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Ausgabe:

1979

Spalte:

176-178

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Strobel, August

Titel/Untertitel:

Der spätbronzezeitliche Seevölkersturm 1979

Rezensent:

Bernhardt, Karl-Heinz

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175

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 3

17(5

[Urner, Hans] i Weg und Gemeinschaft. Aufsätze von und für
Hans Urner. Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1976). 287 S.,
1 Porträt gr. 8° = Aufsätze und Vorträge zur Theologie und
Religionswissenschaft. Kart. M 11,40.

Die schöne, gehaltvolle Sammlung (überwiegend) theologischer
Arbeiten ist aus zwei Vorhaben entstanden. Das letzte
Drittel des Buches enthält Aufsätze, die aus einer Festgabe
stammen, die Hans Urner zum 65. Geburtstag (1966) dargebracht
wurde (die nicht abgedruckten Beiträge sind S. 196
aufgeführt), die ersten beiden Drittel sind eigene Aufsätze
Urners, wiederum nur eine Auswahl (vgl. seine Bibliographie
in der ThLZ 86, 1961 Sp. 872-874; 87, 1962 Sp. 156; 91, 1966
Sp. 389 und 97, 1972 Sp. 397). Die Arbeiten sind, was den Jubilar
selbst angeht, für sein wissenschaftliches Porträt repräsentativ
: Neben dem, was zum ureigensten Arbeitsfeld des Prak-
tologen gehört, finden sich kirchen- bzw. geistesgeschichtliche
Arbeiten (über „Paracelsus als Christ", „Die Taufe bei
C. Schwenckfeld", „Zur neuen Hamannforschung") und — hierfür
wird man besonders dankbar sein — kenntnisreiche und
feinsinnige Darstellungen von Dichtern, ihres Werks und ihrer
Person (Georg Heym, Gerhart Hauptmann, Elisabeth Langgäs-
ser, Rolf Hochhuth, Peter Weiss). Beide Gruppen von Arbeiten
zeichnen sich nicht nur durch eingehende Quellenarbeit und
große Vertrautheit mit zugehöriger Literatur aus (für den
Theologen Hamann würde man gern noch auf Martin Seils
hinweisen mögen), sondern auch durch ein zartfühliges Nachspüren
und Nachgestalten im Umgang mit dem geistigen Werk
der Beschriebenen und mit dem, was menschlich dahintersteht.
„Unparteiische Ketzerbilder" entwirft Vf. in Anspielung auf
Gottfried Arnold; er tut es mit der Liebe Christi, die gerade
auch den ernst nimmt, der nicht ins Schema paßt. Dasselbe gilt
auch von den Essays über die Dichter und ihr Werk: ein tiefes,
auch feine Schwingungen aufnehmendes Verstehen läßt den Vf.
auch dem gerecht werden, der einen ganz anderen Weg geführt
wurde.

„Praktische Theologie — offen zur Zukunft" ist der Mittelteil
überschrieben, in dem verschiedenste Themen aus dem engeren
Fachgebiet des Jubilars behandelt sind. Wir schauen zunächst
auf Urners eigene Arbeiten. Einen besonderen Komplex darin
bilden die, in denen sich Vf. als Praktischer Theologe mit Fragen
der hermeneutischen Diskussion beschäftigt („Der sinkende
Petrus" — „Der historische Jesus in unserer Predigt" — „Ent-
mythologisierung und Predigt" — „Revolution aus Redlichkeit.
John A. T. Robinson, Honest to God"). Denen, die in dem Bemühen
um existentiale Interpretation der neutestamentlichen
Botschaft Abbruch und Verfälschung sehen, macht Vf. Mut, das
Aufbauende und Hilfreiche in solchem Bemühen zu erkennen.
Es ist nicht nötig, in diesem Bericht die uns geläufigen Thesen
erneut niederzuschreiben. Und es ist nicht möglich, darzulegen,
an welchen Punkten die Diskussion inzwischen weitergeführt
hat. Wir dürfen und wollen nicht hinter Bultmann zurück, eher
über ihn hinaus. Wie mir scheint, finden sich bei Urner dazu
Ansätze (z. B. S. 96). — Wie wir praktisch mit der Schrift umgehen
, zeigt schön die Auslegung von lKor7: „Ein Kapitel über
die Ehe". Ungesetzlich ist nicht nur das, was Vf. aus dem Text
entnimmt, sondern die Weise des Schriftgebrauchs selbst. Ähnlich
im Ansatz der Aufsatz „Liturgie ohne Liturgismus", mit
dem sich Vf. in das Gespräch zwischen Götz Harbsmeier und
Wilhelm Hahn einschaltet. Ein Kernsatz daraus: „Die liturgische
Arbeit ist in der Rechtfertigung ebenso radikal in Frage
gestellt wie in ihr wahres Leben gerufen" (78). Die Kirche beschafft
nicht das Heil, sie teilt es aus (79). Von hier aus ließe
sich leicht die Linie zum vorangehenden Beitrag ziehen: „Evangelisch
- Katholisch"; meisterlich, wie hier auf wenigen Seiten
das, was uns Not macht, formuliert ist, wenn man freilich
auch hier gern das kritische Gespräch aufnähme. (Fragen dieser
Art kehren wieder in der Arbeit über E. Langgässers Roman
„Das unauslöschliche Siegel." „Ist es nicht so, daß aus der
Hölle der Verlorenheit ... nur Christus selber erretten kann
und nicht der Rückgriff auf ein Siegel, das die Sakraments-
spendung aufprägt?" (173). Wir wenden ein: Errettet nicht
„Christus selber" eben im Sakrament?)

