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Ausgabe:

1979

Spalte:

223-225

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Die Einheit des Glaubens und der theologische Pluralismus 1979

Rezensent:

Müller, Norbert

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 3

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Reflexionsgestalt hat eine nachmetaphysische Theologie zu
tragen (515ff)?

Die soziale Dimension des Glaubens als seine gesellschaftlichen
, politischen, institutionellen, kulturellen, ökumenischen
(außereuropäischen), religiösen Bezüge und Bedingungen tritt
betont hervor (529ff).

Es wird versucht, die drei klassischen Glaubensartikel neu
zu buchstabieren, oft im Blick auf das Leiden als einer Grunderfahrung
christlichen Glaubens (etwa Altner: Leiden als
interdisziplinärer Dialogbegriff).

3. Kritische Würdigung: Schlägt Pichts „Vorgabe"
nicht so stark durch, daß keine Nuancen mehr, geschweige
denn Alternativen zum Vorschein kommen können (außer bei
Schmidt, und z. T. bei Raiser)?

Der Leser — an wen war bei der Publikation gedacht? —
dieser Vorlesungen hätte stärker in den gesamttheologischen
Diskussionshorizont eingeführt werden müssen (z.T. bei
Huber), etwa in die Auseinandersetzung um eine Theorie neuzeitlichen
Christentums.

Dann hätte man sich auch auf wissenschaftstheoretische Reflexionen
einlassen müssen, die mehr nebenbei als disputativ
unter dem Verdikt über neuzeitliche Wissenschaftsgläubigkeit
verrechnet werden.

Und doch könnte dieser Sammelband (etwa neben Pannenbergs
und Schwarzwällers Büchern) dazu beitragen, Theologie
wirklich diskutierend zu betreiben.

Stadt Rchburg Uwe Gerber

Theologenkommission, Internationale: Die Einheit des Glaubens
und der theologische Pluralismus. Einsiedeln: Johannes
Verlag (1973). 220 S. 8° = Sammlung Horizonte, N. F. 7.

Das Problem eines theologischen Pluralismus, in der zeitgenössischen
Diskussion, vor allem auch im ökumenischen
Gespräch von brennendem Interesse, wird hier auf Grund der
Arbeiten der Internationalen Päpstlichen Theologenkommission
in umfassender Weise erörtert.

Im ersten Teil des Buches (9—95) werden nach einer Einleitung
von Joseph Ratzinger 15 Thesen zum Thema, von der
Kommission als ganzer 1972 verabschiedet, vorgelegt und
durch einen Kommentar erläutert, der von einer Subkom-
mission erarbeitet wurde; als Verfasser des Kommentars
werden Joseph Ratzinger, Petrus Nemeshegyi und Philippe
Delhaye benannt.

Schon die Einleitung macht deutlich, daß das Problem in
seiner Aktualität und Vielschichtigkeit verstanden und dementsprechend
im vollen sachlichen Kontext ins Auge gefaßt
ist. Die geistes-, wissenschafts- und theologiegeschichtliche
Situation, in der „die von der Confessio her bestimmte
Theologie" durch die „von der .Praxis' her bestimmte" (13)
in Frage gestellt und dadurch hinsichtlich der Wahrheitsfrage
eine neue Konstellation geschaffen ist, schärft den Blick für
„die spezifische innerkirchliche Vorgeschichte und Gestalt des
Problems" (ebd.), d. h. ihre ekklesiologische Dimension in
der nachkonziliaren Entwicklung, die an die Aussagen des
Konzils selbst anknüpft. Für die katholische Ekklesiologie
ergibt sich dabei ein Innen- und ein Außenaspekt. Die fundamentale
Frage in der ersten Hinsicht ist die „nach der Eigenbedeutung
der ecclesia in der Ecclesia"; in ihren Zusammenhängen
gehört auch die „nach der Eigenständigkeit der Theologie
gegenüber dem Lehramt" (ebd.). Im zweiten Sinne stellt
sich die Frage „nach den getrennten christlichen Kirchen und
Gemeinschaften" (14) mit neuer Dringlichkeit.

Ziel der Kommissionsarbeit war es nicht, die Fülle von
Einzelfragen, die sich hier ergeben, aufzuarbeiten, sondern
allein „die Frage des Pluralismus in der Theologie zu diskutieren
" : Hier ist „das Wahrheitsproblem selbst und damit
die Wurzel aller anderen Fragen berührt" (14). (In dieser
Auswahl liegt freilich selbst schon eine — wie ich meine, rieh

tige und notwendige — Sachentscheidung; nämlich die, daß
durch das Phänomen des Pluralismus nicht von vornherein
die Wahrheitsfrage erledigt sein darf.)

