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Ausgabe:

1979

Spalte:

202-204

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Die bekennende Kirche in Schlesien 1933 - 1945 1979

Rezensent:

Adler, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 3

202

liehe Zustimmung. Wiederheirat Geschiedener. — Rechtliche
und wirtschaftliche Konsequenzen ergaben sich aus dem Sonderstatus
der Kleriker, die Steuerfreiheit besaßen, jetzt aber
ins Bürgerrecht zu überführen waren. (Nr. 50 S. 162ff).

Dabei erwies sich die Behandlung der Klöster, nicht zuletzt
wegen ihrer Vermögensverhältnisse, als kompliziert (Nr. 54
S. 142ff), auch zeigte sich, dafj es durchaus altkirchlichc Substanz
gab und keineswegs alle geneigt waren, mit fliegenden
Fahnen zur Reformation überzulaufen (148). — Indes erklärt
der Hintergrund des Bauernkrieges, warum z. B. bei der Änderung
der Zeremonien nur behutsam vorgegangen wurde. Mc-
lanchthon selbst empfahl diesen vorsichtigen Kurs. Die Reformation
konnte zu leicht als Aufforderung zu Aufruhr und
Umsturz mißverstanden werden (Nr. 68 S. 242ff).

Theologisch bemerkenswert sind Oslanders Gutachten zum
Abendmahl. Es galt, Schwärmer abzuwehren, die an der Realpräsenz
zweifelten und den Schweizern zuneigten (Nr. 56
S. 166ff; Nr. 61 S. 201 ff; Nr. 63/64 S. 215ff; Nr. 74 S. 324ff;
Nr. 75 S. 337ff; Nr. 83 S. 393ff; Nr. 86 S. 502ff; Nr. 87 S. 513ff;
Nr. 90 S. 537ff). In seinem Gutachten über Billican argumentiert
Oslander bereits mit Formeln, die für ihn auch später
typisch sind i „Sonder darumb essen wirs, dafj wir gewiß
seien, das Christus unser und in uns sein woll, das ist, das
wir wissen, das [das] cuangelion nicht allain war sei, sonder
uns gelt." (401). „Das Christus unser und in uns sei" (507).
„Dann der sich selbs mir zur speis und tranck gibt, der zaiget
ja, das er mein und in mir sein wolle ..." (508); „das Christus
unser und in uns und wir sein und in im bleiben sollen''
(509). „Dan man kan nicht glauben on wort, das Christus
unser und in uns sei..." (510) usw. Daß der Gedanke der Ein-
wohnung Christi im Gäubigen in Oslanders Darlegungen zum
Abendmahl eine zentrale Rolle spielt, wird bei der Kommen-
ticrung in den Fußnoten nicht angezeigt. (Vgl. Fligge: Osian-
drismus. S. 28f, 43f, 106f. Im Lit.Verz. nicht erwähnt. Genauer
Titel siehe Anm. 1.) Auf die wirkliche Präsenz der Gottheit
(im Blut Christi beim Abendmahl) kommt es Osiander wesentlich
an. Er spricht vom „blut Christi, darin die gantz gotthait
leiblich wonet" (512). In der Tat muß Osiander, von diesem
Gedanken zutiefst durchdrungen, die Argumentation von Billican
als ein rein intellektuelles Reden begreifen, das im Vordergründigen
verharrt.

Erwähnenswert ist schließlich die gegen das Papsttum gerichtete
Schrift „Wunderliche Weissagung" (Nr. 84 S. 403ff).
Verbreitung und Hintergrund dieser bebilderten Schrift werden
von H.-U. Hoffmann herausgearbeitet. Zu den bei G. Seebaß
: Bibliographia Osiandrica ... Nieuwkoop 1971, S. 39—41,
Nr. 11.1—11.4 nachgewiesenen Ausgaben können vier weitere
(Übersetzungen ins Lateinische) hinzugefügt werden. Gegenschriften
ließen sich ermitteln. Zu den Kritikern gehört Theo-
phrast von Hohenheim, genannt Paracclsus, der die Mißstände
der damaligen katholischen Kirche keineswegs beschönigte.
Gegen Paracclsus wandte sich 1570 wiederum der Betrüger
Paul Scalich. Dieser zunächst katholische Theologe hielt sich
seit 1558 in Württemberg auf und wandte sich dem evangelischen
Glauben zu. Auf Empfehlung Herzog Christophs kam
er 1561 nach Preußen zu Herzog Albrecht. Dort ergriff er
sofort für die Osiandristcn Partei, in Sonderheit für den Hof-
prediger Funck. Die Gunst des alten Landesfürsten nutzte er
schamlos zu persönlicher Bereicherung. Als 1566 die polnische
Krone in Preußen intervenierte, floh der Scharlatan, um sich
sogleich der katholischen Seite als eifriger Anhänger ihrer
Belange zu empfehlen. In diesen Zusammenhang gehört
Scalichs Gegenschrift gegen Paracclsus. Gleichzeitig setzte er
sich mit ihr von Osiander ab. — Hoffmanns Kommentierung
läßt diese Zusammenhänge kaum erkennen; die einschlägige
Literatur wird nur unzureichend ausgewertet.1 Im übrigen ist
die schon bei Jöcher benutzte, in der Literatur übliche Namensform
„Paul Scalich". „Schalich, Paul" (417f und 624) ist
im Register ohne Klammerzusatz (Scalich) bzw. Verweisung
nur schwer zu identifizieren, wodurch die Aufhellung dieses
Zusammenhangs weiter erschwert wird.

