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Ausgabe:

1979

Spalte:

182-184

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Perdue, Leo G.

Titel/Untertitel:

Wisdom and cult 1979

Rezensent:

Herrmann, Wolfram

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 3

182

Es würde den Rahmen einer solchen Besprechung sprengen,
auf die Auslegung der einzelnen Psalmen einzugehen. Aufs
Ganze gesehen übernimmt U. weitgehend die formgeschicht-
lichcn Kategorien und kommt trotz seines anderen Zugangs
oft zu ganz ähnlichen Gliederungen der Psalmen wie die form-
gcschichtlich arbeitenden Excgctcn. Die Stärke der Auslegungen
U.s besteht darin, jeden Psalm in seiner spezifischen Eigenart
vorzustellen, ihn in seiner kunstvollen Ausformung, in der oft
tiefgründigen Beziehung seiner Teile zueinander und in der
Schönheit seiner Sprache zum Leuchten zu bringen. Ein gutes
Beispiel erhält der Leser in der Auslegung von Ps8 (1,55—61);
und es scheint mir allgemein ZU gelten, dafi die Methode U.s
vor allem bei den Psalmen die schönsten Ergebnisse zeitigt,
die sich ein Stück weit von den Psalmengattungen gelöst
haben und auf dem Weg zum „Kunstwerk" in unserem Sinne
befinden.

Dennoch ist die Auslegung U.s, so wie er sie bisher vorgelegt
hat, meiner Meinung nach noch mit erheblichen methodischen
Mängeln behaftet:

a) Die aufgezeigten Wortbezüge erscheinen mir z. T. als
überzogen. Da5 schon das Vorkommen eines bestimmten
Wortes die Einheitlichkeit eines Psalms erweisen kann (z. B.
hajfim in Ps 27,1.13; 1,182), ist mir fraglich. Der Vf. klärt
nicht das Verhältnis zwischen der Oberflächen- und der Tiefenstruktur
der Texte. Er setzt sich auch nicht mit der Tatsache
auseinander, dafi die meisten Psalmen gar keine „Kunstwerke"
wie unsere modernen Gedichte sein wollen, sondern „Ge-
brauchslitcratur" sind. — Auf der anderen Seite scheint mir die
Gefahr einer „Wortontologic" gegeben, wenn Belege für ein
bestimmtes Wort aus ganz anderen Gattungen (und sachlichen
Zusammenhängen) herangezogen werden (z. B. wird zur Erklärung
von hätak in Ps 30,12 Am 5,8 und Ps 66,6 hinzugezogen
!, 1,203), so als hafte einem Wort unabhängig von seinem
Kontext eine bestimmte Realität an. Der gute methodische
Grundsatz, dafi der nächste Kontext eines Psalms die Gattung
ist, zu der er gehört, bleibt von U. unbeachtet.

b) Die traditionsgcschichtliche Fragestellung fällt in der Auslegung
U.s so gut wie ganz aus. Wohl kann man ihm darin
zustimmen, dafi übernommene Motive im neuen Zusammenhang
eine neue Bedeutung erhalten können, dafi aber seiner
Meinung nach z. B. die Eruierung rcligionsgcschichtlicher Vorformen
von Ps 19 überhaupt keinen Beitrag zur Auslegung
des Psalms liefern kann, ist doch wohl übertrieben (1,129). Die
Vernachlässigung des traditionsgcschichtlichen Hintergrundes
führt dann auch an einigen Stellen nachweislich zu exegetischen
Fehlentscheidungen (etwa bei Ps 62, wo U. aufgrund
stilistischer Beobachtungen den sicher zusammengehörigen Abschnitt
v.9—11 trennt, weil er den formgeschichtlichen Bruch
zwischen v.8 und v.9 nicht beachtet, II,152ff).

b) Seltsamerweise blendet U. die Frage nach dem Sitz im
Leben bewufit aus, obgleich er sich auf der Tcxtcbcne der form-
geschichtlichcn Nomenklatur bedient. Verwirrend ist dabei, dafi
er den S.i.L. nicht streng soziologisch fafit, sondern mit dem
biographischen und historischen Hintergrund des Psalms gleichsetzt
. Wohl ist die Polemik U.s berechtigt, dafi man einen Psalm
nicht zum bloficn Vehikel kultgcschichtlicher Hypothesen degradieren
darf (vgl. zu Ps 15 I,93f und zu Ps 26 1,176), aber welche
Bedeutung sollen die Psalmengattungcn noch haben, wenn ihnen
kein gottesdienstlicher Vorgang mehr entspricht? Die Folge
dieser methodischen Unklarheit ist, dafi U. sich z.T. mit verblüffender
Leichtigkeit über formkritischc Differenzierungen hinwegsetzen
kann (z. B. zu Ps 27 1,182), und dafi bei ihm die Psalmen
ln Gefahr geraten, sich von konkreten Vorgängen im Geschehen
zwischen Gott und Mensch zu allgemeinen Aussagen
'iber das Verhältnis von Gott und Mensch zu verflüchtigen (so
explizit 11,303, wo U. behauptet, Ps80 wolle „das Verhältnis
des Volkes Israel zu seinem Gott kennzeichnen"). Auf die
gleiche Linie gehört, dafi U. von der „Predigt des Psalms"
sprechen kann (1,182), gern den „didaktisch-chokmatischcn"
Charakter von Psalmen hervorhebt (von Ps 15 1,194) und fortlaufend
von „dem Psalmistcn" spricht, der für ihn „den Gläubigen
in seiner Angst und seinem Dank repräsentiert" (1,200).

