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Ausgabe:

1979

Spalte:

207-209

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Velthoven, Theo van

Titel/Untertitel:

Gottesschau und menschliche Kreativitaet 1979

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

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207

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 3

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Tat eine basale Komponente im Verhalten und den Entscheidungen
der Bischöfe gewesen ist. Ob man allerdings das geschichtliche
Urteil über den deutschen Episkopat im Dritten
Reich — gleichsam im Pcndelschlag gegen Interpretationen, die
ganz auf politische und geistesgcschichtliche Aspekte abgestellt
waren — lediglich auf dieser Basis erheben kann,
scheint fraglich. Die Interdependenzen zwischen kirchlichem
und kirchenpolitischem Handeln, theologisch-ethischen und
ideologischen Grundorientierungen und politischem Einstellungsverhalten
sind komplexer, als daß sie sich allein mit
dieser Kategorie abdecken ließen.

Die evangelische Zeitgeschichtsschreibung kann gegenwärtig
auf nichts zurückgreifen, was einem Vergleich mit dem katholischen
Editionsprogramm standhielte.

Leipzig Kurt Nowak

Dogmen- und Theologiegeschichte

Veithoven, Theo van: Gottesschau und Kreativität, Studien
zur Erkenntnislehre des Nikolaus von Kues. Leiden: Brill
1977. IX, 273 S. gr. 8°. Lw. hfl. 76. -.

Vf. möchte in seiner Abhandlung grundlegende Aspekte
der cusanischen Erkenntnislehrc untersuchen und will dabei
eine einheitliche Interpretation des cusanischen Denkens
geben (1, 50). Er hat sich dabei der heute häufig genannten
Frage gestellt, ob bei N. der Kontemplation oder der Aktion
im menschlichen Leben der Vorrang gebühre. Er stellt in der
Untersuchung fest, daß für N. die beiden gegensätzlichen
Aspekte zur Ausprägung kommen (8).

Im ersten Teil „Macht und Ohnmacht des Wissens" (15 bis
128) bietet Vf. einige Grundzüge der cusanischen Erkenntnis-
lehre, wobei er im 1. Kap. („Die belehrte Unwissenheit als
Horizont der Erkenntnis", 15—47) von der docta ignotantia
als Grundstimmung des erkennenden Menschen ausgeht. Diese
ist wesentlich mit dem Ideal der Kontemplation verbunden.
Die Dunkelheit der Unwissenheit „wird durch die Anwesenheit
des Unendlichen, dem der Mensch sich im Schauen öffnet,
erleuchtet" (9). Der erkennende Mensch stößt durch sein Erkennen
auf sein Nichtwissen und kann das Unendliche, die
Wesenheit Gottes, denkend nicht erreichen. N. macht bei
seiner Einstellung „die befreiende Erfahrung, daß er im Nichtwissen
die angemessenste Weise entdeckt hat, sich auf das
Unendliche zu richten ..." (30). „Die Einsicht, daß das Unendliche
der menschlichen Erkenntnis entzogen ist", bedeutet
dann einen Fortschritt, „wenn die Unwissenheit ein gewisses
Wissen um das Nicht-Gewußte enthält" (33, vgl. 45). Über
die Vernunft als Kraft, die Widersprüche denkend zur Einheit
zu bringen, stellt N. als höhere Möglichkeit das Schauen,
das sich auf Gott richtet und den Zusammenfall der Widersprüche
übersteigt (36).

Im 2. Kap. („Die schöpferische Kraft des menschlichen
Geistes", 48—128) betont Vf. die Eigenart der cusanischen Erkenntnislehre
, die für ihn — mit Recht — in der Spannungseinheit
„von der begrenzten Kraft des menschlichen Erkenntnisvermögens
, das nicht imstande ist, das Wesen der Wirklichkeit
zu enthüllen ..." und der „Kreativität des Geistes
hinsichtlich der Begriffe und Vorstellungen, welche dieser
von der Wirklichkeit entwirft" liegt (48), wobei der Mensch
im Vorgang des Erkennens seine Macht und Ohnmacht zugleich
erfährt. N. sieht in der menschlichen Erkenntnis ein
Abbild der göttlichen Schöpfermacht, so daß der Geist zur
Gottesschau aufsteigen kann. Bei N. wird der Geist „als der
aktive Ursprung gesehen, der aus eigener Kraft den in ihm
enthaltenen Reichtum und die in ihm wirksame Fruchtbarkeit
zur Entwicklung bringt und seinen Produkten die ihm
eigene Intelligibilität mitteilt" (79). N. betont, daß Gott sich
uns mittels menschlicher Begriffe zu erkennen gibt (82). Der
menschliche Verstand hat an der Fruchtbarkeit des göttlichen

Verstandes teil (88). Der menschliche Geist wirkt nicht anders
als durch Entfaltung der ihm cingefaltctcn Kraft (94). „Die
Einheit ist das Ursprüngliche, aus dem die Vielheit entsteht
" (102), was N. immer wieder mit den Begriffen com-
plicatio und explicatio ausdrückt (vgl. 240). Weil der Mensch
an der schöpferischen Kraft teilhat, bezeichnet N. ihn als
zweiten Gott, dessen gottähnlichcr Charakter in seinem freien
Willen liegt (98).

