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Ausgabe:

1979

Spalte:

216

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Bonhoeffer, Dietrich

Titel/Untertitel:

Von guten Mächten 1979

Rezensent:

Dudzus, Otto

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 3

Identität und ökumenischer Offenheit in einer „versöhnten
Vielfalt" als einem neuen ökumenischen Modell (H. Meyer).
Dabei versuchen die einzelnen Beiträge nicht nur die Treue
zum reformatorischen Erbe, sondern selbstkritisch auch die
Fehlentwicklungen in der Geschichte des Luthertums darzustellen
.

In den Beiträgen des dritten Teiles wird dann den sehr verschiedenen
Situationen der evangelisch-lutherischen Kirche in
verschiedenen Teilen der Welt nachgegangen. An einigen,
geographisch verteilten „Modellfällen" wird versucht, dialektisch
aufzuzeigen, „inwiefern zwar Zeugnis und Dienst der
Kirchen von der bestimmten regionalen Situation historisch,
politisch, ökonomisch und ethnisch bedingt sind, aber doch
ein spezifisches Element lutherischer Identität in den ökumenischen
Auftrag der Kirchen einbringen" (275). In den beiden
ersten Beiträgen aus Europa wird einerseits das Problem der
Volkskirche und die Zukunft des Staatskirchentums in der
westlichen Gesellschaft untersucht (H. Weissgerber); im zweiten
Beitrag wird — vor allem am Beispiel des evangelischen
Kirchenbundes in der DDR — die Situation und der Auftrag
der Kirche im Sozialismus als einer „Zeugnis- und Dienstgemeinschaft
" dargestellt (G. Krusche). Zwei weitere Beiträge
besprechen das Schicksal „des jüngeren Luthertums in Nordamerika
", seine innerlutherischen und zwischenkirchlichen Beziehungen
, sowie gesellschaftlichen Herausforderungen (R. H.
Fischer) und die „Entdeckung der lutherischen Identität in
einer neuen Kultur und Gesellschaft in Südamerika" als eine
Hoffnung für die Zukunft (B. Leskö). Ein einziger Beitrag beschäftigt
sich — mit den Porträts von sechs Kirchen — mit den
sehr komplexen Fragen der „bodenständigen Kirche" in
Afrika und Australasien, vor allem aber mit der neuen „Partnerschaft
" zwischen diesen jungen Kirchen und den alten „Mutterkirchen
" in Europa und Nordamerika (J. Scherer). Der
Schlufjbeitrag (E. Th. Bachmann) gibt einen kurzgefaßten,
guten Überblick über den Auftrag, die Geschichte und den
heutigen Aufbau des Lutherischen Weltbundes.

Besondere Erwähnung verdienen die kurzen, jeweils vom
Hrsg. geschriebenen Einleitungen in die drei Problemkreise,
sowie die nützliche Adressenliste der lutherischen Kirchen der
Welt. Das Literaturverzeichnis ist leider im Verhältnis zu den
so reichen und vielen Themen zu kurz. Man würde es gewiß
begrüßen, eine solche Orientierungshilfe am Ende jedes Beitrags
zu finden.

Noch eine kritische Bemerkung: es ist schade, daß sich in
dieser reichhaltigen Selbstdarstellung der evangelisch-lutherischen
Weltkirche unter den vielen Mitarbeitern kein Vertreter
der lutherischen Kirchen Afrikas und Australasiens zu
finden ist. In einer Neuauflage könnte diesem Mangel abgeholfen
werden.

Budapest - Genf Gyula Nagy

Bender, Ryszard: Die Rolle der katholischen Kirche in der

Geschichte Polens (KuKi 1978 S. 8-11).
Boyens, Armin: Das Ende des Lutherischen Weltkonvcnts: die

Krise des Weltluthertums während des zweiten Weltkriegs

und ihre Bewältigung (ZKG 88, 1977 S. 264-284).
Hinson, E. Glenn: The crisis of teaching authority in Roman

catholicism (JES 14, 1977 S. 66-88).
Knudten, Richard D.: The religion of the Indiana baptist

prisoner (RRelRes 19, 1977 S. 16-31).
Lepargneur, Hubert: Posizioni e tendenze della teologia catto-

lica in Brasile (Teol. 2, 1977 S. 262-293).
Petersen, Henry: Baptistforstander O. N. Foltveds 1. og

2. Dagbog (KHS 1977 S. 109-169).
Sinnenmäki, Maunu: Kyrkan i Finland (schwed., engl., deutsch).

Helsinki: Kirjaneliö [1978]. 40 S. m. 14 färb. Abb. a. Taf. 8°.
Turowicz, Jerzy: Die katholische Kirche im heutigen Polen

(KuKi 1978 S. 2-4).

