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Ausgabe:

1978

Spalte:

122-124

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Stürner, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Natur und Gesellschaft im Denken des Hoch- und Spätmittelalters 1978

Rezensent:

Zimmermann, Harald

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 2

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de Merkmal eines christlichen Fürstenspiegels ist, im Unterschied
zur äußerlichen Verherrlichung eines Monarchen,
mag sonst die Quantität der Übereinstimmung beeindruk-
ken" (S. 46). Die vierte Platte zeigt Christus als Weltenrichter
mit zwei Cherubim, dazu die Überschrift „per me
reges regnant". Darin sieht St. einen eschatologischen Hinweis
: „Erst die Vollendung im Reich des himmlischen Jerusalems
bringt die Gemeinschaft des irdischen mit dem himmlischen
König, dem jetzt schon in der imitatio abzubildenden
Vorbild. Hierin ist der christliche Kaiserkult grundsätzlich
unterschieden von seinen heidnisch-antiken Voraussetzungen
, mag es sonst auch über terminologische Übereinstimmungen
hinaus Verbindungslinien geben" (S. 51).
Die Seitenplatten der Krone verweisen auf „den priesterlichen
Charakter der ottonischen Herrscheridee" (S. 64/65).
Noch stärker ist solcher Bezug bei der Stirn- und Nackenplatte
. Die Konfrontation mit päpstlichen Ansprüchen wird
herausgearbeitet. Kaiser und Papst nahmen den Priesterkönig
Melchisedek für sich als Vorbild in Anspruch. Die
Selbstdarstellung des Papstes Innozenz III. im Bilde des
Priesterkönigs Melchisedek erscheint „wie ein schreiender
direkter Kontrast zum einstimmigen Anspruch der ottonischen
Herrscherauffassung" (S. 74). Den viel umstrittenen
..Waisen", den kostbarsten Edelstein der Krone, will St.
auf der Nackenplatte ansiedeln und dann mit dem „Eckstein
" der Bibel in Beziehung setzen (S. 83 ff.). Zusammenfassend
spricht er von einer „Christuspredigt der Reichskrone
" und erklärt: „Der Waise wollte so direkt in die
Gefolgschaft des gekrönten Herrschers rufen, der ja Christus
selbst vertritt" (S. 94). In der Reichskrone sieht St.
die Lehre vom zweifachen Amt Christi, wie sie von vielen
Kirchenvätern vertreten wurde. Stellen bei Justin, Atha-
nasios, Laktanz, Augustin, Prosper, Alkuin und Petrus Lom-
bardus werden angegeben (S. 94, Anm. 243). Die Bezeichnung
Christi als rex et sacerdos läßt gelegentlich auch das
prophetische Amt mit anklingen (S. 95).

Teil C „Reichskrone und ottonische .renovatio imperii'"
(S. 96—143) deutet die Theologie der Reichskrone aus dem
Kontext der Ereignisse. Der Begriff „renovatio" wird auf
biblische und liturgische Wurzeln zurückgeführt; dagegen
haben vor der Jahrtausendwende antike Erinnerungen
kaum eine Rolle gespielt. Der Begriff renovatio beinhaltet
jedoch auch, „daß das staatliche Interesse mit dem kirchliehen
zur Ubereinstimmung gebracht werden mußte und
umgekehrt" (S. 101). Es ergibt sich ein Zusammenhang mit
dem Friedensbegriff, der schon bei Augustin anklang. In
Byzanz führte der Kaiser den Titel „Friedensstifter". Römische
Kurie und ottonischer Hof waren einig in der Zielsetzung
einer defensio pacis durch Ausbreitung der Kirche
(S. 104). Spannungen zwischen der Papstidee gegenüber
byzantinischen und karolingischen Traditionen sind auch
im 10. Jh. aufweisbar: Die Deutungen des Constitutum Con-
stantini gingen auseinander, die Gegenwart Christi im
Kaiser erscheint in Krönungsordines und in höfischer
Kunst, Einflüsse von Byzanz her liegen deutlich vor Augen.
Otto I. knüpfte in seiner Italien- und Rompolitik „bruchlos
an Karl an" (S. 119). Er ließ sich „als dritten Großen nach
Konstantin und Karl feiern" (ebd.). Das Programm der
Einheit von Staat und Kirche unter Leitung des Kaisers
wurde besonders von Erzbischof Brun von Köln vertreten
(S. 120—127). Im Kapitel „Spiegelungen ottonischer Mentalität
in der Reichskrone" stellt St. zunächst folgende Punkte
heraus: Das Fehlen einer Rom-Idee, byzantinische Einflüsse
, karolingisches Erbe; danach verweist er auf eigenständige
Aussagen: „Eschatologischer Ernst, priesterliche
Grundstimmung, Missionsauftrag und Gefolgschaftsgedanke
" (S. 131 ff.). Seine These formuliert er als Frage:
»Die Reichskrone (vor 967) — das Vermächtnis Bruns an
seine Familie?" Auch frühere Bearbeiter hatten eine frühe
Datierung der Krone vertreten; man hatte sogar daran gedacht
, daß Otto I. schon 962 mit dieser neuen Krone gekrönt
worden sein könnte (S. 137). Überzeugend setzt St. auseinander
, daß eine späte Datierung erst unter Otto III. unmöglich
sei, da die Krone keine Rombegeisterung erkennen
lasse, von der Otto III. erfüllt war. Die David-Salomo-Dar-
stellung legt die Jahre 961—67 nahe, als Otto I. die Mitherrschaft
seines noch unmündigen Sohnes durchsetzte. Äußerungen
Liutprands von Cremona stehen dem Programm der
Krone nahe. So formuliert St. seine These fester: „Brun
von Köln als wahrscheinlicher Auftraggeber" (S. 141).

