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Ausgabe:

1978

Spalte:

173-175

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wink, Walter

Titel/Untertitel:

Bibelauslegung als Interaktion 1978

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 3

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Erinnert sei hierzu an die von W. Marxsen (in: Exegese Wer sollte hier nicht aufhorchen? Der Autor des vorlie-

und Verkündigung, München 1957 = ThEx NF 59, S. 49 f.) genden Essays (das Original erschien 1973 in den USA

vorgeschlagene Unterscheidung von „Erklärung" unter dem Titel „The Bible in Human Transformation") ist

(Durchleuchten dessen, was zum Verstehen der Aussage kein „Außenseiter", wie einst vor fast 60 Jahren Karl

notwendig ist: Überlieferung des Textes, Begriffe, Vorstel- Barth, als er den Römerbrief neu entdeckte, sondern ein

lungen...) und „Exegese" (Wiedergabe der Intentio- Fachmann, der sich mit seiner Arbeit „John the Baptist in

nen, die der Vf. in einer bestimmten Situation mit dem the Gospel Tradition" (Cambridge 1968; vgl. E. Lohse,

Text verfolgt: als ein gesonderter Arbeitsgang nach der ThLZ 94, 1969 Sp. 829 f.) als Exeget bestens ausgewiesen

»Erklärung"). hat. An das Vorwort Karl Barths zur 2. Auflage seines „Rö-

Zu 3. Auch in hochschuldidaktischer Hinsicht hätte sich merbriefs" von 1921/22 freilich fühlt man sich bei der

eine stärkere Durchklärung der Beiträge des Alt- und Neu- Lagebeschreibung im ersten Kapitel, also bei der Charak-

testamentlers als hilfreich erwiesen: Dem „völlig Unerfah- terisierung der historisch-kritischen Bibelwissenschaft

renen" werden z. B. unerläutert eingeführte Fachworte unter dem Stichwort „Der Bankrott der Bibelkritik" immer

wie „masoretischer Text" (S. 20), „Kohelet" (S. 23), „dia- wieder erinnert. Was Wink als das ideologische Programm

chroner Aspekt" (S. 41) kaum zugänglich sein, wenn nicht des „Objektivismus" beschreibt, entspricht in der Sache

ein Glossar beigefügt ist. Man hätte bei der Neubearbei- weithin dem, was seit Anfang des 20. Jhs. hierzulande

tung aber auch von Erfahrungen aus der Fernstudiendi- unter dem Stichwort „Historismus" erregt debattiert wur-

daktik profitieren können: mit deutlichen Definitionen der de. Damit ist allerdings auch angedeutet, daß die Analyse

Methodenbegriffe, einfachen Aufgaben zur Anwendung der Winks für den deutschen Sprachraum etwas anachroni-

v°rgestellten Methoden und einem entsprechend aufgelok- stisch wirkt. Weder von K. Barths transwissenschaftlichem

kerten Druck. Ansatz noch von der durch R. Bultmann inaugurierten

Der Beitrag von G. Adam „Zur wissenschaftlichen Ar- hermeneutischen Debatte ist die Rede (Bultmann wird ge-

beitsweise" allerdings wird dem Leser auch vor Studien- legentlich erwähnt, aber seine „Entmythologisierung" ist

beginn verständlich und hilfreich sein. Der hier gebotene offensichtlich nur als Verschärfung der historischen Kri-

Uberblick über akademische Lehrveranstaltungen, das tik, nicht als Kehrseite einer „existentialen Interpretation"

Studium der Literatur, Bibliotheken und Bibliographien, verstanden, die ja auch ein „radikal anderes Modell für die

Formen schriftlicher Arbeit und ihre formale Gestaltung Rolle des Interpreten gegenüber dem Text" entwickeln

lst einfach und übersichtlich gehalten. Zwar wird kaum wollte — war das alles nur Selbstbetrug?). Für den angel-

auf neuere Veranstaltungstypen (wie z.B. das zuerst in sächsischen Bereich, insbesondere für die USA (S. 12), mag

Hamburg praktizierte „Propädeutikum") eingegangen, solche Unterlassung sachgemäß sein, da die dortige Szene

auch nicht so differenziert zu wissenschaftlicher Lektüre — von einzelnen wie James M. Robinson abgesehen (den

angeleitet wie in umfangreicheren Publikationen zum The- Wink als Mitstreiter im Vorwort erwähnt) — die deutsche

ma- Doch wird insgesamt nüchtern gesehen, wo der Stu- hermeneutische Debatte wohl nur mit Unbehagen von

dent zu Beginn vor Schwierigkeiten im wissenschaftlichen ferne verfolgt hat. Aber für die Übertragung von Winks