Das Corpus der Thesen mit dem jeweils zugehörigen Kommentar
ist in vier Gruppen gegliedert. Der erste, grundlegende
Teil (These I—VIII) behandelt „Die Dimensionen des Problems
" (17—51). Den Zugang zur theologischen Erfassung der
pluralen Einheit der Wirklichkeit ermöglicht eine heilsgeschichtliche
Sicht des Offenbarungs-, Überlieferungs- und
Auslegungsprozesses, in dem sich die christliche Wahrheit
entfaltet: „Rechtgläubigkeit ist ... nicht Zustimmung zu
einem System, sondern Teilhabe am Weg des Glaubens"
(IV. These, S. 32). Nicht „abschließende Systematisierung (17),
wohl aber „rationale Rechenschaft" (29) entspricht dem „Dy-
namismus des Glaubens" (ebd.). Dabei geht es darum, der
Universalität der Christusbotschaft gerecht zu werden, aber
allen einseitigen Universalisierungsvcrsuchen, die sich im
Laufe der Auslegungsgeschichte anbieten, zu wehren (vgl. S.
25). Die Frage nach dem „Maßstab, der es gestattet, zwischen
wahrem und falschem Pluralismus zu unterscheiden", drängt
sich hier unausweichlich auf. Die Antwort der VII. These ist
sorgfältig differenziert: Allgemeine Richtschnur ist „der
Glaube der Kirche, wie er ausgedrückt ist in der organischen
Ganzheit seiner normativen Formulierungen". D. h. konkret-
geschichtlich : „Grundlegendes Kriterium ist ... die Schrift in
ihrer Bezogenheit auf das Bekenntnis der glaubenden und
betenden Kirche." Für die Zeugnisse der Lehrgeschichtc
schließlich gilt: „Unter den dogmatischen Formulierungen
sind diejenigen der alten Kirche vorrangig." Nach der geschichtlichen
und der sachlichen gibt es noch eine strukturelle
Unterscheidung: „Formeln, die eine Reflexion des christlichen
Denkens ausdrücken, sind denjenigen untergeordnet, die die
Fakten des Glaubens selbst nennen." (42) Die Vorstellung einer
hier in den Blick kommenden „Hierarchie der Wahrheiten"
(43) wird aufgeschlossen, aber mit Zurückhaltung aufgenommen
: Sie darf nicht als „Prinzip der Subtraktion" wirken,
sondern müßte „auf die innere Struktur des Credo und
des ihm antwortenden Aktes" verweisen (ebd.). Wenn so
deutlich ist, daß der Wahrheitsanspruch theologischer Aussagen
sich nicht auf ihre formelhafte Korrektheit, sondern
nur auf ihre Sachnähe gründen kann, muß auch Recht und
Möglichkeit erkennbar werden, den Irrtum als solchen zu
kennzeichnen, „wo die christliche Lehre in einer gravierend
zweideutigen oder überhaupt mit dem kirchlichen Glauben
unvereinbaren Weise dargestellt wird" (These VIII, S. 48).
„Zugänglichkeit der Wahrheit" soll dabei nicht als „Kanonisierung
theologischer Systeme" verstanden werden, sondern
als „Zugänglichkeit jener Mitte", „die den Systemen zu denken
gibt". (50)

Der zweite Teil der Thesen (These IX) geht auf den missionarischen
Aspekt theologischer Pluralität ein. Der Grundgedanke
ist hier, daß es zu einer Begegnung zwischen der
Offenbarung und den vielfältigen Kulturen der Menschheit
nur kommen kann, wenn „das Evangelium Christi jede Kultur
ihrer Vollendung entgegen" führt und „sie gleichzeitig einer
strengen Kritik" unterwirft. Den „Teilkirchen" kommt hierbei
die „Aufgabe dieser Inkarnation des christlichen Glaubens"
zu (52), wobei „dieses Werk nicht nur den betreffenden Kirchen
zugute kommen wird, sondern der gesamten Christenheit
." (60)

Ein dritter Teil (These X bis XII) wendet sich der „Frage
der bleibenden Gültigkeit dogmatischer Formeln" zu. Ein
Dogma darf, darin liegt hier die entscheidende Erkenntnis,
nicht „isoliert" als „Lehrsatz nach Art mathematischer Sätze"
betrachtet werden (63), sondern in einer dreifachen Beziehung
gesehen werden, nämlich in der Relation von Frage und Antwort
(X. These), von sprachlicher Benennung und zugrundeliegender
Sache (XI. These) und in der Wechselbeziehung mit
Heiliger Schrift und Evangeliumsverkündigung (XII. These,
S. 62f). Damit ist die Gültigkeit der einzelnen dogmatischen
Formulierung zwar in gewisser Weise relativiert, aber zugleich
auch gewahrt, denn es geht hier um die eigene „Sprachgeschichte
des Glaubens, die gewiß weitergehen muß und