Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1979

Spalte:

191-193

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kliesch, Klaus

Titel/Untertitel:

Das heilsgeschichtliche Credo in den Reden der Apostelgeschichte 1979

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

101

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 3

192

setzung mit der Gattungsbestimmung durch Dibelius und
Bultmann sowie der Anwendung der Kategorie vom theios
aner. Ebenso überzeugend ergibt sich, daß der Sitz im Leben
einer individuellen Form nicht allein aus der Gattungsbestimmung
gefolgert werden kann, weil diese viel zu allgemein
bleibt. „Nur die Individualität der Perikope, wie sie in ihrer
Form, ihrem Anschauungshorizont und schließlich ihrer Bedeutung
und Zielrichtung zum Ausdruck kommt, kann hier weiterführen
" (187). Dabei bereitet Vf. seine These mit einer überaus
gründlichen Erarbeitung des Anschauungshorizontes der
Perikope vor, wobei er eine Fülle religionsgeschichtlichen Materials
besonders über die antike Dämonologie, die Bedeutung
des Schweines und die Polemik gegen Heidentum und Götzendienst
im AT, Judentum und NT in sehr übersichtlicher Weise
heranzieht und dabei nicht dem Fehler verfällt, durch Absehen
von der genauen Datierung der Belege einen idealtypischen
Horizont zu konstruieren, den es so vielleicht tatsächlich nie
gegeben hat. Die Arbeit besticht durch ihre überaus klare und
prägnante Diktion. Es ist von Anfang bis zum Ende ein Vergnügen
, sich von der umsichtig-bedächtigen und dabei doch
zielstrebigen und stets souveränen Argumentation des Vf., dessen
Fleiß und Sorgfalt sich nicht zuletzt auch in der Vielzahl
der verarbeiteten Sekundärliteratur (das Literaturverzeichnis
umfaßt 18 S.!) dokumentiert, leiten zu lassen. Er hat, auch
wenn man nicht in allen Einzelheiten zustimmen kann (Vf. ist
sich der Fragwürdigkeit mancher seiner Thesen durchaus bewußt
), eine im besten Sinne exemplarische Untersuchung geliefert
, die nicht nur zu einer überzeugenden Analyse dieser
umstrittenen Tradition geführt hat, sondern auch erneut die
Leistungsfähigkeit einer konkret bezogenen und methodisch
reflektierten historisch-kritischen Arbeitsweise unter Beweis
stellt.

Münster Alfred Suhl

Kliesch, Klaus: Das heilsgeschichtliche Credo in den Reden
der Apostelgeschichte. Köln-Bonn: Hanstein [1975]. XXIX,
266 S. gr. 8° = Bonner Biblische Beiträge, 44. Kart. DM 60.-.

„Die Verkündigung ist gebunden an das Credo der Kirche,
in dem Gottes Heilshandeln bekannt wird, wie umgekehrt das
Credo der Adressaten verankert ist in der Geschichte der
Kirche von Anfang an." Dieser Satz, der am Ende der redaktionskritischen
Untersuchung der Petrusrede Act 10,34—43 steht
(163), darf als Schlüssel des Ganzen dienen. Wir haben den
Versuch vor uns, die Reden der Acta als Explikation eines
heilsgeschichtlichen Credos der Urkirche zu verstehen.

Zu einer erneuten, vorzugsweise redaktionsgeschichtlichen,
um die Sonderung von Tradition und Redaktion bemühten
Behandlung der Acta-Reden sah sich der Vf. der hier im Druck
vorliegenden Bonner katholisch-theologischen Dissertation herausgefordert
, nachdem die vorangegangenen, dem gleichen
Gegenstand gewidmeten Arbeiten von Ulrich Wilckens1 und
Emmeran Kränkl2 wichtige Fragen offen gelassen hatten. Sie
haben die Reden zunächst als Zeugnisse lukanischer Theologie
begreifen gelehrt, dabei mit vorgegebenen traditionellen Bestandteilen
gerechnet, ohne diese dem Umfang und der Position
nach genau abzugrenzen. Daß ebendies möglich ist, davon
ist der Schüler und langjährige Mitarbeiter Heinrich Zimmermanns3
überzeugt.

Die Aufmerksamkeit Klieschs gilt dabei nicht so sehr den
Einzelelementen, die etwa als Zeugnis urgemeindlicher Christo-
logie verstanden werden könnten, als den zusammenhängenden
und festgeprägten Traditionen in den Reden, die sich für seinen
Blick zu einem klar erkennbaren Schema zusammenordnen. Um
zu diesem Ergebnis zu kommen, faßt er den Kreis der untersuchten
Reden weiter als Wilckens und Kränkl, die sich auf
die Missionsreden beschränkt hatten und bezieht die für seine
Konstruktion entscheidende Stephanusrede Acta 7,2—53 mit
ein. Der Leitbegriff, der das den Reden zugrundeliegende
Muster nach seiner inhaltlichen Seite bestimmt, ist die aus der
alttestamentlichen Arbeit übernommene Gattung des heilsgeschichtlichen
Credos. Der Vf. glaubt dessen urchristlich-prä-
lukanische Version nicht nur in ihren Grundzügen, sondern in
ihrem Wortlaut rekonstruieren zu können, wie er zuvor mit
einer beeindruckenden Sicherheit in einem ersten Untersuchungsgang
(11—74) die lukanischen und vorlukanischen Bestandteile
in den Acta-Reden voneinander geschieden hat.