Lehrbetrieb steht, was ihm dazu an Einführungen wichtig Essay auf die deutsche Bühne bleibt hier ein Desiderat,

jsti damit er in die Arbeit an der Hochschule (insbesondere Auch das „Nachwort zur deutschen Ausgabe" von Gerhard

jn die ersten alt- und neutestamentlichen Veranstaltungen) Marcel Martin (S. 62—75) stellt den Anschluß nicht her; es

hineinfinden kann. bezieht Winks Anliegen vor allem auf bestimmte Ansätze

Von diesem dritten Beitrag her lassen sich auch die „Ein- bei P. Stuhlmacher (worauf hier leider nicht näher eingeführungen
" von Kaiser und Kümmel als fachlich qualifi- gangen werden kann).

zierte Uberblicke eher erschließen. Zurück zu Wink. Sein Vorschlag ist eine „dialektische
So kann am Schluß durchaus eine Empfehlung dieses Hermeneutik", was nichts mit der deutschen sog. „dialek-
Buehes stehen: Es sollte „von hinten" gelesen werden; die tischen Theologie", sondern mit einem hegel-artigen Drei-
Beiträge von Kaiser und Kümmel würden dann am besten schritt-Schema zu tun hat, das einerseits die theologiege-
lm Rahmen eines alt- bzw. neutestamentlichen Prosemi- schichtliche Entwicklung verständlich machen, anderer-
nars oder einer interdisziplinären Einführungsveranstal- seits als Raster für die konkrete exegetische Arbeit dienen
p ~e. als »Uberblickslektüre" verwandt — ergänzt durch soll. Vom Stadium der „ursprünglichen Einheit" führt eine
räzisierungen in wissenschaftsdidaktischer Hinsicht und erste Negation zur Entfremdungsstufe („Distanz"), sodann
urch vertiefende Erarbeitung an exemplarischen Texten. eine zweite „Negation der Negation" zur „Synthese", einer

Art neugewonnener „post-kritischer Naivität". Die erste

Lüneburg Johannes Lähnemann Negation wird als „Verdacht gegen das Objekt" oder eben

als „Objektivierung" beschrieben; es ist die historisch-kritische
Methode, die nur bis zur Distanz gegenüber dem Text
gelangt und nicht weiter. Daher soll nun die zweite Nega-
Wink, Walter: Bibelauslegung als Interaktion. Über die tion> der „Verdacht gegen das Subjekt", also die kritische
grenzen historisch-kritischer Methode. Stuttgart — Ber- wissenssoziologische und psychoanalytische Infragestel-
tt k~~ KöIn ~" Mainz: W. Kohlhammer [1976]. 84 S. 8° = lung des Wissenschaftlers und der Wissenschaft, zur „Syn-
urban-Taschenbücher, T-Reihe, 622. Kart. DM 10,—. these" führen. Es ist interessant zu sehen, daß Winks Vor-
n. . stoß zu einem Teil nochmals aus der gleichen Quelle ge-
Ule historisch-kritische Bibelwissenschaft hat die Zeit speist wird, die vor über 40 Jahren auch Bultmanns herme-
2fi^F ^utz^chkeit, ihre kreative Phase hinter sich (S. 17; neutischen Ansatz bestimmte: aus der Existentialphiloso-
); denn ihr ursprüngliches Gegenüber, gegen das sie einst phie (H.Jonas). Doch dazu treten nun Wissens- und Wiste
. re*en war und demgegenüber sie Fortschritt bedeute- senschaftssoziologie und — für Wink im Vordergrund ste-
> «t erledigt: das Inspirationsdogma. Nun stagniert sie, hend — eine psychoanalytisch orientierte Philosophie post-
st sie „bankrott" (S. 7—17); sie kann auf die neuen Fragen freudianischer (P. Homans, D. Bakan), aber auch CG.
er Menschheit keine neue Antwort mehr geben. Darum Jungscher Richtung (E. B. Howes).

, arf d'e Bibelexegese eines ganz neuen „Denkrasters", Also: eine radikalisierte oder potenzierte Aufklärung, die

as die historisch-kritische Arbeit nicht beiseite fegt, son- nach der Verobjektivierung des Gegenstands der Exegese

ern integriert, aber zu neuen Ufern vorstößt, so daß auch nun auch das erkennende Subjekt analysiert und verobjek-

eute Persönliche und gesellschaftliche Veränderung er- tiviert? Das ist nicht Winks Ziel; denn das bedeutete nur

T^f1!^ wird" (S. 47). Darum ist „ein radikal anderes Mo- Verschärfung, nicht Überwindung der Krise. Aber wohin

eil für die Rolle des Interpreten gegenüber dem Text zu führt der Weg? Der knappe zur Verfügung stehende Raum

en wickeln" (S. 12). erlaubt keinen Gegen-Essay, sondern nur eine Beobach-