wird. Wir lesen von den verschiedenen
Hoheitstiteln Jesu, vom Sinn der Perikopc von der Taufe Jesu,
von deren Verhältnis zu den Kindheitsgeschichten und zur Er-
höhungschristologic. Nirgends ist etwas von „prä-hermeneu-
tischer Naivität" zu spüren. Die ekklesiologischen Analogien
finden sich dann in der Darstellung des Bundesgedankens:
wieweit der „Neue Bund" mit dem Geist zusammenhängt, wird
uns ausführlich vorgeführt. Auch dort führen Exkurse in die
Weite der Forschung, so z. B. über die Textgestalt der Damaskusschrift
.

Mit der Aufgabe, die Fülle des biblischen Befundes in die
systematische Fragestellung einfließen zu lassen, ist der
II. Teil des Buchs überfordert (S. 371-444). Er hat darum
auch nur die einschränkende Überschrift „Theologische Perspektiven
". Kardinal Newmans Sakramentsbegriff wird jetzt
eingeführt — die Erörterung des Sakramentalen bleibt im
Wesentlichen bei der Taufe, die Eucharistie wird mit herangezogen
. Christus und Kirche als Ursakramcnte sind wichtiger
. Des Vf. fundamentale These von der einzigartigen Rolle
des Geistes bei den Sakramenten bedeutet große Nähe zur
ostkirchlichen Tradition und Einschränkung eines lateinischen
„Christomonismus". Casels und Congars Entwürfe werden gestreift
. Überraschend ist, welch erstaunliche Analogie zum
biblischen Befund über die Geistwirkung in den Geschöpfen
und zu den Gedankengebäuden des 13. Jh. über den sakramentalen
Charakter und die Gnade der Vf. in Aussagen heutiger
Wissenschaft über das Leben findet — auch Oparin wird
hier zitiert; doch wünschte man sich dies wie den gesamten
Abschnitt über die Perspektiven, über die „vision pneumato-
logique" und die „apercus" über Anthropologie und Pneuma-
tologie ausführlicher. Sicher erwiese sich dann die Fruchtbarkeit
der Exegese für die Systematische Theologie.

Rostock Peter Heidrich

Praktische Theologie:
Liturgiewissenschaft

Nitschke, Horst [Hrsg.]: Gottesdienst '77. Liturgische Texte und
Entwürfe. Meditationen und Reden. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn [1977]. 137 S. 8°. Kart. DM 16.80.

„Es scheint, solche Gottesdienstbände werden gebraucht" (7):
Der „Almanach des Gottesdienstes" (vgl. ThLZ 102, 1977 Sp.

138f) erscheint nun schon im dritten Jahr und füllt offensichtlich
eine Lücke auf dem Markte religiöser Druckerzeugnisse.
Über die Gründe braucht man wohl nicht lange zu rätseln:
Das Ungenügen an den kirchenamtlichen Ordnungen und
Texten besteht unvermindert weiter; die reumütige Rückkehr
zu den Agenden der fünfziger Jahre (wie es sich manche im
Zuge gesellschaftlicher und theologischer „Tendenzwenden"
erhofften) fand nicht statt. Erstaunlich (und erfreulich zugleich
) bleibt die Mühe, die offenbar nach wie vor der Institution
Gottesdienst zugewandt wird; auch scheinen die Texte
aufs Ganze gesehen an Tiefe und sprachlicher Kraft gewonnen
zu haben.

Der Aufriß des Bandes unterscheidet sich nicht wesentlich
von dem seiner Vorgänger: Im ersten Teil finden sich „Pro-
priumsstücke" verschiedenster Art (Eingangsgebete, Psalmentransformationen
, Schuldbekenntnisse, Fürbittengebete usw.
— in ihrer jeweiligen liturgischen Funktion nicht immer deutlich
erkennbar), im zweiten Teil folgen gottesdienstliche Gesamtentwürfe
nach dem Kirchenjahr, thematisch bestimmte
Gottesdienste und Reden, Meditationen und Texte zu besonderen
Anlässen.

Was fällt auf? Was verdient besondere Erwähnung? Da ist
eine Osternachtsliturgie von H.-R. Müller-Schwefe, die in ihrer
sprachlichen Esoterik („Gott wirkt von innen, Gott kommt
von vorn. . .", 77) kaum begeisternd auf normale Gemeinden
wirken dürfte (Gemeinden, die zudem noch ziemlich entmündigt
werden; sie dürfen gelegentlich eine Liedstrophe singen,
aber die „Litanei der Gläubigen" z. B. beten die Pastoren
allein). Da ist weiter eine (als Predigt über Hosea 2 getarnte
) herrliche Rundumbeschimpfung von L. Steiger; da ist
ein merkwürdiges „Evangelisches Requiem" von H. Winde.
Als Meditationen wirken recht stark Texte von Th. Lescow
über Bonhoeffer und von P. Beier über Paul Gerhardt. Bemerkenswert
am Ende des Bandes: ein Beschluß des Kirchenvorstandes
Norderstedt über eine neue Ordnung des Hauptgottesdienstes
.

Tendenzen? Gäbe es eine Konkordanz zu dem vorliegenden
Band, würde sich sehr schnell zeigen, daß eines der meistgebrauchten
Worte (vor allem in den Gebeten und Bekenntnissen
) „Angst" heißt. „Wir ängsten uns vor der Zukunft" (12) i
Das ist der Grundtenor, der in auffälliger Weise zahlreiche
Texte bestimmt. Gegenwart und Zukunft werden als bedrohlich
empfunden (24). Es wird auch ausgesprochen, wodurch
diese Angst ausgelöst wird: Der Beter findet sich vor als
„Opfer wirtschaftlicher Krisen"; er sieht sich in seiner Freiheit
bedroht (27) i er fürchtet sich vor dem „Verlust von Positionen"
(57) und vor dem Versagen im beruflichen Konkurrenzkampf
(21, 43). Daß sich hier bestimmte gesellschaftliche und wirtschaftliche
Entwicklungen in der BRD liturgisch artikulieren,
ist sicher nicht nur eine Vermutung. Gesellschaftskritik findet
nach wie vor statt — aber sie wird meist mit einem recht
resignierenden Unterton vorgetragen: „Wir haben so wenig
Einfluß darauf, was uns geschieht..." (41; vgl. auch 26, 44,
59ff, 125f u. ö.).

Tendenzen: Man wagt, „ich" zu sagen in den Gebeten! Eine
gewisse Individualisierung der an- und ausgesprochenen Themen
und Probleme ist unverkennbar. Man begibt sich auf die
Suche nach dem Sinn eigenen, persönlichsten Lebens (29, 32,
41, 50, 52, 56f), auf die „Suche nach Identität und Nähe" (35).
Auch solche Sinnsuche (die gelegentlich sogar „mystische" Züge
annimmt, 19) geschieht auf dem Hintergrund der „kalten Berechnung
der Preise und Termine" (52).

Tendenzen: Es wird nicht mehr ganz so viel belehrt und
geschulmeistert wie in den Texten vergangener Jahre. Meditative
Elemente kommen verstärkt zum Zuge (nicht nur in
den ausdrücklich so ausgewiesenen Texten). Daß Gottesdienst
sich nicht nur im Vorfeld gesellschaftsvcrändernder Aktionen
bewegt, sondern „Feier des Glaubens" ist, ein Raum, in dem
auch sehr persönliche (und sehr „religiöse") Erfahrungen dargestellt
, vermittelt und verarbeitet werden dürfen, macht
mehr als einer der vorliegenden Texte deutlich.

Leipzig Karl-Heinrich Bieritz