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1978

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Kirchenrecht

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013

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 12

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Allerdings hätte dann auch der schon hier in den Abschnitt VII
eingebaute Marxismus eine andere Einordnung finden müssen,
was insofern leicht zu bewerkstelligen gewesen wäre, als er noch
einmal im 3. Band Kapitel 28, Methoden des Rechts nach Hegel
und Marx (Marxistischer Rechtskreis), umfassend dargestellt wird.
Dem sachkundigen Urteil eines Marxisten soll damit aber nicht
vorgegriffen werden.

Der I. Abschnitt des Kapitels 2 weist in die frühesten Kulturen
zurück, wobei Vf. zunächst die anthropologischen Ergebnisse über
die ersten Ordnungen vom Totem zu den Götterhierarchien auswertet
. Wichtiger Ausgangspunkt ist die Entstehung von Moralordnungen
, die das Zusammenleben der Menschen nach noch einheitlichen
Maßstäben regeln. Diese gedanklichen Ordnungen haben
kein Vorbild; sie heben von der Natur ab und begründen Kultur.
Es muß dabei eine Entwicklungsstufe erreicht sein, in der sich die
Menschen eine Norm vorstellen können; denn das ist wiederum
Voraussetzung für eine Moralordnung. „Die Norm wird vorstellbar
dadurch, daß man sich hinter den greifbaren Gegebenheiten von
natürlichen Mächten eine hiervon zu unterscheidende Ordnung
vorstellt, wobei gemäß der Anschaulichkeit früher Kulturen ein
Bedürfnis bestand, diese Ordnung durch Zeichen . . . auszudrük-
ken. War nun die Kultur bezeichenbar geworden, lag nichts näher,
als die hiervon abgesetzte Natur ebenfalls zu bezeichnen. Die
Natur wurde mit parallelen Ordnungsvorstellungen unterlegt, und
das war die Geburt der Religion. Die Zeichen, mit denen die natürliche
Ordnung versehen wird, heißen Idole." In der nächsten Stufe,
in den magischen Ordnungen, so entwickelt Vf. seine Gedanken
weiter, versucht der Mensch durch Magie auf das im Idol verkörperte
Numinose Einfluß zu gewinnen, was im Wege der Verallgemeinerung
zunächst zum Animismus und später beim Zusammenrücken
und Kennenlernen der Kulturen zum Vergleich der verschiedenen
religiösen Vorstellungen und letztlich zum Aufbau
polytheistischer Systeme, zur Ausformung von Götterhierarchien
führt. In diese Zeit fällt auch die Entstehung und die Entwicklung
von rechtlichen Anschauungen. Zur Beurteilung der Rechtsmethode
kann allerdings nur „der sumerische und babylonische Vorbilder
an Vollständigkeit übertreffende Kodex Hammurabi"heran-
gezogon werden, der nach Einschätzung des Vfs. im Aufbau nicht
systematisch, sondern assoziativ-reihend verfährt. Zwischen 800
bis 400 v. Chr., in der sogenannten Achsenzeit-Aufklärung - eine
terminologische Neuschöpfung im Anschluß an den von Karl
Jaspers erstmals verwendeten Begriff Achsenzeit (etwa 3000 bis
500 v. Chr.) - vollziehen sich entscheidende Veränderungen. Die
bisherigen Vorstellungen von den Göttern werden allenthalben einer
Kritik unterzogen, und neue Anschauungen brechen sich Bahn,
getragen von „Religionsstiftern" und „Philosophen", wie Laotse
und Konfuzius in China, Buddha in Indien und Südostasien,
Zoroaster in Persien, die Vorsokratiker bei den Griechen undDeu-
tero-Jesaja bei den Juden, so daß die achsenzeitliche Aufklärung
als große ethische Revolution gegen die alten Götterhierarchien
bezeichnet werden kann. Die in diesem Zusammenhang entwickelten
Rechtsverfassungen sind Gegenstand der folgenden Abschnitte.
Im II. Abschnitt konzentriert sich der Vf. insbesondere auf
Zoroastrismus, Hinduismus, Buddhismus, Taoismus und Konfu-
zianisinus sowie auf das viele Besonderheiten aufweisende japanische
Rechtsdenken. Danach behandelt er im III. Abschnitt die
tragischen Rechtsvorstellungen, wie sie für Polis und Genossenschaft
typisch sind, wobei unter Tragik das Bewußtsein der
Handlungsfreiheit verstanden wird. Der IV. Abschnitt ist dem
Rechtsverständnis in den monotheistischen Offenbarungsreligionen
(prophetisches) Judentum und Christentum und der V. Abschnitt
der Methodik des islamischen Rechts gewidmet. Nach
einem Seitenblick auf die Sonderstellung Indonesiens im islamischen
Reuhtskreis (VI. Abschnitt) bemüht sich Vf. um die oben
erwähnte Einordnung des Marxismus und bereitet im VIII. Abschnitt
schließlich mit einer Zusammenfassung des bisherigen den
Übergang auf das Kapitel 3 (Zur Methodik des römischen Rechts
zwischon Hellenismus und Scholastik) vor. Als eine übergreifende
Erkenntnis hebt Vf. hervor, daß „die Vielfalt der Kulturen eine
entsprechende Vielfalt von Rechtsverständnissen hervorgebracht"
hat. Das ist- für die weiteren Untersuchungen von großer Bedeutung
und ebenso zu beachten wie die folgenden Ergebnisse des

