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Ausgabe:

1978

Spalte:

866-867

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

Quaestiones on the book of Samuel 1978

Rezensent:

Herrmann, Wolfram

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8G-3

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 12

866

vuu der öffentlichen Kultausübung ausgeschlossen und „in den
engen Umkreis der privaten Frömmigkeit verbannt" (S. 3).

Im ersten Kapitel werden „Stammesreligionen, Religionen der
Antike" (S. 7-^6) behandelt. Heiler weist nach, wie in den Anfängen
der Kultentwicklung dem in den Rechtsbeziehungen vorherrschenden
Matriarchat die Verehrung der Muttergöttin sowie
das weibliehe Priester- und Sehertum auf religiösem Gebiet entsprechen
. Das gelte sowohl für den Mittelmeerbereich als auch für
den weiteren Umkreis des Griechen-, Germanen-, Kelten- und
Slawentums und ebenso für China und Japan. Da sich die Herausformung
kultischer Formen selten geradlinig vollzieht, bestehen
sakrale Prostitution und Hochschätzung asketischer Jungfräulichkeit
teilweise neben- oder nacheinander.

Restbestände antiken Denkens, die sich bis ins Mittelalter hinein
(und teilweise darüber hinausgehend) erhalten haben, werden vom
Vf. unter Zitation von K. Weinhold, Die deutschen Frauen im
Mittelalter (1897) auf eine etwas befremdende Weise interpretiert
: „Die mittelalterlichen Hexen waren nicht nur bedauernswerte
Geschöpfe,. . . sondern waren wirkliche Priesterinnen und
Prophetinnen" (S. 43). In diesem Zusammenhang bedauert der
Vf. auch das Dahinschwinden alter Volksbräuche, die auf die
priesterliche Stellung der Frau hindeuten.

Im zweiten Kapitel, „Asiatische Erlösungs- und Offenbarungsreligionen
" (S. 47-86) werden die sogenannten Hochreligionen
dargestellt, die durch ein männlich strukturiertes Priestertum und
eine von Männern geleitete Organisation des Kultus gekennzeichnet
sind (vedische Religion, Brahmanismus, Upanishaden-Mystik,
Hinduismus, Buddhismus, Judentum und Islam). „Die großen
Erlösungsreligionen Indiens und des Fernen Ostens haben trotz
anfänglichen Vorherrschens des männlichen Elementes der Frau
nicht nur den Weg zum Heil geöffnet, sondern im Asketentum
und im Nonnentum wie in der Mystik ihr die Möglichkeit zu freier
schöpferischer Entfaltung gegeben" (S. 71). In den drei großen
prophetiseh-monothoistischen Offenbarungsreligionen dagegen
(zarathustrischer Mazdaismus, Judentum und Islam) sei die Frau
von aktiver Kultausübung weithin ausgeschlossen worden.

Das dritte Kapitel ist mit „Christentum" (S. 86-186) Überschriebon
. Hier wird ein Durchblick durch die Geschichte der
Kirchen unter dem Gesichtspunkt der Stellung der Frau im kultischen
Bereich vermittelt. Ausführlicher werden die frühe Kirche
und der allmähliche Übergang zu einer zunehmenden Geringschätzung
der Frau, die Hand in Hand mit dem Verfall des Diako-
nissenamto3 geht, vermittelt. Beispielen ausgesprochener Frauenfeindschaft
bei den Kirchenvätern und in der mittelalterlichen
Kirche werden Beweise für die geistig-schöpferischen Möglichkeiten
des Nonnentums zur Seite gestellt. Luthers Stellung zur Ehe,
die Herausbildung des protestantisch-bürgerlichen Frauenideals,
die Erneuerung des Diakonissenamtes in Deutschland im 19. Jh.
und in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. in dor anglikanischen Kirche
(liier unter stärkerem Bezug auf das altkirchliche Diakonissenamt
unter Einführung der Diakonissenweihe) werden kurz skizziert.

Uber die neuere Zeit wird unter Berücksichtigung der ökumenischen
Situation sowie unter Verweis auf dio Forderungen der
Amsterdamer Weltkirchenkonferenz von 1948 festgestellt: „Die
Entwicklung der kirchlichen Verhältnisse drängt in dor ganzen
Christenheit auf eine stärkere Beteiligung der Frau am Dienst der
Kirche" (S. 182). Dor Vf. hat, wie der Lesor im Nachwort Anne
Marie Heilers erfährt, die „Grundtendenz" des Buches bei „allen
Erweiterungen und Neuformulierungen der Fragonstellung" schon
1920 in seinen religionsgeschichtlichen Vorlesungen in Marburg
vorgetragen (S. 187). Heilers wichtigstes Anliegen ist es nachzuweisen
, daß die Eingliederung der Frau in die kirchlichen Ämter eine
Wiedereingliederung darstellt, die auf dio anfängliche Ordnung
der frühen Kirche zurückgreift.