Es macht Freude zu sehen, wie die Gaben, die von S. 193 an
dem verehrten Jubilar dargebracht worden sind, sein eigenes
theologisches Interesse in glücklicher Weise spiegeln. Das gilt
schon in bezug auf die Weite des Blicks. Wolfgang Wiefel
schreibt über „Religiöse Motive im Werke Jouhandeaus" und
trifft sich mit Urner nicht nur in der Aufgeschlossenheit für
die schöne Literatur überhaupt, sondern speziell für französische
Literatur, auch in dem Gespür für das, was am Rande
oder jenseits des Randes eines standardisierten Christentums
liegt (Kreuzesmystik, Identitätsmystik, Brautmystik, Selbstverwirklichung
). Klaus-Peter Hertzsch würdigt Johannes
Bobrowski mit einem Aufnahme- und Einfühlungsvermögen,
das den in diesem Buch dargebotenen Meisterdarstellungen
Urners ebenbürtig ist. Dem Bemühen Urners, die Augustana
der Gemeinde aufzuschließen (105ff) korrespondiert William
Nagels wohlabgewogener Aufsatz „Der Sinn von Bekenntnisbestimmtheit
und Lehre der Kirche heute". Fragen des Urner-
schen Liturgie-Beitrags werden weitergedacht in den praktischen
Anregungen von Josef B. Jeschke „Nicht bloß die
Predigt". Um die Sprache des Gottesdienstes und der Predigt
geht es in dem feinsinnigen Aufsatz von Norbert Müller
über „Gotteswort und Menschensprache"; anregend und herausfordernd
, die Predigt grundsätzlich in Frage stellend, doch
vorerst noch immer bejahend, gibt Gerhard Bassarak kräftige
Hinweise für einen zeitgenössischen Stil der Predigt, wozu
z. B. der Verfremdungseffekt, das Instrument des „Schnitts"
(auf diesen Teilaspekt dürfte sich besonders die Überschrift
des Ganzen beziehen: „Montierte Predigt?"), die unpathetische
Sprache (ohne Füllworte), auch Elemente des Kabarettistischen
u. ä. gehören. Heinz Wagner bietet langjährige Erfahrungen
an: „Kritische Erwägungen zur Didaktik der Predigt". Was an
der Predigt ist lehrbar? Exegese: ein Prozeß der Konzentration
(Orientierung, Sichtung, Entscheidung). Der Hiatus zwischen
Exegese und Predigt ist zu bedauern, er darf aber nicht
voreilig übersprungen werden. Leitsätze, die Paraphrase sind
gute Hilfsmittel. Eine phasenspezifische Predigtdidaktik sollte
sich den besonderen Schwierigkeiten des Anfängers, des jungen
Predigers, des Erfahrenen zuwenden. Friedrich Hahns
„Überlegungen zur politischen Predigt' " sind ein überzeugendes
Pendant zu dem Aufsatz „Völkische Bewegung und
kirchliches Amt", in dem Urner, als viele andere noch blind
waren, klar sagte, wo Beziehungen radikal und schonungslos
abzubrechen sind (61), ohne daß wir dem — vielleicht harten -
Geschick, das uns in ein gesondertes Volkstum stellt, entfliehen
dürften. Auch Gerhard Wallis („Prophet und Ämter im Alten
Testament") spricht, auf seinem Fachgebiet, ein Thema an,
das in Urners Denken eine erhebliche Rolle spielt: nicht nur
in dem Schwenckfeldaufsatz und in dem über Paracelsus geht
es um die Größen Geist — Gnadenmittel — Amt. Wir sind in
diesem Buch immer wieder bei Themen, die auch heute und
wahrscheinlich erst recht in nächster Zukunft „dran" sind.

Leipzig Gottfried Voigt

Altes Testament

Strobel, August: Der spätbronzezeitliche Seevölkersturin. Ein

Forschungsüberblick mit Folgerungen zur biblischen Exodusthematik
. Berlin - New York: de Gruyter 1976. XI, 291 S.
gr. 8° = Beiheft zur Zeitschrift für die alttestamentl. Wissenschaft
, 145. Lw. DM 98,-.

Die Frage nach den Ursachen der tiefgreifenden Veränderungen
in Gesellschaft und Kultur, die in der Übergangsphase
von der Spätbronzezeit zur Eisenzeit den östlichen Mittelmeerraum
trafen, gehört zu den wichtigsten und zugleich auch
schwierigsten Problemen der altvorderasiatischen Geschichtsforschung
. Als die Kräfte, die jene Veränderungen bewirkten,
gelten in erster Linie die von ägyptischen Quellen „Seevölker"
genannten Einwanderer- oder Erobererscharen, deren Herkunft
manches Rätsel aufgibt. Jedenfalls lassen die archäologischen
und literarischen Quellen deutlich erkennen, daß es sich um einen