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Ausgabe:

1978

Spalte:

150

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Weber, Otto

Titel/Untertitel:

Karl Barths kirchliche Dogmatik 1978

Rezensent:

Krötke, Wolf

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149

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 2

150

testamentliche Kapitel dieses Genres sind absolut überflüssig
.

Für Werke wie das vorliegende ist es vielmehr notwendig
, daß der Vf. sich in der Weise in die exegetische Spezial-
literatur einarbeitet, daß er Kenntnis von dem faktischen
Stand der Forschung hat (der nicht unbedingt mit dem zuletzt
zu der betreffenden Frage erschienenen Artikel identisch
zu sein braucht) und in der Lage ist, unter Abwägung
gegensätzlicher Standpunkte, sich ein eigenes begründetes
Urteil zu bilden. In Molls Ausführungen zum neutestament-
Iichen Abendmahlsverständnis vermißt man an allen Enden
Gründlichkeit und Präzision. Nach J. Jeremias liegen der
Deutung Jesu von Brot und Wein als sein Leib und sein
Blut opferkultische Vorstellungen zugrunde. Diese Interpretation
ist auch nach Meinung des Rez. zutreffend. Sie ist
jedoch von zahlreichen Exegeten mit erwägenswerten Gründen
bestritten worden (u. a. von E. Schweizer und H. Patsch).
Moll übernimmt aber in diesem wie in anderen Fällen die
Auffassung von Jeremias, ohne auf gegensätzliche Hypothesen
einzugehen: so in der Frage des aramäischen Äquivalentes
von soma (Jeremias: bisra; Dalman, E. Schweizer
u. a.: guph) und in der Frage, ob Jesus die Elemente Brot
und Wein oder die Handlungen (Zerbrechen des Brotfladens,
Ausgießen des Weines) deuten wollte.

Bei fast allen erörterten Einzelproblemen zeigt der Vf.,
daß er die neuere Forschung und Diskussion überhaupt
nicht oder nicht genügend zur Kenntnis genommen hat.
H. Schürmanns mittlerweile doch wohl überholte Hypothese
, daß wir es in dem lukanischen Abendmahlsbericht
mit eigenständiger und sehr urtümlicher Überlieferung zu
tun haben, wird in aller Ausführlichkeit referiert. Die Deutung
der Formel hyper pollon (Mk 14, 24) auf „die Gesamtheit
der Menschen ohne Ausnahme" (Moll S. 58) ist doch so
selbstverständlich nicht. Immerhin wird Jes 53 in der jüdischen
Tradition nicht im Sinne einer Selbsthingabe für die
Völker gedeutet (Patsch, Abendmahl und historischer Jesus,
S. 181 f.). Es wäre dann möglich, daß in Mk 14, 24 ebenso wie
in Mk 10,45 mit polloi die Gesamtheit der eschatologischen
Gemeinde bezeichnet wird, ähnlich wie in Qumran die
»Vielen" (harabim) identisch sind mit der eschatologischen
Gemeinschaft (vgl. QS VI. 1 ff.; 1 QSa II, 17 ff.). Der von Jesus
gemeinte ursprüngliche Bezug auf die eschatologische
Gemeinde wäre dann von Paulus (to hyper hymon, 1 Kor
11.24) auf seine christliche Gemeinde umgedeutet worden.
Bei diesem und anderen Problemen wäre der Vf. weitergekommen
, wenn er sich wenigstens mit dem oben angeführten
Buch von H. Patsch, das er lediglich einmal flüchtig erwähnt
, sowie vor allem auch mit der Dissertation von H. Les-
sig (Die Abendmahlsprobleme im Lichte der neutestament-
lichen Forschung seit 1900, Bonn 1953) eingehend befaßt
hätte.

S. 54 ist irrtümlich vom „Fehlen der Deuteworte bei Mk
und Mt" die Rede. Gemeint ist wohl das Fehlen des Wiederholungsbefehls
und des damit verbundenen anamnesis-
Gedankens in den beiden ersten Evangelien. S. 34, Z. 24 muß
es heißen: vorgehen.

An die Interpretation von Joh 6, 51 hat sich Moll ebenfalls
ohne Berücksichtigung der neueren Forschung (E. Ruckstuhl
, C. Moule, J. Racette, E. Schweizer, C. K. Barrett,
8. Leroy) gewagt. In dem Werk des zuletzt genannten
Autors: ..Rätsel und Mißverständnis, Bonn 1968". S. 115 bis
122, hätte er z. B. eine überzeugende Auslegung von Joh 6,
51c—58 im Gesamtzusammenhang des vierten Evangeliums
finden können, die die Annahme eines redaktionellen Eingriffes
an dieser Stelle überflüssig macht.

Der wertvollste und gelungenste Teil des Buches von Moll
Jst zweifellos der zentrale Teil über die literarischen Zeugnisse
der eucharistischen Opfervorstellung im nachneutesta-
^entlichen Schrifttum. Der Vf. befindet sich hier auf eigenem
, von ihm selbst bearbeiteten Gelände. Die angewandte
Methode einer genauen philologischen Interpretation der
einschlägigen Texte ist solide und unanfechtbar.

