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Ausgabe:

1978

Spalte:

125-127

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Weier, Reinhold

Titel/Untertitel:

Das Theologieverständnis Martin Luthers 1978

Rezensent:

Lohse, Bernhard

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125

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 2

126

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Weier, Reinhold: Das Theologieverständnis Martin Luthers.

Paderborn: Bonifacius Druckerei [1976]. 317 S. gr. 8° =
Konfessionskundliche u. kontroverstheologische Studien,
hrsg. vom Johann-Adam-Möhler-Institut, XXXVI. Lw.
DM 40,-.

Im Jahre 1967 hatte Weier, Schüler von Rudolf Haubst-
Mainz, seine Dissertation1 vorgelegt, in der er die Vorstellung
von der Verborgenheit Gottes bei Nikolaus von Kues,
Faber Stapulensis und Luther untersucht hatte. Er hatte
sich dabei um den wohl nicht wirklich gelungenen Nachweis
bemüht, daß Luthers Vorstellung der Verborgenheit
Gottes in wesentlichen Stücken bereits von Nikolaus von
Kues vorweggenommen worden sei.

In seiner neuen Arbeit, die im Jahre 1968 von der Mainzer
Kath.-Theol. Fakultät als Habilitationsschrift angenommen
war und von ihm im Herbst 1973 abgeschlossen worden ist,
hat Weier die Darstellung von Luthers Theologieverständnis
in Angriff genommen. Auch hier hat Weier die Tradition
vor Luther zum Vergleich herangezogen, um das Aus-
niaß der Abhängigkeit oder Ähnlichkeit sowie die neue
Eigenart Luthers in dem historischen Zusammenhang deutlich
machen zu können.

Nach einer Einleitung (S. 17-20) setzt Weier in dem ersten
Teil mit der Schilderung von „Luthers Theologieverständnis
etwa seit dem Jahre 1518" ein (S. 21-134). Dabei erörtert
er insbesondere Luthers Verständnis der Theologie als
theologia crucis im Gegensatz zur theologia gloriae, die reformatorische
Grunderkenntnis in ihrer Bedeutung für das
Verständnis von Einheit und Fülle der Theologie, Luthers
Stellung zu Humanismus, Geschichte und theologischer Tradition
sowie Theologie und Praxis. In dem zweiten Teil
greift Weier auf die Frühzeit zurück und untersucht „Ansätze
und Frühformen des Luther'schen Theologieverständnisses
" (S. 135-183). Hier prüft er insbesondere Luthers
Randbemerkungen von 1509/10 hinsichtlich des Theologieverständnisses
sowie die erste Psalmen- und die Römerbriefvorlesung
. In dem dritten Teil untersucht er die „Einbettung
von Luthers Theologieverständnis in die theologische
Entwicklung seiner Zeit" (S. 184-302). Hier zieht Weier
zum Vergleich das Theologieverständnis verschiedener zeitgenössischer
und früherer Theologen heran, nämlich in dieser
Reihenfolge: Gabriel Biel „als typisches Beispiel .scholastischer
' Theologieauffassung", Augustin, Staupitz, Tauler
und die Theologia deutsch, Bernhard von Clairvaux, Peter
von Ailly und Gregor von Rimini, Gerson, Nikolaus von
Clemanges, Gerhard Groote, Florens Radewijns, Gerhard
Zerbolt von Zütphen, Thomas von Kempen (bzw. den Autor
der Imitatio Christi), Erasmus und schließlich Faber Sta-
Pulensis. Wie schon aus der Aufzählung hervorgeht, handelt
es sich hier nicht um eine historische „Genealogie",
sondern lediglich um den Vergleich von Typen. Im „Schluß"
(S. 302-304) faßt Weier das Ergebnis zusammen. Es folgen
Verzeichnisse der benutzten Quellen und Literatur sowie
der zitierten Namen.

Was zunächst den Begriff „Theologieverständnis" betrifft,
so unterscheidet Weier im Anschluß an die Scholastik zwischen
Verständnis von Theologie und Reflexion über Theologie
, obwohl beide natürlich zusammengehören. „Theologe
" selbst sei sowohl sacra doctrina als auch habitus, d. h.
Vollzug theologischer Arbeit und Erkenntnis (17). Was Luther
angeht, so begegne bei ihm zwar das Wort „Theologieverständnis
" nicht, wohl aber die Sache. Die Klärung von
Luthers Theologieverständnis sei, wie Weier mit Recht feststellt
(17 f.), darum wichtig, weil bei Luther ein enger Zusammenhang
zwischen seinen theologischen Bemühungen
und seinem reformatorischen Tun gegeben sei. Von bisherigen
Untersuchungen kämen die Forschungen von Gerhard
Ebeling, aber auch die Arbeit von Karl Gerhard Steck2 seiner
Fragestellung am nächsten, ohne jedoch eigens Luthers
Theologieverständnis zu behandeln.

