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Ausgabe:

1978

Spalte:

920-922

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Motikat, Lutz

Titel/Untertitel:

Die Inanspruchnahme der mündig gewordenen Welt durch Jesus Christus 1978

Rezensent:

Motikat, Lutz

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919

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 12

920

II. Es kristallisieren sich fünf Klagen heraus, die im nächsten
Abschnitt formgesohichtlioh untersucht werden. Sie sind in drei
Arten zu untergliedern:

1. Die Feindklagen 17,14-18 und 18a.19.20.23, die uiotivlich und
gattungsmäßig eine Einheit bilden.

2. Die weisheitliche Klage 12,1-3, die mit einem Eigenbericht über
eine Zeiehenhandlung verbunden ist und ebenso eine Einheit
wie oben angegeben bildet.

3. Die Anklagen Gottes 20,7-9 und 15,10.17f. mit je einer Foind-
klage als Begründung, welche unmittelbar aus einer bedrohten
Situation herausgerufen werden, jeweils mit einem Eigenbericht
über eine Zeichenhandlung verbunden sind und eine
Einheit wie oben angegeben bilden.

Alle drei Klagen enthalten eine Ichklage, die Feindklage
17,14-18 tendiert zur Anklage Gottes, 12,1-3 endet mit einer
Feindklage und Bitte, 20,7-9 und 15,10.17 f. werden je begründet
durch eine Feindklage. Damit ist erwiesen, daß mindestens vier
Klagen Jeremias Anklage Gottes, Feindklage und Icliklage enthalten
.

Es folgt eine grundsätzliche Abgrenzung der Klage vom Einwand
, da hier in der Forschung unreflektiorte Begriffsverwirrung
vorliegt. Es ergibt sich: Die Klage ist Bestandteil des Gebetes oder
selber Gebet, der Einwand Bestandteil eines Gesprächs. Der Einwand
ist zutiefst partnerschaftlich. Er besteht aus zwei wichtigen
Momenten:

- es wird etwas in ein Gespräch eingebracht

- es wird etwas gegen das vorherGesagte vorgebracht („gewendet").
Die Klage ist ein Schrei aus der Not, der Einwand eine überlegte
Gegenantwort. Der Einwand gegen eine Gerichtsankündigung
kommt der Klage am nächsten, umgekehrt können einzelne
Klageelemente einen argumentierenden Charakter bekommen.
Weiterhin werden dem Einwand nahestehende Formen erörtert

(a) formal: Verweigerung und Entgegnung, Argument Disputation,

(b) inhaltlich: Zweifel, Angst, Erstaunen.

III. In einem dritten Kapitel wird der Zusammenhang der
Klagen Jeremias mit seiner gerichtsprophetischen Verkündigung
dargestellt. Dieser liegt in seiner Botenfunktion begründet: Als
Bote untersteht Jeremia der Spannung zwischen Auftrag und
Ausführimg sowie Ausführung und Eintreffen des Gericht». Der
erste Spannungsbogen sehlägt sich nieder in der Anklage Gottes,
der zweite in der Feindklage. In der Feindklage klagt der Prophet
als Sprecher des Wortes darum, daß er von seinen Hörern angegriffen
wird. In der Anklage klagt er als Hörer des Wortes darum,
daß er dieses austragen muß, obwohl es anscheinend leer zurückkommt
. Es zeigt sich wiederum, daß Anklage Gottes und Feindklage
zusammengehören. Dabei lassen sich nicht nur für die Klage,
sondern auch das prophetische Gerichtswort und die Eigenberichte
über eine Zeichenhandlung bei Jeremia Spannungen nachweisen.

IV. Im vierten Kapitel wird gezeigt, daß Jeremia in seinen
Klagen, aus seiner bedrohten Existenz heraus, zum Widerspruch
zu den Traditionen und Bekenntnissen, mit denen er aufgewachsen
und bekanntgeworden war, herausgefordert ist. Motive, die, im
Gegensatz zu ihrem bisherigen Gebrauch, gegen den Adressaten
der Klage, hier Jahwe, gewandt werden, nennt Vfn. „Widerspruchsmotive
" (zu unterscheiden von den „Kontrastmotiven"!).
Das Deuteronomium, die Weisheit, der Rechtsanspruch Jahwes,
das Motiv von der Freude über eine Geburt und seine Berufung
bilden den Traditions- und Erfahrungshintergrund dieser Widerspruchsmotive
.

Der darin ausgesprochene Angriff provoziert Jahwes Antwort
als Antwort auf die Frage nach der Zuverlässigkeit Gottes. Die
„Theodizeefrage" hat ihren eigentlichen Ort in der Klage. Dementsprechend
werden die Antworten Gottes als Antworten auf
diese Fragen verstanden: sie sind seelsorgerlich und auf die jeweilige
Existenz des Fragenden bezogen. Jeremia weist darin
einerseits zu Hiob und Kohelet, andererseits zum Gottesknecht
hinüber.

V. In einem Abschlußkapitel werden die Klagen Jeremias im
Zusammenhang der Geschichte der Klage des Mittlers im AT behandelt
. Sie bilden in dieser Geschichte gewissermaßen den
Kulminationspunkt.