Vom ersten Clemensbrief werden die Stellen 1 Clem 35—36

mit der Formel ho archiereus ton prosphoron hemon (1 Clem
36,1) und 1 Clem 40—44 mit der Formel prospherein ta dora
(1 Clem 44, 4) analysiert. Als Ergebnis zeigt sich, daß der
eucharistische Opfergedanke nur in geringfügigen Spuren
vorhanden ist.

In den Ignatius-Briefen untersucht der Vf. vier Stellen,
an denen der Begriff thysiasterion vorkommt: Eph 5, 2—3;
Trall7, 2; Magn7,2; Phld 4. Eine Opfervorstellung im Zusammenhang
mit dem eucharistischen Kult ist deutlich ausgesprochen
, wenn sie auch nicht auf den kultischen Bereich
begrenzt ist. Zu einem ähnlichen Ergebnis führt die Untersuchung
der Didache, von der die Stellen 9,1 - 10, 6 und
14,1 — 15, 2 interpretiert werden. Nur dürftige Spuren einer
Übertragung von Opfervorstellungen auf die Eucharistie
finden sich dagegen im Barnabasbrief (Abschn. IV) und in
den antikultischen Texten der Apologeten (Abschn. VI).

Justin bietet in der ersten Apologie und im Dialogus eine
ausführliche Theologie des Abendmahls. Er polemisiert gegen
jüdischen und heidnischen Opferkult. Im Opfer der
Christen dagegen ist die Verheißung des Propheten Ma-
leachi (1,10 ff.) vom reinen, Gott wohlgefälligen Opfer in
Erfüllung gegangen. Der Opferbegriff des Justin umfaßt
Kultus und Leben der Christen. Seine Gedanken sind nicht
in jeder Weise einheitlich und ausgeglichen. Auf das Verhältnis
von Kultus und Leben als Opfer des Christen hätte
der Vf. in diesem wie in dem letzten Abschnitt über Irenäus
noch näher eingehen müssen, desgleichen auf den gerade
in diesem Zusammenhang interessanten religionsgeschichtlichen
Hintergrund der Opfer- und Kultkritik und die darin
sich aussprechende Gottesvorstellung.

Ist an Methode und Ergebnissen dieses zentralen Teiles
der Arbeit kaum etwas auszusetzen, so bleibt doch festzustellen
, daß auch nichts überraschend Neues und bislang
gänzlich Unbekanntes gesagt wird. Dieser abschließende
Eindruck ist insofern etwas betrüblich, als es gerade im Bereich
der patristischen Theologie noch viele ungelöste Fragen
und Neuland für die Forschung gibt.

WUrzburR Helmut Feld

Weber, Otto: Karl Barths Kirchliche Dogmatik. Ein einführender
Bericht zu den Bänden 1,1 bis IV, 3, 2. Mit einem
Nachtrag von H.-J. Kraus zu Band IV, 4. 7., erw. Aufl.
Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag des Erziehungsvereins
[1975]. 348 S. 8".

Zur Problematik dieses Berichts haben Karl Barth und
Otto Weber selbst das Notwendige gesagt. Es kann sich nur
um den „Entwurf einer Landkarte" handeln (S. 7), der niemandem
die eigene Lektüre der Kirchlichen Dogmatik erspart
. H.-J. Kraus hat diesem unveränderten Bericht (dem
leider das Geleitwort von Barth fehlt) in der Art und Weise
von Weber ein Referat.über Barths Tauflehre (Fragment
von KD IV, 4) hinzugefügt. Es wird in großen, zusammenraffenden
Zügen eine knappe Inhaltsangabe der Kirchlichen
Dogmatik gegeben. Dabei bleibt natürlicherweise
gerade das auf der Strecke, was das Denken Barths auszeichnete
, nämlich seine Lebendigkeit und Spannung. Es ist
darum fraglich, ob dieser Bericht es in unserer heutigen
Situation noch leisten kann, einem Anfänger im Studium
der Dogmatik Barths Mut zum Lesen der Dogmatik selbst
zu machen. Dazu dürfte jeder einzelne Band dieses großen
Werkes immer noch am besten geeignet sein.

Weil es jedoch einleuchtet, daß ein solcher Bericht als
Hilfe für eine erste Orientierung in dem Gesamtwerk eine
sinnvolle Funktion haben kann, ist zu fragen, ob man in
dieser Neuauflage die Architektur der Kirchlichen Dogmatik
nicht deutlicher hätte herausarbeiten können. Gerade
wenn der Gewinn dieses Berichtes in bezug auf die Sache
von Barths Denken so begrenzt bleiben muß, ist es erforderlich
, mehr für eine übersichtliche Form zu tun, als es
hier geschieht.
Berlln Wolf Krötke