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Ausgabe:

1978

Spalte:

155-158

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Thiel, Winfried

Titel/Untertitel:

Die soziale Entwicklung Israels in vorstaatlicher Zeit 1978

Rezensent:

Thiel, Winfried

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 2

15C

Leser (Christen und Juden) durch sie den Grund des gegenwärtigen
Gegensatzes zum Judentum, die Notwendigkeit,
mitten im Haß und in der Verfolgung auszuharren und die
Gerechtigkeitsforderung ständig neu in der Liebe aufzunehmen
, kurz nicht nur ihre Gegenwart, sondern auch ihre
eigentliche Aufgabe richtig verstehen können.

Thiel, Winfried: Die soziale Entwicklung Israels in vorstaatlicher
Zeit. Diss. B Humboldt-Universität Berlin 1976. III,
719 S.

In dieser Arbeit wird der Versuch unternommen, die gesellschaftliche
Entwicklung Altisraels als eine von vielen
unterschiedlichen Faktoren und Traditionen bestimmte Geschichte
darzustellen. Die Untersuchung beschränkt sich dabei
auf die durch die zur Verfügung stehenden Quellen relativ
karg dokumentierte vorstaatliche Zeit.

Im ersten Hauptteil („Einleitung", S. 1—35) skizziert der
Vf. zunächst die „Problematik" (S. 1—17) und unterstreicht
dabei das Gewicht der nomadischen Traditionen Israels und
das Überleben nomadischer Anschauungen und Institutionen
im Kulturland. Die soziale Entwicklung Israels erklärt
sich daher weithin aus dem Mit- und Gegeneinander von
nomadischen Traditionen und den kanaanäischen Institutionen
Palästinas. Eine Prüfung von „Forschungsstand und
Quellenlage" (S. 18—35) ergibt, daß die verschiedenen einschlägigen
Arbeiten (von Fr. Buhl bis R. de Vaux) in der
Regel eine Beschreibung der „sozialen Struktur" Israels,
aber keine wirklich geschichtliche Entwicklungsdarstellung
bieten. Zum Teil entspricht dies der Eigenart des Quellenmaterials
: Soziale Probleme werden in den alttestament-
lichen Texten eher vorausgesetzt als dargelegt, sie haben
überwiegend Hintergrundsfunktion. Wirtschafts- und Verwaltungsurkunden
aus der vorstaatlichen Zeit sind kaum
vorhanden. Zum Versuch einer Darstellung der sozialen
Entwicklung Israels ermutigen jedoch neuere Textfunde
(aus Mari, Ugarit und Alalach), die allerdings mehr die Umwelt
Israels betreffen, die Ergebnisse von Ausgrabungen in
Palästina sowie der Stand der Erforschung der vorstaatlichen
Geschichte Israels.

Das Fehlen einer ausreichenden Quellenbasis über die
nomadische Frühgeschichte Israels veranlaßt dazu, im zweiten
Hauptteil „Nomadische Gemeinschaftsformen" (S. 36
bis 227) zunächst besser dokumentierte nomadische Erscheinungen
aus der zeitlichen und räumlichen Umwelt Israels
zum Vergleich heranzuziehen.I Zuerst werden „Vorislamische
und neuzeitliche arabische Beduinen" (S. 36—83) behandelt
, und zwar hinsichtlich ihrer Stammesorganisation,
der Führung des Stammes, der Institutionen der Blutrache,
des Gast- und Schutzrechtes sowie ihrer Wirtschaft, ihrer
Eigentumsverhältnisse und der sozialen Schichtung. Eine
bessere Parallele als die kamelzüchtenden arabischen Beduinen
bilden die zu Kleinviehzüchtern herabgesunkenen
und zur Seßhaftigkeit übergehenden Halbbeduinen. Die Bedeutung
von Angaben aus dem beduinischen Bereich für die
Rekonstruktion der nomadischen Frühgeschichte Israels
wird in den ähnlichen Verhältnissen im Halbbeduinentum
und Halbnomadentum und in den analogen Bedingungen
einer vorstaatlichen Gesellschaft im Milieu des nomadisierenden
Lebens in der Steppe begründet. Anschließend werden
die Nachrichten über die Halbnomaden von Mari (S. 84
bis 113), besonders im Blick auf ihre Wirtschaft und Lebensweise
und ihre Stammesorganisation und Stammesführung,
ausgewertet. Die hier genannten nomadischen Gruppen, vor
allem tJanäer und Iamirüten, waren Stämme kleinviehzüchtender
Halbnomaden, die auf dem Wege der Transhu-
manz in das Euphrattal gelangten, hier jahreszeitlichen
Ackerbau betrieben und zunehmend seßhaft wurden. Sie
lebten in einer patriarchalischen Stammesorganisation, deren
Grundlage die Sippe war. Grundbesitz galt, soweit er
vorhanden war, als gemeinsames Eigentum der Sippe.