Auf die Realisierung der in der Ausgabe Bd. 1, S. 17, gegebenen
Zusage, die Wirkungsgeschichtc der einzelnen Quel-

lcnstückc zu berücksichtigen, muß in einer historisch-kritischen
Ausgabe, die der Kommcnticrung so viel Raum zubilligt, bestanden
werden. Die theologischen Hinweise wirken oft wie
ein Zufallsprodukt (z.B. S. 259 Anm. 66; S. 507 Anm. 23).
Entweder man verzichtet auf diese ganz und gibt nur textkritische
und historische Erläuterungen oder sie müßten reichhaltiger
und vielgestaltiger sein (s. o. zum Abendmahl). Indes
ist der Hauptzweck einer solchen Ausgabe, das historischkritisch
aufbereitete Material der kirchenhistorischen wie
theologischen Forschung bereitzustellen. Zumal für eine fundierte
theologisch-systematische Würdigung Osianders Gesamtwerk
zu kennen, dringend erforderlich ist. Daher ist die Fortführung
der Edition für die Forschung von großem Nutzen.
Dem Herausgeber, Prof. Gerhard Müller, und seinen Mitarbeitern
gilt der uneingeschränkte Dank für die zügig vorangetriebene
, insgesamt gründliche Bearbeitung.

Duisburg Jörg Rainer Fligge

1 Vgl. hierzu ausführlichi Jörg Rainer Fligge: Herzog Albrccht von Prcuftcn
und der Osiandrismus 1523-1548. Diss. phtl. Bonn 1972, S. 474-522, 932-938
(hier S. 936 Nr. 207 = Karl Christian Hirsch in: Hamburgische vermischte
Bibliothek 2, 1744, S. 961), 1074-1076. Zu S. 417 Anm. 87 nicht zitiert! Vgl.
auch Walther Hubatsch: Albrecht von Brandenburg-Ansbach. Deutschordcns-
Hochmcistcr und Herzog in Prcuöcn 1490-1568. Köln - Berlin 1960 (= Studien
zur Geschichte Preußens. Bd. 8). S. 210ff.

Kirchengeschichte: Neuzeit

Hornig, Ernst: Die Bekennende Kirche in Schlesien 1933-1945.

Geschichte und Dokumente. Göttingen: Vandcnhoeck &
Ruprecht 1977. XXIV, 381 S. gr. 8° = Arbeiten zur Geschichte
des Kirchcnkampfcs, Ergänzungsreihe, 10. Kart. DM 58.-.

Im Auftreten von Gegensätzen, am leidenschaftlichen Austragen
der dadurch entstandenen Spannungen hat es in der
Geschichte jener Kirche, von der hier die Rede ist, nicht gefehlt
. Die Konfessionskämpfc im Nachgang des Westfälischen
Friedens, bei denen durch Rekatholisicrung die evangelischen
Christen weiter Teile jenes Landes in ärgste Bedrängnis kamen
, sind durch die Geschichtsschreibung erfaßt. Nirgendwo
traf die Union mit ihrer Agende auf mehr aktiven Widerstand
als in Schlesien; auch dies ist hinreichend bekannt. Weniger
bekannt sind, trotz der Gesamtdarstellung des Kirchcnkampfcs
von Kurt Meier, die Auseinandersetzungen, zu denen es in
den Reihen der Bekennenden Kirche jenes Bereiches kam, die
schließlich zu einer Spaltung führten. Das mag an den Folgen
des Kriegsendes liegen, das dem Leben jener Kirche ein Ende
bereitete, wohl aber auch an der Schwierigkeit, jene komplizierten
Vorgänge zu überschauen und im Nachhinein einzuschätzen
. Hatte schon Gerhard Ehrcnforth, der geistliche Exponent
der einen Gruppierung, der sogenannten „Christo-
phcri-Synodc", 1968 mit seiner Darstellung („Die schlesischc
Kirche im Kirchenkampf 1932/45") diesem Mangel in etwa
abgeholfen, so macht das Buch von Ernst Hornig das Bild
komplett. Denn der Autor war der führende Kopf der anderen
Gruppe, der sogenannten „Naumburger Synode", die sich in
radikalerer Form vom DC-Staatskirchcnregimcnt distanzierte.

Auch bei dieser historischen Darstellung bestätigt sich die
Erfahrung, daß Quellenstudium allein (Amtsakten, Protokolle,
Rundschreiben, Aufrufe, Briefe etc.) nicht ausreicht, um einen
weitgehenden Überblick zu vermitteln. Es muß das persönliche
Engagement mit eingebracht werden als das Zeugnis des
Zeitgenossen, der mitten im Kampffeld lebte. Dies ist bei dem
Hornigschcn Buch der Fall. Ein sehr ausführlicher Dokumentenanhang
(281 S. bei einem Gesamtumfang von 381 S.) ermöglicht
es dem kritischen Leser, die Korrektheit der Darbietung
zu überprüfen.

Berichte über die Ereignisse und Dokumente zeichnen ein
Bild von der Entstehung des Kirchcnkampfcs, dessen erste
Phase sich nicht sonderlich von der anderer Kirchengebiete