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Ausgabe:

1978

Spalte:

127-129

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Hagen, Kenneth

Titel/Untertitel:

A theology of testament in the young Luther 1978

Rezensent:

Junghans, Helmar

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 2

128

nicht einmal im Ansatz. Es versteht sich, daß bei jedem der
von ihm hier so knapp behandelten Theologen wesentliche
Literatur nicht herangezogen wird. Es wäre besser gewesen
, etwa einen einzigen Theologen zum Vergleich näher zu
untersuchen, diesen dann aber auch in seiner geschichtlichen
Situation zu würdigen.

So zahlreich die Themen von Luthers Theologieverständnis
sind, die Weier erörtert, so scheinen mir doch einige
grundlegend wichtige Aspekte nicht die genügende Aufmerksamkeit
gefunden zu haben. Neben der theologia cru-
cis, den assertorischen Aussagen oder dem Thema von Gesetz
und Evangelium wäre etwa auch folgendes zu bedenken
gewesen: 1. Luther geht in seiner gesamten theologischen
Arbeit jeweils von bestimmten zentralen Aussagen
aus, die er jedoch nicht schematisch weiterentwickelt, sondern
in einer großen Elastizität auf die Einzelprobleme hin
entfaltet. Man kann dies etwa bei Luthers Exegese beobachten
. Die von Weier vorschnell behauptete Gleichsetzung
von Schrift und Wort Gottes (30) wird Luther so nicht gerecht
. Zwischen Schrift und Wort Gottes liegt ein ähnlicher
hermeneutischer Zirkel vor wie zwischen den mannigfaltigen
Einzelaussagen und den Kernthemen, die Luther aus
der Schrift gewinnt, von denen her er aber auch die Schrift
auslegt. 2. Luther — und dies wird in seiner Bedeutung für
die gesamte Reformation bei Weier nicht deutlich — betreibt
seine Theologie aber nicht nur formal und inhaltlich anders
als Frühere, sondern er zieht aus ihr auch andere Konsequenzen
: theologische Arbeit geschieht in Verantwortung
vor Gott für die Kirche und kann darum gegebenenfalls
auch vor schärfster Kritik nicht Halt machen. Bei allen
Ähnlichkeiten und Unterschieden, die sich im einzelnen
zwischen Luther und Früheren beobachten lassen, hat es
dieses Phänomen doch so vor Luther nicht gegeben. Auch
Männer wie Wyclif und Huß sind in ganz anderer Weise als
Luther mit der Kirche ihrer Zeit in Konflikt geraten. 3. Theologische
Arbeit zielt — und auch dies finde ich bei Weier
nicht in der nötigen Schärfe dargestellt — auf die stete Neuorientierung
der Kirche und des Christen an den Aussagen
des Neuen Testamentes, ohne daß Luther deswegen die
Schrift biblizistisch oder gesetzlich als Norm verstanden
hätte. Hierfür wäre etwa die neue Füllung von Begriffen
wie fides, iustitia, poenitentia, opera in den frühen Vorlesungen
und im Vergleich damit die „Anwendung" in den
Sermonen von 1518—1520 von Interesse. 4. Luthers Theologieverständnis
erschöpft sich aber nicht in der Konzentration
auf die neuen, reformatorischen Themen, sondern Luther
nimmt in seiner theologischen Arbeit zugleich in großem
Umfang die lehrhafte Tradition auf. Dies hatte schon
K. G. Steck gezeigt. Zu verweisen ist hierfür insbesondere
auf die Disputationen (WA 39 ITI). Dabei müßte die Beziehung
zwischen dem reformatorischen Zentrum und der
Lehrtradition sowohl hinsichtlich des Neuansatzes als auch
hinsichtlich der Lehrentfaltung herausgearbeitet werden.

Immerhin hat Weier in seiner Arbeit nicht nur viel Material
zusammengestellt, sondern auch zahlreiche wichtige
Themen, die für die Erfassung von Luthers Theologieverständnis
wichtig sind, knapp erörtert.4

Hamburg Bernhard Lohse

' Das Thema vom verborgenen Gott von Nikolaus von Kues zu
Martin Luther, Münster 1967; s. dazu meine Rezension ZKG 79, 1968,
414-417; cf. M. Greschat, ThLZ 95, 1970 Sp. 45-48.

■ Lehre und Kirche bei Luther, München 1963.

1 Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von
Aquin. Versuch eines systematisch-theologischen Dialogs, Mainz
1967.

' s. auch Weiers Aufsatz: Das Theologieverständnis Martin Luthers
und dessen Bedeutung für die Gegenwart, Catholica 24, 1970,
177-193.

Hagen, Kenneth: A Theology of Testament in the Young
Luther. The Lectures on Hebrews. Leiden: Brill 1974. VIII,
129 S. gr. 8° = Studies in Medieval and Reformation
Thought, ed. by H. A. Oberman, XII. hfl. 32,-.

