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1978

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 2

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physikloser Religion" urteilt, sie gäbe „den Hungrigen
Steine anstelle des Brotes" (III, 720), nicht nur postuliert,
daß dem menschlichen Denken gesetzt sei „beim Dualismus
anzulangen", sondern im gleichen Atemzuge auch „und ihn
überwinden zu müssen" (IV, 488), nicht nur um die „Erneuerung
" ethischen, sondern „ethischen und religiösen
Denkens" besorgt ist (V, 378), es als unerläßlich ansieht, daß
Ethik kosmisch wird und sich mit Naturphilosophie auseinandersetzt
(II, 243, 290, 317, 321 usw.), nicht nur Ethik
erstrebt, sondern ethische Mystik (II, 371). Aus dem Denken
Schweitzers das Moment der Religion eliminieren wollen
bedeutet, seiner Ethik das innerlich Zwingende, Denknotwendige
zu nehmen-. So sieht es Schweitzer selbst, und so
muß man es wohl auch objektiv sehen, denn nur dann ist
es sinnvoll und evident, die „Überzeugungen, die wir aus
innerer Notwendigkeit denken, zu leben" (II, 340), der inneren
Offenbarung als der höheren zu folgen (II, 715), wenn
wir unser natürliches und geistiges Dasein verstehen: nicht
als Produkt eines von uns gedanklich beherrschten Niederen
, eines von uns durchschauten biogenetischen Zufalls
— Groos bezieht sich auf Monod einerseits und Manfred
Eigen andererseits —, sondern als Produkt eines unserer
Kompetenz entzogenen, für uns geheimnisvollen und unergründlichen
Schöpferwillens, dem wir mit Ehrfurcht begegnen
können. „Ehrfurcht" aber „schließt" nach dem Urteil
von Friedrich Paulsen „ein Doppeltes ein. Demut und
Zuversicht; Demut, die Empfindung der eigenen Kleinheit
und Unzulänglichkeit gegenüber dem Unendlichen; Zuversicht
, die Empfindung, daß das Unendliche nicht bloß ein
äußerlich Ubergewaltiges sei, sondern ein solches, in dem
das eigene Leben und Streben als ein aus ihm Erzeugtes
unverlierbar gehegt und getragen werde. Gefühle dieser Art
machen den eigentlichen Herzschlag der Religion aus". Helmut
Groos sieht zwar, daß „die Ableitung des Lebens und
des Geistes aus dem puren Zufall eines mechanistischen
Kräftespiels derjenige Punkt war, an welchem schon der
Schüler Albert Schweitzer besonders Anstoß genommen hat
(S. 687), aber er glaubt dennoch, Schweitzers Denken an diesem
Punkt auf Grund der neueren Wissenschaftsentwicklung
korrigieren zu müssen und zu können. Das bedeutet
aber eine totale Verkennung des eminenten Stellenwertes,
der diesem Punkt bei Schweitzer nicht nur biographisch,
sondern auch sachlich zukommt (vgl. z.B.: II, 376ff., 406 f.,
662, V, 123 f., 164 f.). Für Schweitzer gilt: „Anfang, stetig
sich wiederholender Anfang des Denkens ist, daß der
Mensch sein Sein nicht einfach als etwas Gegebenes hinnimmt
, sondern es als etwas unergründlich Geheimnisvolles
erlebt" (1,170). Und weil Schweitzer unbeirrt daran festhält
, daß die innere Offenbarung die höhere ist, daß das
Erleben tiefere Erkenntnis vermittelt als das äußere Erkennen
im Sinne immer tieferer Beschreibung der in Welt und
Leben wirkenden Gesetze, weil ihm die Analogie menschlicher
Selbsterfahrung bei allem Agnostizismus der entscheidende
Orientierungspunkt bleibt, endet Schweitzer
nicht nur bei einem Irrationalen, sondern in der Religion,
steht für ihn „der Theismus ... nicht im Gegensatz zum
Pantheismus, sondern erhebt sich aus ihm als das ethisch
Bestimmte aus dem naturhaft Unbestimmten (I, 248). Während
Groos meint, die hier aufbrechenden Aporien seien so
schwerwiegend, daß man kapitulieren müsse, stellt Schweitzer
christlichem Denken die Aufgabe: „Es hat zu zeigen, daß
sein Verzicht, logisch geschlossene Erkenntnis zu sein, denknotwendig
ist, daß die Widersprüche und die Unfertigkeit,
in denen es verharrt, nicht Denkfehler sind, sondern unvermeidliche
Unvollendetheit des Denkens, das in die Tiefe
geht" (11,715).

