Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1978

Spalte:

133-135

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Katholische Kirche im Dritten Reich 1978

Rezensent:

Meier, Kurt

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

133

i

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 2

134

These, die durch die gesamte Anlage und die einzelnen
Ergebnisse der Darstellung überzeugend bewiesen wird,
kommen die für das Denken Diltheys wichtigsten Themen
zur Sprache, wie Wissenschaftstheorie, Weltanschauungslehre
, Hermeneutik, wobei die geistesgeschichtliche Linie
sowohl nach rückwärts auf Schleiermacher als auch nach
vorwärts, die wirkungsgeschichtliche Bedeutung Diltheys
für die Literaturwissenschaft (Unger), die Pädagogik
(Spranger, Nohl), die Existenzialanalytik (Heidegger) beleuchtend
, ausgezogen wird.

Der Herausgeber Bernd Moeller hat mit der Zusammenstellung
und der Herausgabe beider Beiträge eine glückliche
Hand bewiesen, hat doch dieses Buch den Vorzug, verläßliche
Information mit einer Fülle von anregenden Fragestellungen
zu verbinden und gehört über den kirchengeschichtlichen
Leserkreis hinaus in die Hand jedes an geistesgeschichtlicher
Arbeit Interessierten.

Kiel Walter Göbell

Albrccht, Dieter [Hrsg.]: Katholische Kirche und Drittes
Reich. Eine Aufsatzsammlung. Mainz: Matthias-Grünewald
-Verlag [1976]. VIII, 272 S. kl. 8° = Topos-Taschen-
bücher, 45. DM 9,80.

Im ersten Dezennium nach dem 2. Weltkrieg wurde das Verhältnis
zwischen katholischer Kirche und NS-Staat stärker
unter dem Gesichtspunkt von Verfolgung und Widerstand
dargeboten, ganz gleich, ob es sich um Erinnerungsbeiträge
oder gezielte Dokumentationen handelte. Im Zusammenhang
mit dem Prozeß um die Frage der Weitergeltung des
Reichskonkordats von 1933 in der Bundesrepublik trat die
Anfangsphase des Dritten Reiches, insbesondere das Jahr
1933 ins Blickfeld kritischer geschichtswissenschaftlicher
Untersuchung, die auch insofern zu einem revidierten Geschichtsbild
führte, als die komplexe Situation des Jahres
1933 aufgewiesen wurde. Das dadurch wie auch durch Forschungen
über das Ende der Zentrumspartei (R. Morsey) auf
das Jahr 1933 gelenkte Interesse hat Autoren wie E.-W.
Böckenförde und H. Müller zu lebhafter Kritik am Verhalten
der katholischen Kirche angeregt. Das politische
Gegenwartsinteresse, das mit der Kritik am Katholizismus
von 1933 das kirchliche Selbstverständnis des zeitgenössischen
Katholizismus der fünfziger Jahre treffen sollte, hat
dazu geführt, daß die sogenannte revisionistische Forschung,
die dem mehr oder minder triumphalistischen bzw. auch
martyrologisch-akzentuierten Geschichtsbild der frühen
Nachkriegsphase galt, schließlich in eine weitgehend meta-
historisch-moralisierende Hyperkritik umschlug, die den
deutschen Episkopat, aber auch den Vatikan selbst des geschichtlichen
Versagens bezichtigte (R. Hochhuth, Gordon
C. Zahn, Saul Friedländer, Guenter Lewy). Gleichzeitig
Wurde, wie auch die 1962 gegründete katholische „Kommission
für Zeitgeschichte" mit ihren inzwischen sehr beachtlichen
Publikationen und Editionen zeigte, die vertiefte
fachhistorische Forschung auf der ganzen Linie angekurbelt,
während das bis auf Theater und Massenkommunikations-
mittel übergreifende Öffentlichkeitsinteresse an dieser Thematik
inzwischen spürbar zurückgegangen ist. In diesem
Sinne bietet der bisher noch nicht veröffentlichte Forschungsbericht
, den Ulrich v. Hehl beisteuert (es handelt
sich um einen informationsgesätrigten Extrakt einer Bonner
Diplomarbeit von 1973) einen instruktiven Überblick über
die Forschungsentwicklung seit 1945. Er weiß sich in seinen
Urteilskriterien der verschiedenen Phasen der Historiographie
des katholischen Kirchenkampfes der „alten Historikerfrage
" nach der „konkreten Realisierbarkeit" von ethischen
Maximalforderungen verpflichtet (S. 239). Diese
Fragestellung hatte Ludwig Volk in seiner hier wiederabgedruckten
Rezension von G. Lewys Darstellung der katholischen
Kirche im Dritten Reich bereits kritisch artikuliert.
L. Volk, noch mit drei weiteren, auch in der Diktion bestechenden
Beiträgen vertreten (zwei Berichte über die
Fuldaer Bischofskonferenz im Dritten Reich und eine Rezension
über John S. Conways Darstellung der NS-Reli-
gionspolitik, die sich hier zahlreichen kritischen Beanstandungen
ausgesetzt sieht), konstatiert bei Lewy nicht wenige
in gesucht einseitiger Belegstellenauswahl begründete Fehlurteile
. Lewys Konzeption, in Anwendung der These vom
Milieukatholizismus, wie sie Carl Amery als gewiß beachtenswerten
soziologischen Aspekt einführte, habe als Fazit
des katholischen Kirchenkampfes lediglich „die Anpassungspolitik
des deutschen Episkopats" gesehen und daraus
grundsätzliche Folgerungen für das „Unvermögen der katholischen
Kirche" gezogen, „ihre institutionellen Interessen
zugunsten ihres moralischen Wächteramtes zu übersteigen
" (S. 208). Kennzeichnend für die Einordnung, die Lewy
durch Volk erfährt, ist der Titel der Rezension: „Zwischen
Geschichtsschreibung und Hochhuthprosa". Dabei weiß
Volk durchaus auch die schwachen Seiten und Versäumnisse
des deutschen Episkopats durch ungenügende Handlungsentschlossenheit
aufzuzeigen (verständnisvolle, aber
unverblümte Kritik an Kardinal Bertram in Breslau als
dem Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz). Die Beiträge
über die Konferenz des deutschen Episkopates (1933
bis 1945) sind Kabinettstücke historischer Darstellungskunst
und bieten auf engem Raum den verlaufsgeschichtlichen
Durchblick ohne Verzicht auf das anschauliche konkrete
Detail.

