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Ausgabe:

1979

Spalte:

180-182

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Uchelen, Nico A. van

Titel/Untertitel:

Psalmen 1979

Rezensent:

Albertz, Rainer

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179

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 3

180

Das alles ist sehr scharfsinnig durchgeführt, wobei der Vf.
die traditionellen Methoden historischer und Textkritik konsequent
anwendet, die Redaktionstätigkeit an dem Buch dagegen
auf ein Minimum beschränken möchte (vgl. 11). Dem
Wirken eines Redaktors ist lediglich die Zusammenarbeit von
Proto- und Deuteromicha (die im übrigen fast Zeitgenossen
sind, nur daß der eine aus dem Süd-, der andere aus dem
Nordreich stammt) sowie die heutige Form der Überschrift 1,1
zuzuschreiben, die deuteronomistischen Charakter trägt und
eben diesen Vorgang der Zusammenfügung der beiden Teile
des Buches widerspiegelt (13ff).

Wie soll der Rez. über dies alles urteilen? Vielleicht ist es
am besten, den Eindruck wiederzugeben, den man beim Lesen
hat: hier kommt eine sehr altmodische Methodik zum Zuge.
Z. B. zur Ansetzung von 1,2—16 (19ff): die Lokalisierung des
Stückes in Lachis von der Voraussetzung her, dafj es eine Einheit
bildet und in der Ankündigung des immer näher rückenden
Gerichtes in V. 13—16 im Zusammenhang mit Lachis seine
Klimax findet, erinnert z. B. an die Auffassung A. Weisers
über Am 1,3—2,6, der gleichfalls von einer rhetorischen Klimax
ausging'; die Ansetzung auf dem Herbstfest (21) beruft sich
auf die Thronbesteigungspsalmen und damit indirekt auf die
doch heute mehr als umstrittenen Thesen S. Mowinckels/' Für
Kap. 2-5 ist eine ähnlich alteingewurzeltc Voraussetzung
neben der Sicht literarischer Einheitlichkeit die ausschließende
Alternative zwischen Heils- und Unheilsprophetie und die Verteilung
beider auf zwei auch institutionell streng zu trennende
Gruppen von Propheten.5 Am einleuchtendsten erscheint die
Aufteilung des Buches in Micha und Deuteromicha, denn mit
Kap. 6 beginnt tatsächlich ein in Stil und Hintergrund andersartiger
Stoff. Nur wundert man sich auch hier über die große
Sicherheit des Vf. in der historischen Ansetzung, so z. B. wenn
7,8—20 wegen der vorausgesetzten Situation (im Zusammenhang
muß es Nordreichsprophetie sein, gegen die übliche Ansetzung
auf Jerusalem-Juda,- offensichtlich ist die Lage sehr
bedrängt, 7,14 (vgl. dazu auch 196], aber konkrete Hinweise
auf Samaria-Ephraim fehlen) auf genau die Jahre 733—27 angesetzt
wird (249). In Kap. 7 ist der Nordreichs-Hintergrund
keineswegs so deutlich wie in Kap. 6 (vgl. auch zu 7,1—17,
240), das tatsächlich konkrete Hinweise dieser Art enthält (z. B.
6,16, vgl. 237).

Die Thesen van der Woudes sind anregend, aber (vor allem
für einen einer breiteren Öffentlichkeit zugedachten Kommentar
) oft reichlich spekulativ. Ein weiteres Beispiel: die
Erwähnung einer angedrohten Exilierung nach Babel in 4,10
bringt sofort die Assoziation mit der Gesandtschaft des babylonischen
Königs Mcrodach-Baladan nach Jerusalem zur Zeit
Hiskias (Jes 39,1), und dann weiß der Vf. noch genauer, dafj
diese eher 713 als 703 stattgefunden haben muß, was wieder
mit der angenommenen Gesamtansetzung des Abschnittes
genau übereinstimmt (149)! 2,12—13 hat nicht das bekannte
judäische Exil nach 587 im Blick, sondern das des Nordreichs
(94).

Alle diese Angaben verlangten nach einer näheren Nachprüfung
anhand des Textes, was in einer Rezension der Raum
verbietet. Man möchte dem Buch wünschen, dafj es, auch wenn
in niederländischer Sprache abgcfafjt, eine breite Aufmerksamkeit
finden möge, damit die von dem Vf. provozierte Diskussion
in Gang käme, denn er ist sich kühne Sondermeinungen
zu vertreten sehr wohl bewußt (61 u. ö.)!

Bochum Henning Graf Rcvcntlow

1 Vgl. ders., Deutcro-Micha: ein Prophet aus Nord-Israel? In: NcdThT 25,
1971 S. 365-378.

I Vertreten u. a. von T. Lcscow, Redaktionsgeschichtliche Analyse von Micha
1-5, in: ZAW 84, 1972 S. 46-85; ders., Rcdaktionsgeschichtliche Analyse von
Micha 6-7, ebd. S. 182-212; I. Willi-Plein, Vorformen der Schriftexegese innerhalb
des AT (BZAW 123), Berlin 1971, S. 70-114; vgl. 272-74.

s Die Profetie des Arnos (BZAW 53), Berlin 1929.