Die strukturale Methode scheint dem Vf. einen unmittelbaren
Zugang zu den Psalmen zu eröffnen, so daß er auf eine geschichtliche
und soziologische Vermittlung nicht mehr angewiesen
ist. Mit dem Wegfall dieser Korrektive erhöht sich
zweifellos die Gefahr, christliche Glaubensraster in die Psalmen
einzutragen (z. B. Ps 30,8, wo U. vom Zorn Gottes spricht,
der Psalm aber gerade nicht, 1,202). Wahrscheinlich aber hat
für U. der unmittelbare Zugang zu den Psalmen auch noch
einen „kultischen Sitz im Leben": in den reformierten holländischen
Gottesdiensten wurden bis vor kurzem und werden
z. T. noch immer ausschließlich Psalmenlieder gesungen, die
Psalmen sind darum dem holländischen Christen in ganz anderer
Weise vertraut.

U. scheint die methodischen Schwierigkeiten seines Ansatzes
selbst zu spüren: Er bezeichnet im Vorwort zum 2. Band seine
Methode nur noch als „vornehmlich ergozentrisch" und beteuert
, dafi sie „nicht auf Kosten des Interesses von Fragen
literargeschichtlicher, formgeschichtlicher und traditionsgeschichtlicher
Art zu gehen (braucht)". Doch wie die geschichtliche
Dimension in die strukturale Methode zu integrieren ist,
bleibt letztlich unklar; so wünscht man sich für den 3. (und 4.?)
Band eine deutlichere methodische Klärung. Eine solche Klärung
hätte sicher über die Grenzen Hollands hinaus für die Psalmenforschung
Bedeutung, und man würde sich dann eigentlich
wünschen, dafi dieser Kommentar (etwa in einer überarbeiteten
Fassung) auch in englischer oder deutscher Übersetzung
erscheinen würde.

Sandhausen bei Heidelberg Rainer Albertz

Perdue, Leo G.: Wisdom and Cult. A Critical Analysis of the
Views of Cult in the Wisdom Literatures of Israel and the
Ancient Near East. Missoula, Mont.: Scholars Press: (1977).
XIII, 390 S. gr. 8° = Society of Biblical Litcrature. Dissertation
Series, 30.

Der Vf. stellte sich eine doppelte Aufgabe, nämlich kritisch
die Bezugnahmen auf den Kultus in der Weishcitsliteratur des
Alten Orients zu prüfen und die Lehrgedichte zu analysieren,
die durch Weise verfafit wurden. Ausgangspunkt war die Beschäftigung
mit dem Befund in der israelitisch-jüdischen Literatur
des 1. Jt. v. Chr. Ihr wird der breiteste Raum gewährt.

Während man in früheren Jahren die Beziehung zwischen
der Prophetic und dem Kult untersucht habe, galt in jüngerer
Zeit die Aufmerksamkeit der Beziehung zwischen Prophetic
und Weisheit. Deshalb sei jetzt zu prüfen, welcher Stellenwert
dem Kultus in der Weishcitsliteratur des Alten Orients und
Israels zukommt. Dafi in einem weiteren Sinne ein Problem
Weisheit und Kultus bestehe, hatte schon unter dem gleichlautenden
Titel Gerhard von Rad in seinem Buche „Weisheit in
Israel" (N°ukirchen-Vluyn 1970, S. 243) betont.

Es ist die ehemals vertretene Verallgemeinerung zu bezweifeln
, die Weisen seien als kosmopolitische Humanisten, die
empirisch und rational gewonnene Überzeugungen hegten, indifferent
dem Kultus gegenüber gewesen. Das Fehlurteil resultierte
aus der Tatsache, dafi sich in den Provcrbien nur selten
Hinweise auf den Kultus finden. Er wird aber, in das Gewand
von Instruktionen, Streitgesprächen und Reflexionen gekleidet,
in anderen literarischen Zusammenhängen erwähnt. Die Weisen
entzogen sich keineswegs den Belangen des Kults, sondern
reflektierten ihn und gaben praktischen Rat.

Der Kultus hat es — so die versuchte Definition — damit zu
tun, die dauernde Beziehung zur Gottheit aufrechtzuerhalten.
Der Vf. will demzufolge nicht nur die Erwähnung von Opfern
und Ritualen aufspüren, sondern sein Augenmerk auch den
Orten, Zeiten, dem Personal sowie dem material und formal
der Sphäre des Kults Entstammenden schenken. Er versteht
den Kultus als Teil der Wcltordnung, der zur Sicherung des
Lebens wichtig war. Die Weisheit nun bildet den Versuch, mit
der Weltordnung in Einklang zu sein. Weil das so ist, können
die Weisen den Kultus nicht aus ihren Überlegungen ausklammern
.

Vf. sichtet zunächst, in der Beschränkung auf die beiden
Zentren, die das umfangreichste Material lieferten, die Position