Konrad Repgen versucht, in „Hitlers Machtergreifung
und der deutsche Katholizismus" (S. 1—34) eine Bilanz der
bisherigen Forschung zu diesem Problemkreis zu geben und
resümiert: „weder die staatlichen noch die kirchlichen noch
die privaten Akten enthalten einen Hinweis darauf, daß
zwischen dem Ja des Zentrums zum Ermächtigungsgesetz
und nicht nur dem Beginn der Konkordatsverhandlungen
von 1933, sondern auch dem Plan, diese Verhandlungen aufzunehmen
, ein Wirkungszusammenhang besteht" (S. 26).
Der Forschungsstand zur Zeit des Karlsruher Konkordatsprozesses
Mitte der fünfziger Jahre war darin noch erheblich
kontrovers und der hier vermittelten Gegenwartsbilanz
weitgehend konträr. Uber „Die politische Klausel des
Reichskonkordats und deutsch-vatikanischen Beziehungen"
(S. 128—170) referiert der Herausgeber selbst. Dieter Albrecht
, bekannt auch durch seine zweibändige Edition „Der
Notenwechsel zwischen dem Hl. Stuhl und der deutschen
Reichsregierung" (Mainz 1965, 1969), verweist in diesem
Beitrag auf die schon früh sichtbare Ambivalenz des vom
NS-Regime totalstaatlich, das heißt umfassend im Sinne
des NS-Ideologiekonglomerats interpretierten Begriff des
„Politischen" und informiert über den Druck des NS-Staa-
tes, die politische Klausel des Reichskonkordats auch auf
die annektierten Gebiete auszudehnen, für die das Reichskonkordat
gar nicht galt, während andererseits die Zuständigkeit
des Vatikans in diesen „konkordatsfreien" Räumen
bestritten wurde. Josef Becker behandelt das Thema „Der
Vatikan und der II. Weltkrieg" (S. 171-193) und versucht
in dem erstmals 1972 erschienenen Festschriftbeitrag das
simplifizierende Dilemma „Macht oder Moral" bei der Beurteilung
Pius XII. durch differenziertere Betrachtung zu
überwinden. In dieser Hinsicht in der Tradition der Diplomatenpäpste
Leo XIII. und Benedikt XV. stehend, habe
Pius XII. — von den Erfahrungen des 1. Weltkrieges entscheidend
geprägt — im Bann von Lösungsmodellen internationaler
Konflikte gestanden, die der Zwischenkriegsgeneration
geläufig waren. Er habe neben der politisch gebotenen
Neutralität des Vatikans auch mit dem moralischen Verdikt
(was die konkrete Adressierung betraf) insofern Zurückhaltung
geübt, als er eine Nachkriegsordnung in Analogie
zum Versailler Friedensvertrag und seinen politisch verheerenden
Auswirkungen fürchtete und nicht wiederholt
sehen wollte. Das „Gewicht des antikommunistischen Motivs
" bei Pius XII. bleibe zwar „nicht eindeutig bestimmbar
", doch habe er die Gefahr des NS-Regimes unterschätzt,
während die Aversion gegen den Kommunismus und die