4 Psalmcnstudicn II. Das Thronbesteigungsfest Jahwähs und der Ursprung
der Eschatologie. Oslo 1921 (Neudruck Amsterdam 1961).

■ Zur Kritik der Methodik vgl. neuerdings J. L. Crenshaw, Prophetic Con-
flict (BZAW 124), Berlin 1971.

Uchelen, N. A. van: Psalmen. I: 1-40; II: 41-80. Nijkerk:
Callenbach 1971/77. 275 S. u. 313 S. 8° = De Prcdiking van
het Oude Testament.

Von dem in holländischer Sprache geschriebenen Psalmcn-
kommentar liegen zwei Bände vor, von denen der erste bis
Ps 40, der zweite bis Ps 80 reicht. Von seiner Anlage her zielt
der Kommentar auf einen weiteren Leserkreis, etwa unserem
ATD vergleichbar, wobei der 2. Band der exegetischen Fachdiskussion
einen breiteren Raum einräumt als der erste.

Dieser Kommentar ist auch über den holländischen Sprachraum
hinaus deswegen interessant, weil U. mit dem Anspruch
auftritt, mit einer neuen Methode an die Psalmen heranzugehen
, die sich fundamental von der früheren literarkritischen
und heutigen form- und traditionsgcschichtlichen unterscheidet.
Verstand erstere die Psalmen als „Niederschlag persönlicher
Erfahrungen" des Dichters (poetozentrisch) und letztere „als
Niederschlag geistiger Kennzeichen einer bestimmten Zeit"
(chronozentrisch), so will U. sie in ihrer „vollendeten Selbständigkeit
" verstehen (ergozentrisch). Die Bedeutung eines
Psalms ergibt sich für U. nicht aus seinem biographischen,
historischen oder soziologischen Hintergrund, sondern allein
aus ihm selbst: „Nicht was zwischen den Zeilen zu lesen ist,
oder was hinter dem Gedicht zu suchen ist, sondern was im
Text selbst in den Vordergrund tritt, ist Gegenstand der Untersuchung
und erster und letzter Ausgangspunkt der Interpretation
" (Klappe Bd. 1). Seine Thesen für die Auslegung lauten
darum: 1. »Jeder Psalm formt eine von selbst sprechende
Einheit" (1,5) und 2. „Jeder Psalm ist ein von sich selbst sprechendes
Ganzes" (1,6).

U. will mit diesem Ansatz die in der modernen Literaturwissenschaft
aufgekommene strukturalc Methode für die
Psalmenauslegung nutzbar machen. Er ist stark beeinflufjt von
M. Weiss, der von jüdischer Zeit her einen ähnlichen Ansatz
propagierte (Bibl 42,1961, 255—302) und sieht sich in Gemeinschaft
mit ähnlich gerichteten Vorstößen von katholischer (L.
Alonso-Schökel, L. Krinetzki) und evangelischer Seite (H. Gesc,

H. Graf Revcntlow).

Die Auslegung jedes Psalms gliedert sich in vier Teile: 1.
Übersetzung, 2. Einleitung, 3. Auslegung und 4. Anmerkungen.
Die Eigenart der Methode U.s wird vor allem im 2. Teil deut
lieh: Gegenstand der Untersuchung ist für ihn der Psalm als
Ganzheit. Er geht darum (an sich gut formgcschichtlich) von
der Ganzheit des Psalms aus und ermittelt von daher seinen
Aufbau und die Funktion seiner Teile („Strofen"). Das Besondere
ist dabei, daß sich für U. Aufbau und Funktion primär
aus stilistischen Beobachtungen ergeben: Er untersucht die
Reihe der Klänge, die Wiederholung und Abwechslung bestimmter
Worte, die Gleichheit der Klänge bei Worten entgegengesetzter
Bedeutung etc. „Fast jeder Psalm macht durch
ein ganz besonderes Spiel der Worte einen deutlichen Aufbau
und eine Entfaltung der Gedanken sichtbar" (1,5). Beim Herausarbeiten
der .reichen Well der Worte' kommt auch der keryg-
matische Gehalt des Psalms heraus. Der Einleitungsteil schließt
meist mit kurzen Hinweisen auf die Auslegungsgeschichte;
beachtenswert ist, daß dabei neben dem christlichen auch das
jüdische Verständnis gewürdigt wird.

Im eigentlichen Auslegungstcil (Nr. 3) werden die zuvor
entworfenen großen Linien für die einzelnen Teile des Psalms
weiter entfaltet. Dabei wird die auf den Einzcltcxt konzentrierte
Arbeitsweise insofern erweitert, als für die Erklärung der
einzelnen Wörter und Wendungen reichlich Parallelen aus allen
Teilen des AT hinzugezogen werden („extensive Arbeitsweise"

I. 8).

Auf seine Übersetzungen hat U. große Mühe verwandt, er
versucht, seine stilistischen Beobachtungen am hebräischen
Text auch im Holländischen nachzuahmen.

Im Anmerkungsteil geht der Vf. auf die Literatur ein, wobei
auffällt, daß besonders auf Äußerungen zu einzelnen Wortbedeutungen
Bezug genommen wird. Eine explizite Auseinandersetzung
mit anderen Erklärungen des Psalms wird dagegen
nur ganz sporadisch geführt (stärker im 2. Band).