Stammeshäupter und Älteste bildeten die Stammesführung.
Die Darstellung wendet sich dann dem eigentlichen Ziel
dieses Kapitels, den „Frühisraelitischen Halbnomaden"
(S. 114—227), zu und erörtert zunächst die Bedeutung der
Vätergeschichten der Genesis als Quellen für die Verhältnisse
der halbnomadischen Erzvätergruppen. Wirtschaft
und Lebensweise der Frühisraeliten wurden bestimmt
durch Kleinviehzucht und Weidewechsel sowie durch gelegentlichen
halbnomadischen Ackerbau. Diese Gruppen waren
überwiegend unkriegerisch und einigten sich mit den
Landesbewohnern über die Benutzung von Weiden und
Wasserstellen in der Regel durch friedliche Vereinbarungen.
Die Basis ihres Zusammenlebens war die Blutsverwandtschaft
. Die wichtigste soziale Einheit war nicht der Stamm,
obwohl schon einige Stämme (etwa Simeon und Levi) existierten
, sondern die Verwandtschaftsgruppe (Großfamilie
bzw. Sippe, in dieser Zeit noch identische Größen). Diese
umfaßte drei bis vier Generationen und unterstand einem
patriarchalischen Oberhaupt, dem pater familias, der das
Entscheidungsrecht über die Angelegenheiten der Gruppe,
das Eigentumsrecht, das Recht der Polygynie, der Jurisdiktion
und der Kultausübung besaß. Als eine Familien-, Wirtschafts
-, Rechts- und Kultgemeinschaft sorgte die Verwandtschaftsgruppe
für ein geregeltes Zusammenleben und
ausreichende Versorgung ihrer Glieder. Soziale Minderheiten
stellten Schützlinge und Sklaven dar. Die großfamiliäre
Struktur der Gruppe und das unsichere Leben in der Steppe
verhinderten krasse Besitzunterschiede und nivellierten die
vorhandenen sozialen Differenzen.

Der dritte Hauptteil hat die „Kanaanäische Klassengesellschaft
" (S. 228—340) zum Gegenstand. Zunächst werden die
sozialen Verhältnisse von Ugarit und Alalach dargestellt.
Sie werden gekennzeichnet durch das Gegenüber einer privilegierten
Oberschicht mit dem König an der Spitze und
einer abhängigen, abgäbe-, frondienst- und militärdienstpflichtigen
Untertanenschicht. Grundsätzlich gilt dies auch
für die Gesellschaftsstruktur im spätbronzezeitlichen Palästina
. In diesem Zusammenhang werden die territorialen
Verhältnisse, die wirtschaftlichen Bedingungen (Ackerbau,
Viehzucht, Handwerk, Handel) sowie die Rolle der Aristokratie
, der Elitekrieger, der Priester und der Sklaven geprüft
. Abgelehnt wird, wie auch schon für Ugarit, die Charakterisierung
der kanaanäischen Gesellschaft Palästinas
als „feudal" oder „halbfeudal". Die kleinräumigen Verhältnisse
Palästinas und die Konzentration der Stadtstaaten in
den Ebenen verhinderten in der Regel größere Machtbildungen
. Die starke militärische Kontrolle und wirtschaftliche
Ausbeutung durch die Ägypter sowie die dauernden
Machtkämpfe der Dynasten untereinander ruinierten Wirtschaft
und Handel und führten zum Niedergang der Stadtstaaten
. Vor allem verelendete die bäuerliche Untertanenschicht
. Zeugen dafür sind die Aktivitäten der habiru, einer
Schicht von am Rande der Gesellschaft lebenden, aus ihr
ausgestoßenen und rechtlosen Menschen, sowie die Umwälzungen
in vielen Stadtstaaten, die die monarchische Herrschaft
durch die oligarchische ersetzten und wohl auf dem
Hintergrund der Unzufriedenheit mit den bestehenden sozialen
Verhältnissen zu erklären sind.

Der vierte Hauptteil „Das seßhafte Israel in vorstaatlicher
Zeit" (S. 341—628) beschreibt diese Epoche als eine Zeit des
Ubergangs und des allmählichen gesellschaftlichen Wandels
. Dieser ergab sich aus der Notwendigkeit der Anpassung
der halbnomadischen Traditionen und Institutionen an
die Bedürfnisse des seßhaften, agrarischen Lebens sowie
durch ihre Auseinandersetzung mit der kanaanäischen Kultur
und Gesellschaftsform. Der „Vorgang der Landnahme"
(S. 342—355) wird im Anschluß an A. Alt als ein langsamer
und überwiegend-friedlicher Prozeß der Ansiedlung in den
wenig bewohnten Landesteilen verstanden. Die wirtschaftlichen
und politischen Voraussetzungen, die das Kulturland
den sich ansiedelnden frühisraelitischen Halbnomaden bot,
werden im Abschnitt „Die Bedingungen des Landes" (S. 356
bis 384) hinsichtlich der geographischen, ökonomischen und