Der zweite Teil „Zählen und Sprechen" (131-260) befaßt
sich mit einigen besonderen Bereichen der Erkenntnis.

Im 3. Kap. („Die Mathematik, das eigene Werk des Geistes",
131—196) betont Vf., wie N.s Auffassung der Mathematik
uns „bis in den Kern seines Denkens" führt und uns die
Koinzidenz der Gegensätze erkennen läßt — für N. „die unerläßliche
Bedingung, das Unendliche zu denken" (131). Im
Gegensatz zu Luther meint N., die Mathematik könne die
Gotteserkenntnis vertiefen (132f). Mathematische Spekulationen
durchziehen ja bekanntlich sein Werk, besonders in
doct. ign. In ihnen entfalte sich der Geist und „entdeckt sich
als Einfaltung im Entfalteten" (153). Wohl ist für ihn die
Mathematik nicht göttlichen Charakters, aber Gott bediene
sich ihrer. Wäre sie göttlichen Charakters, würde durch sie
das Göttliche dem menschlichen Verstand erschlossen (180,
183). Und doch ist es „sein fester Glaube, in ihr eine Methode
gefunden zu haben, zur Schau des Absoluten zu gelangen",
weil sie uns auf die Spur des Verhältnisses von Unendlichem
und Endlichem bringen könne. Im mathematischen Denken
offenbare sich das Unendliche, doch müsse es der Geist übersteigen
, um die absolute Einheit zu finden (184). Die gewonnenen
Einsichten über Gott seien aber nur Abbilder, er lasse
sich nicht in mathematischen Thesen und Beweisen fassen,
ebenso könne sein Wesen nicht in der Sprache ausgedrückt
werden. Man könne Gott wohl mit einem unendlichen Kreis
vergleichen, doch sei Gott selbst anders (189f). Vf. resümiert
: „Es ist die im Mathematischen sich bekundende Kreativität
des menschlichen Geistes, welche es (!) dazu befähigt,
als Ausgangspunkt für die Gottesschau zu dienen (195f).

Das 4. Kap. („Die Sprache, Offenbarung des Geistes", 197
bis 260) behandelt N.s Sprachphilosophic. N. sieht in der
Sprache nicht so sehr wie in der Mathematik die Möglichkeit
, Göttliches zu offenbaren. Für N. will sich der Geist nach
außen mitteilen und tut dies durch das Wort. Aber: „Das
Schweigen vor Gott, in das das Sprechen von Gott mündet
und in dem es verschwindet, ist die Konsequenz der Grundeinsicht
der belehrten Unwissenheit auf dem Gebiet der
Sprache" (220). Gottes Wesen kommt in unaussprechbarer
Weise in unserer Sprache „zur Sprache". Unser Sprechen ist
nicht imstande, Gott zu offenbaren, aber er ist ihm immanent
(223). Dabei gibt sich Gott seine eigene Definition (245).
In dem Wort, das Gott zeugt, sagt er sich aus und begreift er
sich selbst. In der Inkarnation tritt das innere Wort in das
äußere hinaus (249). N. hat ein besonderes Interesse an der
Parallele zwischen menschlichem Sprechen und göttlichem
Schaffen, „durch sein Wort drückt sich Gott in seiner Schöpfung
aus" (250f). Die verbreitete Auffassung, die Geschöpfe
seien Worte Gottes1 und die Welt sei das Buch Gottes, macht
sich N. zu eigen, doch bleibt Gottes Offenbarung in der Welt
verhüllt. Wir sollen uns darum über das „Buch" zu dem erheben
, der es geschrieben hat. Hier wird die eigene Tätigkeit
des Geistes, aber immer als Teilhabe an Gottes schöpferischem
Wirken, erkannt (251—255). Der menschliche Geist ist auch
in seiner Sprache Abbild Gottes.

In diesem Zusammenhang kommt Vf. auch auf N.s Stellung
im Universalienstreit zu sprechen (212, 215, 222, 244). Vf.
meint, N. weiche von Ockhams Nominalismus2 ab. Es machten
sich wohl nominalistische Einflüsse geltend, doch habe N. sehr
selbständig Einflüsse ganz verschiedener Herkunft verarbeitet
. Vf. sieht — mit Recht — bei N. eine noch in vielem ungeklärte
Verbindung von Realismus und Nominalismus.

Vf. hat die umfangreiche schriftliche Hinterlassenschaft des
Cusaners sorgfältig und ausgewogen für das Thema, das er sich
gestellt hat, ausgeschöpft. Man wünschte sich freilich, er
hätte die — zumeist von ihm aufgeführte — Sekundärliteratur