Ein in die Nachfolge Dt 26,5—9 einzuordnendes Schema''
des heilsgeschichtlichen Ablaufs von der Schöpfung über die
Zeit der Väter, die Mosezeit und David bis zur Geschichte des
Christus, seiner Herkunft, seines Leidens, Auferwecktwerden,
Erhöhung und Richteramt sei Lukas als fest formulierter Text
vorgegeben gewesen. Der erste (alttestamentliche) Teil lasse
sich aus der Stephanusrede (enthalten in 7,2—45) und einem
Abschnitt der Rede des Paulus im pisidischen Antiochien (13,
17—22) rekonstruieren, wobei freilich Vertauschungen und
Überschneidungen in Kauf genommen werden müssen (Ergebnis
: S.45—47). Die Aussagen über das Hcilsgeschehen des Neuen
Bundes ergeben sich aus den Redestücken 2,14—36; 3,12—2ö;
4,8-12; 5,29-32; 10,34-43 und 13,23-39, deren christologische
Partien in einer Synopse (77f) dargeboten werden, um zu belegen
, daß die christologischen Aussagen in den Reden „mehr
oder weniger festverbunden schon vorliegen und es keine
zwingenden Gründe dafür gibt, daß Lukas diese Verbindungen
geschaffen hat" (102). Aber gerade dies steht in Frage, u. zw.
um so mehr, als uns der Vf. von einer festen Zusammengehörigkeit
beider Aussagegruppen, der auf den Alten Bund bezogenen
und der christologischen, überzeugen will.

Wie soll man sich ein solches heilsgeschichtliches Credo zur
Zeit des Lukas (gedacht ist an den Ausgang des 1. Jh.) vorstellen
? Sehen wir von den mancherlei Willkürlichkeiten der
Rekonstruktion einmal ab, so erweist es sich in der hier vorausgesetzten
Form (36 Verse!) als viel zu umfangreich, um wirklich
praktikabel sein zu können. Als „Sitz im Leben" wird nicht
die Verkündigung, sondern die Sakramentsfeier (Taufe oder
Eucharistie!) genannt (114). Aber die Verwendung des Credos
durch Lukas dient einem anderen Zweck: seinen Lesern soll
„erkenntlich bleiben, daß die Auseinandersetzungen mit dem
Judentum im Grunde nichts anderes sind als Auseinandersetzungen
um das Credo und damit um das Heilshandeln
Gottes in der Geschichte" (159). Ob sie dies (das Vorhandensein
eines heilsgeschichtlichen Credos einmal unterstellt) bei seiner
so stark dissoziativen Verwendung überhaupt hätten erkennen
können?

So wiegen die Einwände gegen die mit beachtlicher Überzeugungskraft
vorgetragene These des Vf. schwer. Es gibt
weder eine Parallele, denn der Midrasch Hebrll (so S. 114)
kann im Ernst schwerlich als solche gelten, noch eine Nach-
geschichte. Gewiß lassen sich von den Christusaussagen Linien
zu den christologischen Bekenntnissen etwa bei den Ignatianen
und bei Polycarp ziehen (105ff), doch für den entscheidenden,
ein heilsgeschichtliches Credo im Sinn des Vf. erst konstituierenden
alttestamentlichen Teil finden sich keine Entsprechungen
. Was in den Bekenntnissen der Folgezeit zum Tragen
kommt, sind die Schöpfungs-, nicht die Geschichtsaussagen.

So ist es nicht viel, was verbleibt, wenn man Klieschs Konstruktion
den Abschied gibt. Vor allem ist es die erneute Bestätigung
der Einsicht, daß für Lukas die Verwurzelung des
Christusgeschehens in der vom Alten Testament herkommenden
Geschichte in die Mitte der christlichen Verkündigung gehört.
Die Erkenntnis, daß er dabei von einer vorgegebenen, wenn
auch nicht immer rekonstruierbaren christlichen Schriftauslegung
ausgeht, ist vom Vf. in den besten Partien seines Werkes
aufgenommen und weitergeführt worden. Die Variabilität des
Lukas in der Aneignung dieser Tradition wird gerade verfehlt
, wenn man sie auf das Prokrustesbett eines heilsgeschichtlichen
Credos spannt.

Immer wieder hat es Versuche gegeben, vorgeprägte Traditionen
im Neuen Testament nicht nur als Einzelstücke aufzuspüren
, sondern mosaikartig verstreute Elemente zu einem
Ganzen zusammenzufügen. Dabei kam der Ausgangsposition
des Forschers entscheidende Bedeutung zu. So suchte der
Lutheraner Alfred Seeberg nach dem Katechismus der Ur-
christenheit, der konservative Biblizist Paul Feine nach den