Kapitels 2: die grundsätzliche Gleichwertigkeit von Moralen und
von Rechtsdenken; die Notwendigkeit, fremde Rechtsordnungen
nicht methodisch zu überfordern; die Ablehnung von Wertungen
wie „primitives" oder „unterentwickeltes" Recht und damit die
Verpflichtung, das andere Rechtsdenken in seiner Eigenart zu
verstehen.

Mit der Darstellung des hellenistischen und römischen Rechtsdenkens
bis zur Scholastik schließt der Vf. den Überblick über das,
was in der Welt auf dem Gebiet des Rechtsdenkens bis zu diesem
Zeitpunkt entwickelt wurde. „Der bisher einheitliche Gang von
Rechtsdenken und Gerechtigkeitssuche" hört jetzt auf, um sich
im abendländischen Bereich in verschiedene Richtungen aufzuspalten
, die ihren Niederschlag in der Herausbildung der angelsächsischen
, romanischen und mitteleuropäischen Rechtskreise
fanden. Der Gabelung der Rechtsentwicklung seit der Scholastik,
also seit der christlichen Verarbeitung antiken Gedankengutes,
entspricht die weitere Darstellung: die mehr methodische Orientierung
im anglo-amerikanischen, die mehr philosophische im
romanischen und die Kombination beider Richtungen im mitteleuropäischen
Rechtskreis. Der vierte Band mit den Kapiteln
30 bis 36 enthält den dogmatischen Teil, in dem Vf. seinen eigenen
Standpunkt ebenso ausführlich entwickelt wie begründet. Im fünften
und letzten Band legt Vf. schließlich Rechenschaft ab über die
„einzelnen Phasen der Entstehung dieses Werkes, die sich über die
letzten fünfzehn Jahre hinzog"; er fügt Ergänzungen und Berichtigungen
hinzu, um alle Teile einheitlich auf den neuesten Stand
der Wissenschaft zu bringen. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis
sowie Gesetzes-, Entscheidungs-, Personen- und Sachregister
erleichtern ganz entscheidend den Umgang mit der so
außerordentlich breit angelegten Arbeit.

Das Gesamtwerk bietet in seiner Art etwas völlig Neues. Es
stellt den bewunderungswürdigen Versuch dar, „das Denken über
Recht" bei allen Kulturen nicht einfach vom Standpunkt des
Mitteleuropäers, sondern aus der jeweiligen Kultur heraus zu erfassen
und in ein brauchbares System einzuordnen. Dabei mußte
der Vf. in großem Umfange in- und ausländische Literatur der
Rechtswissenschaften wie der hier berührten anderen Wissenschaften
verarbeiten und bei der Durchführung seines Vorhabens
stets bemüht sein, einem möglichst breitem Interessentenkreis
verständlich zu bleiben, was ihm durch regelmäßig eingeschobene
Zusammenfassungen, Würdigungen und Kritiken weitgehend auch
gelungen ist. Der Fünfbänder ist eine Quelle vielfältiger Anregungen
. Vieles erscheint dem nur mit dem eigenen Itechtskreis, vielleicht
sogar nur mit der eigenen Rechtsordnung Vertrauten in
einem neuen Licht; manches kann sicher nicht unwidersprochen
hingenommen werden; die Hochachtung vor der großen wissenschaftlichen
Leistung wird aber einhellig sein.

Halle (Saale) Rolf Lieberwirth

Braune, Hans-Peter: Die Kammern der Evangelischen Kirche in

Deutschland (ZEvKR 21, 1976 S. 131-182).
Brunner, Peter: Gutachtliche Äußerung zum Verfassungsentwurf

der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (ZEvKR

21, 1976 S. 379-413).
Crouzel, Henri: Divorce et remariage dans l'Eglise primitive

(NRTh 98, 1977 S. 891-917).
Daur, Martin: Probleme des synodalen Wahlrechts in Württemberg
(ZEvKR 21, 1976, S. 1-18).
The Doctor of Ministry in ATS 1976 (Theological education 12,

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Dolezalek, Gero: Bernardus de Bosqueto, seine Quaestiones motac

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Ebel, Friedrich: Ein Fragment eines kirchlichen Rechtsbuches aus

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Fransen, Gerard: Lo Decrct de Burchard de Worms. Valeur du
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