Der Vf. hat 1966 an der Harvard University in Cambridge,
Mass. mit der Dissertation „Luther's lectures on Hebrews
in the light of medieval commentaries on Hebrews" promoviert
. Nach weiterer Beschäftigung mit der Theologie
des jungen Luther und dessen Hebräerbriefvorlesung von
1517/1518 ist die vorliegende Arbeit entstanden. Sie hat das
Ziel, das Hauptthema der Theologie des jungen Luther zu
erfassen.

Während dieses meist in der ersten Psalmenvorlesung
(1513—1515) und der Römerbriefvorlesung (1515—1516) gesucht
wird, will der Vf. es aus der Hebräerbriefvorlesung
erheben. Die Eigenart Luthers will er auffinden, indem er
dessen Auslegung mit der mittelalterlichen vergleicht. Notgedrungen
tut er das in Auswahl. Er zieht vor allem Johannes
'Chrysostomus, Alkuin, die „Glossa ordinaria" und die
„Glossa interlinearis", Thomas von Aquin, Nikolaus von
Lyra, Petrus von Tarantasia, Faber Stapulensis und Erasmus
von Rotterdam heran. Außerdem geht er auf Augustin
ein, obgleich dieser keinen Kommentar zum Hebräerbrief
geschrieben hat. Auf diese Weise erhält er ein Vergleichsmaterial
, das über das hinausführt, was Johannes P. Boen-
dermaker 1965 in seiner Untersuchung der Hebräerbriefvorlesung
Luthers herangezogen hat.

Was ist nun nach der mittelalterlichen Exegese und nach
Luthers Auslegung das Hauptthema des Hebräerbriefes?

Der Vf. arbeitet heraus, daß die mittelalterlichen Kommentatoren
es übereinstimmend im Verhältnis Christi zum
Alten Testament sehen, das sie mit der excellentia Christi
umschreiben, woraus sich eine Vorzugsstellung des Neuen
Testamentes gegenüber dem Alten ergibt. Die Aussagen
Augustins ordnet der Vf. drei Ebenen zu:

1. Der heilsgeschichtliche Gesichtspunkt: Die beiden Testamente
enthalten die Entwicklung von Gottes Vorsehung.
Die beiden Testamente unterscheiden sich nach ihren Sakramenten
und Verheißungen (terrena — caelestina, timor
— amor), dennoch ist in beiden Testamenten das eine testa-
mentum fidei enthalten.

2. Der soteriologische Gesichtspunkt: Beide Testamente
stammen von einem Gott, aber im Alten Testament ist Gottes
Heilsplan verborgen, während er im Neuen offenbart
ist. Dieses Verhältnis ist zugleich ein Modell für die Entwicklung
des Glaubenden, der aus einem alten ein neuer
Mensch wird.

3. Der hermeneutische Gesichtspunkt: Während auf den
ersten beiden Ebenen der Gegensatz zwischen Altem und
Neuem Testament inhaltlich hervorgehoben wird, ohne daß
er mit den Schriften des Alten bzw. Neuen Testamentes zusammenfallen
muß, verteidigt Augustin unter hermeneu-
tischen Gesichtspunkten die Übereinstimmung der beiden
Testamente.

Der Vf. hebt nun hervor, daß Luther sich gegen die mittelalterliche
Zuordnung der beiden Testamente wende und
statt dessen ihren Gegensatz betone, weil er sie unter so-
teriologischen Gesichtspunkten betrachte. Er sehe in ihnen
zwei Heilswege, den Gegensatz von Gesetz und Evangelium.
Der Vf. möchte nun — nachdem er gleiche Gedanken in der
ersten Psalmenvorlesung nachgewiesen hat (61—68) — die
Theologie des jungen Luther als eine „theology of testa-
ment" umschreiben. Gemeint ist damit das eine testamen-
tum fidei Augustins, das als ein Wort von Gott kommt und
von den Menschen entweder als Gesetz oder als Evangelium
aufgenommen wird. So kann der Vf. Luthers Vorstellung
von der Existenz des Christen als „simul vetus et novum
testamentum" auffassen (69).

Im Anschluß an diese Grundlegung zeigt der Vf. auf, wie
sich Luthers Lehre über den Glauben, der im Hören empfangen
wird, das Herz reinigt, ein Besitz erhoffter Dinge
ist und persönliche Glaubensgewißheit bringt, sowie die
christologischen Aussagen Luthers im Rahmen dieser theology
of testament verstehen lassen (71—116).

So sinnvoll es sein kann, Luthers theologische Aussagen
unter dem Gesichtspunkt des testamentum zu ordnen, so
schwierig wird dieses Unterfangen, wenn man nach Luthers