Die Gefahr bei einer Untersuchung, wie Weier sie sich
vorgenommen hat, besteht in der Schwierigkeit, das Thema
sauber einzugrenzen. Mit Recht hat Weier sich nicht darauf
beschränkt, etwa nur diejenigen Stellen zu prüfen, an denen
bei Luther von „Theologie" die Rede ist, sondern ist auf den
sachlichen Gehalt von Luthers Theologieverständnis eingegangen
. Dabei sieht er sich aber begreiflicherweise oft vor
die Notwendigkeit gestellt, die Untersuchung von Luthers
Theologieverständnis gegenüber einer Darstellung von Luthers
Theologie abzugrenzen. Den hier lauernden Gefahren
ist Weier keineswegs immer entgangen. Auf der einen Seite
berührt er eine Fülle verschiedener Themen; auf der anderen
Seite kann er jedoch bei der Behandlung der Einzelfragen
jeweils nur knapp einige Beobachtungen vortragen.
So werden etwa Luthers Auseinandersetzung mit Erasmus
(31 ff.) oder seine Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie
und Theologie (49 ff.) oder sein Verhältnis zur
pseudo-dionysischen Mystik (58 ff.) oder das Humanismusproblem
in Wittenberg (91 f.) oder Luthers Bemühungen
um theologische Studienreformen in Wittenberg um das
Jahr 1518 (92 ff.) erörtert; aber angesichts der Fülle der bei
jeder dieser Fragen gegebenen Aspekte können die einzelnen
Probleme nicht in der wünschenswerten Gründlichkeit
erörtert werden.

Immerhin sucht Weier für die Zeit seit 1518 als die wesentlichen
Charakteristica von Luthers Theologieverständnis
herauszuarbeiten einmal die theologia crucis im Gegenüber
zur theologia gloriae, sodann das „reine Evangelium"
im Gegenüber zu menschlichen „Zusätzen", weiter die scharfen
theologischen Zuspitzungen in dem Streit mit Erasmus
sowie die Freiheit der Theologie von der Philosophie. Die
reformatorische Grunderkenntnis, also die Rechtfertigungslehre
, ist die knappste Zusammenfassung von Luthers
Theologieverständnis. Von ihr aus wird sowohl die Einheit
als auch die Fülle der Theologie deutlich, und zwar nach
Weier seit Beginn der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts. Bei
seinen weiteren Überlegungen arbeitet Weier den „praktischen
" Charakter des lutherschen Theologieverständnisses
heraus, wozu er auch die Verkündigung von Gesetz und
Evangelium rechnet (118 ff.).

Was die Zeit bis 1518 betrifft, so untersucht Weier u. a.
vor allem Luthers bekannte briefliche Äußerung vom 17. 3.
1509 über den „Kern der Nuß" (141 ff.): es gehe also Luther
um das „Eigentliche der Theologie". Unter diesem Leitmotiv
geht Weier die erste Psalmenvorlesung kurz durch
und findet weiter in der Römerbriefvorlesung bereits die
anti-scholastische Zuspitzung. Aber auch die Anfechtung
wird von Weier anhand der frühen Äußerungen als „theologische
Erfahrung" (165 ff.) herausgearbeitet. Von daher
gewinnt bereits vor 1518 das „pro me" entscheidende Bedeutung
für Luthers Theologietreiben.

Hat man schon bei den beiden ersten Teilen den Eindruck,
daß eine Konzentration auf bestimmte fundamentale
Aspekte des Theologieverständnisses Luthers ratsam gewesen
wäre, so kann der dritte Teil nicht befriedigen. Auf der
einen Seite könnte natürlich die Gegenüberstellung mit anderen
Auffassungen der Profilierung der Position Luthers
dienen. Auf der anderen Seite hat es aber im Grunde keinen
Sinn, wenn, um nur einige Beispiele zu nennen, das Theologieverständnis
bei Augustin auf 4 Seiten (210—214), bei
Staupitz auf 3 (214—217) oder etwa bei Bernhard von Clairvaux
auf 2 (228—230) behandelt wird. Es ist unmöglich, daß
bei derart knappen Skizzen die jeweilige historische Situation
der betreffenden Gestalt auch nur von Ferne in den
Blick kommt und daß deren Theologieverständnis in Anbetracht
der zeitgenössischen Probleme angemessen gewürdigt
wird. Die Vergleiche, die der dritte Teil bietet, bleiben
darum an der Oberfläche. Was etwa Otto Hermann Pesch'
mit seiner methodisch reflektierten Gegenüberstellung von
Thomas und Luther unter Berücksichtigung der jeweiligen
Aussage-Intention versucht hat, das geschieht bei Weier