Allerdings wird man nicht übersehen können, daß das außerordentlich
interessante und sehr informative Buch nicht durchgängig
die Grenze erkennen läßt, die ein evangelischer Christ doch
wohl zwischen einer heidnisch-religiösen Vergöttlichung der Frau
(s. oben!) und dem christlichen Gedanken der Gleichbegnadung
der Geschlechter, nach dem dio Einbeziehung von Frauen in den
Dienst der Verkündigung eine schlichte Selbstverständlichkeit ist,
ziehen muß. Der Rezensentin sei vielleicht noch der Hinweis gestattet
, daß sie ihren eigenen Namen im Verzeichnis der neueren

Literatur zur Frage von „Frau und Amt in der Kirche" (S. 190)
falsch gedruckt wiedergefunden hat (Bertinett statt Bertinetti).

Potsdam-Babelsberg Ilse Bertinetti

ALTES TESTAMENT

Pseudo-Jerome: Quaestiones on the Book of Samuel, ed. with an
Introduction by A. Saltman. Leiden: Brill 1975. X, 173 S.
gr. 8° = Studia Post-Biblica, ed. by J. C. H. Lebram, 26. Lw.
hfl. 58,-.

.Nachdem Saltman vorher in Aufsätzen das Wort zu Einzelfragen
des Gegenstandes genommen hatte, legt er hier eine neue
Edition der auf Pseudo-Hieronymus zurückgehenden Quaestiones
(exegetischen Erläuterungen) über das Buch Samuel vor. Sie gründet
auf den ältesten verfügbaren Handschriften R (= Reims 118;
wahrscheinlich 845-882), G (= St. Gallen 672; 888-892) und O
(= Orleans 38; 10. Jh.). Obwohl keine von ihnen fehlerlos sei,
könne man - so der Hrsg. - unter Beiziehung anderer Manuskripte
den Text wiedergewinnen.

Ein erster Teil handelt von den Fragen, welche sich um dio
bearbeiteten Quaestiones ranken. S. geht zunächst (l.Kap., S.
3-29) auf die Hebraistik während der karolingischen Renaissance
ein. Unter Karl dem Großen, dor den Juden wohlwollend gegenüberstand
, gewann das Alte Testament an Bedeutung und man
war bemüht, seinem Wortlaut auch in dor lateinischen Version
erreichbar nahezukommen. So zog der Bisohof von Orleans,
Theodulf (etwa 760-821) einen des Hebräischen mächtigen Kommentator
heran, um von ihm eine wissenschaftlichen Zwecken dienende
Bibelübersetzung erstellen zu lassen, und zwar durch Korrektur
der in erster Linie ein liturgisches Werk von literarischer
Qualität darstellenden Vulgata nach der hebräischen Vorlage
mittels Marginalscholien und Eingriffen in den Text, damit diese
möglichst genau zur Kenntnis gebracht wurde. Die Arbeit liegt
vor in der Handschrift @ö, einer Rezension der sogenannten
Theodulf-Bibel (St. Germain = Sangermanensis; um 800). S. vermutet
in dem Bearbeiter einen gelehrton Juden, der den christlichen
Glauben angenommen hatte. Mit großer Wahrscheinlichkeit
sei er identisch mit dem Verfasser der Quaestiones Hebraicae in
Libros Regum, welcher die Bezeichnung Pseudo-Hieronymus erhalten
hat, weil die Kommentierung seit dem 11. Jh. fälschlich
Hieronymus zugeschrieben wurde, von dem tatsächlich die
Hebraicae Quaestiones in Libro Geneseos stammen.

Der genannte Hebraist, der die späteren Bibeln Theodulfs
kommentiert und korrigiert habe, sei genötigt und ermutigt worden
, jüdische Traditionen zusammenzustellen. Dem Drängen habe
er nachgegeben und sie in seinen Quaestiones niedergelegt. Sie
ließen erkennen, daß er, der als Christ keinen Zugang mehr zu
schriftlichen jüdischen Quellen hatte, aus dem Gedächtnis arbeiten
mußte und seine Erinnerung nicht mehr in allen Fällen genau
war, weshalb er öfter auch oine „Überlieferung" erfinden mußte.
Er spielte zu seiner Zeit eine bedeutsame Rolle. S. bringt deswegen
sein Bedauern darüber zum Ausdruck, daß er - wenn auch nicht
mit Namen bekannt - keino Erwähnung in der Cambridge History
of the Biblo gefunden hat.

Das zweite Kapitel (S. 30-62) ist der späteren Geschichte dor
pseudohieronymianisehon Quaestiones gowidmet. Diese angebliche
jüdische Tradition erfreute sich, nachdem man ihr zur Karolingerzeit
noch durchaus kritisch gegenübergestanden hatte, dann während
des Mittelalters erstaunlicher Popularität und gelangte zu
solcher hohen Autorität, daß man ausgedehnten Gebrauch von ihr
machte. Denn die Juden hielt man für die Experten, dio historischen
Bücher zu orklären, soweit theologische Fragen nicht involviert
waren. Daher wurdon des Pseudo-Hieronymus Interpretationen
der Bücher Samuel und Könige, eingeleitet durch Rabanus
Maurus, großenteils zur Erklärung der Heiligen Schrift bis hin zur
Glossa Ordinaria sowie in späteren geschichtlichen Werken rezipiert
. S. äußert sich nach Rabanus zu Angelomus von Luxeuil
(noch karolingischc Zeit), Albert von Siogburg, Rupert von Deutz,
Abälard, der Glosse, Ordericus Vitalis, Andreas von St. Victor,