Helmut Groos hat terminologische Unzulänglichkeiten,
die Schweitzer bei der Durchführung dieses Programms erkennen
läßt, sowie die sachlichen Schwierigkeiten, die ihm
entgegenstehen, eindringlich aufgezeigt. Man wird ihm dafür
nur dankbar sein können, weil er dadurch dazu zwingt,
noch überzeugender und in Auseinandersetzung mit gegenwärtiger
Naturwissenschaft und Philosophie das bleibende

Haus des Denkens Albert Schweitzers auszugestalten. Mit
der einleitenden Würdigung des Menschen Albert Schweitzer
(S. 17—77) und der abschließenden Charakterisierung
von „Schweitzers Selbstdarstellung" (S. 753-782) hat Groos
Albert Schweitzer ein von liebevoller Verehrung zeugendes
literarisches Denkmal gesetzt, das wahrhaft beeindruckend
ist. Es ist sehr zu begrüßen, daß dieses Buch von Helmut
Groos geschrieben wurde und dank der Unterstützung der
Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung und des Einsatzes
des Verlages zum Druck gelangte. Es wird dazu helfen
, jene Wahrheit heller und reiner erstrahlen zu lassen,
der Albert Schweitzer sich sein Leben lang so tief verpflichtet
wußte: „Weil ich dem Christentum in tiefer Liebe ergeben
bin, suche ich ihm in Treue und Wahrhaftigkeit zu
dienen. In keiner Weise unternehme ich es, mit dem krummen
und brüchigen Denken christlicher Apologetik für es
einzutreten, sondern halte es dazu an, sich im Geiste der
Wahrhaftigkeit mit seiner Vergangenheit und dem Denken
auseinanderzusetzen, daß es sich dadurch seines wahren
Wesens bewußt werde" (I, 249).

Druckfehler: S. 349, Z. 13 v. u.: Fuchs statt Fuchts; S. 394,
Z. 14 v. o.: Gott statt Gottes; S. 545, Z. 5 v. o.: Zulänglichkeit
statt Zulässigkeit.

Berlin Hans-Hinrich Jenssen

Frei, Judith: Geistliches Leben. Gedanken zur christlichen

Spiritualität (Erbe und Auftrag 52, 1976 S. 407-413).
Garrone, D.: Una rilettura di Bonhoeffer a trent' anni dalla

morte (Protestantesimo XXX, 1975 S. 159-169).
Herbert, Karl: Wir wurden menschlicher. Rudolf Bultmann

und der Gemeindepfarrer (DtPfrBl 76, 1976 S. 611-612).
Wer ist Jesus Christus für mich? Beiträge von G. M. Arndt,

I. Fink, A. Härtel, Kl.-P. Hertzsch, G. Jacob, M. Lux, D.

Mendt, N. Müller, A. Probst, A. Schönherr, G. Voigt (ZdZ

1976 S. 441-457).
Mumm, Reinhard: Wilhelm Stählin - Lehrer der Kirche

(DtPfrBl 76, 1976 S. 192-194).
Neufeld, Karl H.: Theologie durch Kritik. Zum Tod Rudolf

Bultmanns (StZ 101, 1976 S. 773-782).
Rave, Christian: Ostern 1976 in Taize (Erbe und Auftrag 52,

1976 S. 254-262).

ALTES TESTAMENT

Lang, Bernhard: Frau Weisheit. Deutung einer biblischen
Gestalt. Düsseldorf: Patmos-Verlag [1975]. 204 S. 8° =
Patmos - Paperback.

Es ist äußerst erfreulich, daß die Dissertation (Thema:
Frau Weisheit. Drei Gedichte aus dem „Buch der Sprichwörter
", vgl. ThRev 71, 1975, 512) des Vfs., die er im Mai
1975 im Fachbereich Katholische Theologie der Universität
Tübingen zum Abschluß bringen konnte, noch im gleichen
Jahre im Druck erschien. Referent der Arbeit war H. Haag,
Korreferent H. P. Rüger. Diese Tatsache ist deshalb doppelt
erfreulich, weil es sich bei den Ausführungen um wohlfundierte
, reiche Literaturkenntnis verratende und in einem
flüssigen Stil vorgetragene Aussagen handelt.

Die Untersuchung setzt mit einer kurzen Einleitung ein
(S. 11—20). Am Anfang stehen einige Ausführungen über die
Stellung der Weisheitslehre im israelitischen Volksleben
(S. 11—18), in denen die Hauptthese des Vfs. vorwegnehmend
schon ausgesprochen wird: „Ich glaube, in der israelitisch
-jüdischen Institution der Schreiberschule den Schlüssel
zum Verständnis der Gedichte über Frau Weisheit gefunden
zu haben. Ich verstehe die Gedichte als Schulgedichte
von hohem poetischen Wert" (S. 11). Die Begründung
dieser These folgt später auf den Seiten 30—32. Es wird
in der Einleitung auch sofort klar, daß es sich um eine von
drei Texten ausgehende exegetische Arbeit handelt. Demzufolge
werden einige Ausführungen über die angewendeten
textkritischen Methoden gemacht (S. 19 f.), die in ihrer
Kürze ein Bekenntnis zur masoretischen Uberlieferung dar-