Das Nachwort „Zur Reichskrone in der deutschen Geistesgeschichte
" bietet eine Fülle interessanter Mitteilungen:
Walter von der Vogelweide und Innozenz III., Karl V. und
Novalis werden genannt. Goethes Bericht über die letzte
Krönung in Frankfurt 1764 wird zitiert (S. 148/49). In Berlin
plante man 1871 eine neue Kaiserkrone: Dabei sollte „die
heilige Achtzahl den sieben Buchstaben .Wilhelm' weichen;
an Stelle des strengen Weltenrichters Christus winkt frohgemut
eine Germania" (S. 151). Spöttische Äußerungen von
Gustav Freytag, Gottfried Keller und Heinrich Heine werden
geboten (S. 151-56). 1938 ließ Hitler die Krone aus Wien
nach Nürnberg überführen. „Der nationalistische Mißbrauch
der Reichskrone hat nach dem Untergang des .Dritten Reiches
' ein totales Vergessen bewirkt. Seitdem ist Ort der
Krone allein das Museum" (S. 162).

Die vorgelegte Arbeit ist kein Schritt auf Neuland. Häufig
beruft sich St. auf Vorarbeiten, über die er jedoch mehrfach
hinausführt. Es könnte mit dieser Arbeit ein Abschluß erreicht
sein. Die Datierung der Krone in die Jahre 961—67
kann kaum widerlegt werden. Der Zusammenhang mit der
Krönung Ottos II. 967 hat viel Wahrscheinlichkeit für sich.
Eine starke Einwirkung des Kölner Erzbischofs Brun, eines
Bruders des Kaisers, kann angenommen werden. Für sich
genommen ist freilich kein Argument voll überzeugend. Das
gilt für Thietmars Chronik II, 23 — eine Stelle, mit der sich
St. schon einmal versucht hatte. Doch er urteilt vorsichtig:
„Wenn Brun von Köln eine Krone des Regnums bei sich
verwahrt haben soll, um sie nach eigenem Gutdünken zu
vergeben, ist er auch als Schöpfer der sicher nicht viel später
entstandenen Reichskrone vorstellbar" (S. 142). Die Zitate
aus Liutprand von Cremona tragen auch nur indirekt zur
Stützung der These bei. Aber sehr zutreffend formulierte
St. selbst, daß man sichere Beweise gerade für das 10. Jahrhundert
schwer liefern kann: „Forschung wird von Hypothesen
stimuliert. Auch ein wissenschaftliches Resultat
bleibt zumeist hypothetisch — besonders in historischer Forschung
, wo ein Ergebnis doch nur in der Aufhäufung verschiedenartigster
Indizien überzeugt. Ein auf Indizien gebautes
Urteil bleibt nun einmal ein Wahrscheinlichkeitsurteil
, also eine Hypothese" (S. 136). Mit diesem Vorbehalt
kann man durchaus sagen, daß die Arbeit von St. eine Fülle
interessanter Indizien zusammengetragen hat, so daß die
von ihm vorgetragene Hypothese wohl begründet erscheint.
Darüber hinaus vermittelt die Arbeit vielfache Anregungen,
die man dem Autor zu danken hat.
Rostock Gert Hacndler

Stürner, Wolf gang: Natur und Gesellschaft Im Denken des
Hoch- und Spätmittelalters. Naturwissenschaftliche Kraftvorstellungen
und die Motivierung politischen Handelns
in Texten des 12. bis 14. Jahrhunderts. Stuttgart: Klett
[1975]. 239 S. gr. 8° = Stuttgarter Beiträge zur Geschichte
und Politik, hrsg. von M. Greiffenhagen, E. Jäckel und
A. Nitschke, 7 — Textband.

Die durch August Nitschke angeregte Stuttgarter Habilitationsschrift
ist einer recht interessanten Fragestellung gewidmet
, nämlich der merkwürdigen Parallelität in der Entwicklung
naturwissenschaftlicher und politischer Ordnungsvorstellungen
in der Epoche der Hochscholastik, wie man
den zeitlichen Rahmen vielleicht besser hätte umschreiben
können. Untersucht werden 16 „Naturwissenschaftler"
(nämlich Adelard von Bath, Abaelard, Thierry von Char-
tres, Wilhelm von Conches, Bernardus Silvestris, Urso von