Weitlauff, Manfred: Zur Entstehung des „Denzingers" (ZKG 88,

1977 S. 247-263).
Wojtowicz, Andrzej: Die protestantische Kirche in Polen

(KuKi 1978 S. 13-14).

Christliche Kunst und Literatur

Bonhoeffer, Dietrich: Von guten Mächten. Gebete und Gedichte
. Interpretiert von J. Ch. Hampe. München: Kaiser
[1976). 82 S. 8°. DM 9.80.

Es ist kaum zu verstehen, daß dieser eigenwilligste Teil
von Bonhoeffers literarischer Hinterlassenschaft aus der Haftzeit
erst jetzt seinen Interpreten gefunden hat. Wer wie der
Rez. über einen Zeitraum von gut 30 Jahren hinweg diese
Gedichte als einen kostbaren Bestand in seinem Gedächtnis
bewahrt, wer ungezählte Male über Bonhoeffer geredet und
nicht wenig über ihn geschrieben hat, empfindet Hampes
Arbeit fast wie ein eigenes Versäumnis.

Bonhoeffer hat diese Gedichte eigentlich gar nicht schreiben
wollen. Sie sind keine selbständige Bemühung. Sie erwachsen
aus dem, was ihn in den zwei Jahren seiner Haft Tag und
Nacht umgetrieben hat, beinahe von selbst. Es ist ein eigener
Reiz zu verfolgen, wie die in den Briefen ausgesprochenen
Gedanken zur Theologie, zur Zeitgeschichte, zur eigenen
Situation, zu Fragen des Mensch- und Christseins immer konzentrierter
, immer dichter, d. h. endlich zum Gedicht werden.
Nur selten dürfte in der Geistesgeschichte dieser Vorgang ähnlich
plastisch und offen vor Augen liegen.

Auch der Kenner stellt bei der Lektüre von Hampes Buch
mit einiger Überraschung fest, daß kaum eines der großen
Themen Bonhoeffer'schen Denkens ohne „Verdichtung" geblieben
ist. Persönliches wie Allgemeines, Gewisses wie Fragliches
, Beglückendes wie Schauriges, offen zutage Liegendes
wie das, was als Hintergrund von Entscheidungen höchstens
geahnt werden kann, alles kommt hier zu Wort. Man könnte
von einer „Biographie in nuce" sprechen. Und weil Bonhoeffers
Leben und Denken wie kaum ein anderes in unserer
Zeit exemplarischen Charakter hat, ist hier Schuld und Verstrickung
, aber auch Adel und Hoffnung ganzer Generationen
ausgesprochen.

Dem uns mit diesen Gedichten Unterlassenen Reichtum tut
es kaum Abbruch, wenn man formale Schwächen und manchmal
auch fehlende dichterische Gestaltungskraft feststellt.
Anderes ist um so eindrücklicher und bezwingender. Wie viel
ärmer wären wir — nicht nur in der Kirche — ohne das letzte
Gedicht „Von guten Mächten", aber auch ohne das über den
„Freund"; oder „Stationen auf dem Weg zur Freiheit"; oder
„Christen und Heiden"; oder das selbstbiographische „Wer
bin ich?"!

So punktuell die Gedichte auf den ersten Blick scheinen
mögen, es besteht zwischen allen ein großer Zusammenhang.
Zu Bonhoeffers Leben gibt es kaum Parallelen. Zu seinen Gedichten
genausowenig! Nachträglich wird einem klar, wie hier
auf ein paar schmalen Seiten ein großes menschliches, christliches
, geschichtliches Defizit aufgearbeitet ist.

Hampe ist für die Behutsamkeit zu danken, mit der er sich
in Geist und Gestalt der einzelnen Gedichte hineingedacht hat.
Zu den schönsten Früchten solcher Behutsamkeit dürfte die
Interpretation der „guten Mächte" gehören. Wer mögen sie bei
Bonhoeffer sein? Natürlich immer Konkretisierungen der Güte
Gottes. Aber Bonhoeffer fallen lauter irdische Dinge ein, wenn
er von Gottes Güte spricht. So tief sieht er Gott eingegangen
in Geschichte und Menschenwelt. Das kann nur das letzte
Glied einer langen Kette des Nachdenkens und der Erfahrung
mit dem in Christus Mensch gewordenen Gott sein. Bonhoeffer
hat hier zu einer nicht mehr zu überbietenden Konkretheit
gefunden. Oder, was dasselbe ist, zur Einfalt.

Köln Otto Dudzuj