Motikat, Lut z: Die Inanspruchnahme der mündig gewordenen Welt
durch Jesus Christus. Die Fragestellung und ihre Entwicklung
in der Theologie des späten Bonhoeffer. Diss. Greifswald 1977.
268 S.

Die Theologie des späten B. stellt sich als Arbeitsprozeß dar,
der von einer Grundfrage dynamisiert wird, die sich erst im Verlauf
dieses Prozesses in ihrer vollen Bedeutung erschließt als Frage
nach der Inanspruchnahme der mündig gewordenen Welt durch
Jesus Christus. Das erfordert eine Interpretation, die sich in die
Bewegung des B. eigenen Fragens hineinnehmen läßt und gerade
so die Freiheit zu einer Kritik gewinnt, die an B. keinen fremden
Maßstab anlegt, sondern ihn in seinen Fragen und Antworten von
seinem eigenen Anliegen her zu verstehen sucht. Dieses Anliegen
ist von der „Nachfolge" an als Suche nach der konkreten Wirklichkeit
der Rechtfertigung des Gottlosen zu erkennen, d. h. als
Suche zugleich nach dem heutigen Menschen in der vollen Weltlichkeit
seines Lebens und nach dem konkreten Anspruch Christi,
diesem heutigen Menschen zum ganzen Leben vor Gott zu dienen.
In der Themaformulierung erfaßt B. Rechtfertigung als geschichtliches
Geschehen, in dem Menschen durch die Begegnung mit dem
Leben Jesu zum sinnvollen Leben in der mündigen Welt und in
der konkreten Teilnahme am Leben Jesu zu einer neuen Begegnung
mit Gott geführt werden.

1. Hauptteil: In der „Nachfolge" legt B.Jesus als Ruf zum gehorsamen
Leben aus. Durch diesen Ruf gelangen Menschen auf
den Weg der unter dem Kreuz verborgenen Gemeinschaft mit
Gott, insofern sie mit ihrem ganzen Leben dem Ruf Jesu gehorchen
. In seinem Ruf nimmt Jesus Menschen als Ganze, d. h. nicht
nur als Glaubende, sondern schon als solche, die erst auf dem Weg
sind, Glauben zu lernen, in Anspruch.

Glauben lernt der einzelne im Gehorsam gegen den Ruf Jesu.
Er verliert sein Leben an ihn und bricht mit sich, der Welt und
den Dingen. Gebunden an Jesus erfährt der Gehorsame das Leben
als Raum, in dem er Christus mit all seinen Lebensbeziehungen
gehören darf. Für B. verdichtet sich im Stichwort Gehorsam die
ganze Antwort des Menschen auf den Ruf Jesu Christi.

Der Gehorsam wird konkret in der Hingabe an die Ansprüche
des Nächsten auf meine Liebe. Im Ertragen der Schuld, der Gottferne
und des Leidens anderer Menschen nimmt der Gehorsame an
der Arbeit Jesu für die Welt teil. Darin liegt die Verheißung des
Gehorsams.

Im zweiten Teil der „Nachfolge" versucht B. den Anspruch Jesu
auf das ganze Leben sozial zu konkretisieren. Jesus nimmt den
ganzen Menschen in all seinen Beziehungen in der Kirche in Anspruch
. Die Kirche als Nachfolgegemeinschaft Jesu für die Welt
bleibt nur angedeutet. Welt erscheint noch mehr als Bedrohung
für die Kirche, kaum als Herausforderung zur Verantwortung. Der
Grund für diesen Konkretionsmangel ist in der Tendenz zu sehen,
den Anspruch Christi auf das ganze Leben eindeutig von allen
übrigen menschlichen Ansprüchen zu unterscheiden. Am Ende der
„Nachfolge" stellt sieh für B. selber die Frage, ob nicht gerade der
Gehorsam gegen Christus den Cliristen in die Verantwortung für
die Welt führen muß. Damit deutet sich die Aufgabe der „Ethik"
an.

2. Hauptteil: In der „Ethik" geht es B. um die konkrete Entfaltung
dessen, was Jesu Ruf in die Nachfolge heute für die wirkliche
Welt bedeutet. Es gilt, die Welt von der Liebe Gottes in Anspruch
genommen zu entdecken und nach dem Tun zu fragen, das
dem Anspruch Christi mitten in der Welt antworten darf. Die
Weite der Herrschaft Christi erschließt sich B. immer stärker als
Weite der Verantwortung des Christen für die Welt. So gerät die
abendländische Geschichte, die Verantwortung für das Menschsein
und Gutsein, die Wahrung des Natürlichen, so geraten die Bereiche
Ehe, Beruf, Staat und Kirche in ihrer Eigenständigkeit in
den Anspruchshorizont Jesu Christi. B. entdeckt: Jesus Christus
wird da konkret, wo ihm mitten im weltlichen Leben mit der Hingabe
des eigenen Lebens geantwortet wird. Deshalb verdichtet sich
im Begriff der Verantwortung die Ganzheit der Antwort des Menschen
auf den Anspruch Christi. Verantwortung setzt Freiheit
voraus und fordert sie. Hier liegt der Fortschritt gegenüber dem
Gehorsamsbegriff der „Nachfolge".

B. steht am Ende der „Ethik" vor der ungelösten Aufgabe, die