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Ausgabe:

1978

Spalte:

863-864

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schupp, Franz

Titel/Untertitel:

Mythos und Religion 1978

Rezensent:

Mann, Ulrich

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Seite 1

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863

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1878 .Nr. 12

864

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Schupp, Franz: Mythos und Religion. Düsseldorf: Patmos Verlag
[1976]. 214 S. 8° = Texte zur Religionswissenschaft u. Theologie
, hrsg. v. H. Feld, H. Halbfas, G. Hasenhüttl, J. Nolte.
Wissenschaftstheoretische Sektion, I, 1.

Es handelt sich um einen Textband mit ausführlicher Gesamteinleitung
(S. 9-26) sowie speziellen Kurzeinführungen zu jedem
der dargebotenen Texte, nebst Anführung der jeweiligen Sekundärliteratur
in geboten knapper Auswahl. Die Textwiedergabe ist,
soweit ich es nachprüfen konnte, einwandfrei. Eine Liste allgemeiner
Literatur vervollständigt den darstellenden Teil einigermaßen
; freilich kann ich es nicht für glücklich halten, daß weder
alle im Textteil zur Sprache kommenden Verfasser, noch auch alle
in den Einführungen genannten Sekundärwerke hier angeführt
wurden: Vollständigkeit in dieser Hinsicht wäre im Rahmen eines
solchen Sammelbands wichtiger als eine praktikable Auswahl, die
sowieso jeder vornimmt.

Ich wurde bei der Lektüre die Frage nicht los: Warum eigentlich
dieser Sammelband, nachdem wir doch seit 1967 Karl Kerenyis
Lesebuch „Die Eröffnung des Zugangs zum Mythos" haben
(Wiss. Buchgesellschaft). Der Vf. und Hrsg. stellt sich offenbar
eine ähnliche Frage und beantwortet sie damit, daß er „eine möglichst
breite Basis der Diskussion des Problems .Mythos'" ermöglichen
wolle und deshalb mehr und relativ kurze Texte wähle
(S. 12). Diese Begründung halte ich für nicht ganz zureichend.
Die kurzen Texte sind nämlich meist gar nicht soviel kürzer als die
von Kerenyi gebrachten; und was bei Schupp einerseits von
vielem bei Ker&iyi Gebrachten fehlt, andererseits darüberhinaus
vorgelegt wird (s. w. u.), muß nicht unbedingt zur Bereicherung
der erwünschten Diskussion dienen.

Doch möchte ich dem Vf./Hrsg. gern zu Hilfe kommen. Der
Band bringt in der Tat manches, was Kerenyi in erwünschter
Weise ergänzen kann, wenngleich hierbei immer noch einige
Wünsche offenbleiben. Hat Kerenyi sich darauf beschränkt, die
Wieder-Eröffnung des Zugangs zum Mythos zu dokumentieren
und also sachgemäß bei Giambattista Vico einzusetzen und mit
A. Jensen und W. F. Otto zu sehließen, so unternimmt es Schupp,
das Mythenverständnis der Antike und (in der Einführung) zusätzlich
des Mittelalters und der frühen Neuzeit darzustellen, was
als dringendes Desiderat betrachtet werden darf; doch gerade
hierzu ließe sich ein weit ausführlicherer Textband denken. Darüber
hinaus will Schupp auch der neuesten Zeit Raum geben; aber
dazu wäre es wiederum nötig gewesen, ein weit abgerundeteres Bild
zu zeichnen. Im Grund hätten es zwei Bände sein müssen, einmal:
„Der Mythos in Antike und Mittelalter", zum andern: „Das
Mythenverständnis der Gegenwart". Eine so knappe Kompromißlösung
aber wie die vorliegende Sammlung ist, jedenfalls für ein
als akademische Lehrgrundlage vorgesehenes Textbuch, doch
nicht ganz zulänglich, weil in der Auswahl des Riesenstoffs zu
knapp; und, was ich nun doch als einen erheblichen Mangel beanstanden
muß: es ist in der Auswahl zu willkürlich (s. w. u.).

Bleiben aber doch immer noch auch Vorzüge, die für den vorliegenden
Band Sprech«. Neben den, im allgemeinen gut gelungenen
Einführungen, die bei Kerenyi fehlen, ist es eben jener Nachtrag,
der, wenn auch noch sehr lückenhaft, doch in wünschenswerter
Weise Kerenyi ergänzt. Hier sind, der Reihenfolge bei Schupp
nach, u. a. folgende Namen als hilfreiche Bestandserweiterung
besonders zu begrüßen: Freud, Riooeur, Jonas, R. Otto, Bultmann
, Wach, Tillich, Nietzsche, Heidegger, Levy-Bruhl, Levy-
Strauß, und manche andere noch.

Man könnte sich sogar denken, daß Texte gerade dieser Autoren,
und freilich noch einiger bei Kerenyi fehlender dazu, einen schönen
Ergänzungsband ergeben hätten. Dennoch ist auch der vorliegende
Band aufs ganze gesehen insofern hilfreich, als eben für die
Mythenforschung in unserer hierin so „dürftigen Zeit" (Hölderlin)
nicht genug getan werden kann. Fragt sich jedoch, ob nun gerade
jener Rationalismus, zu dem Schupp sich bekennt, wirklich „zur
Aufklärung des Denkens" hinsichtlich des Mythos führt (S. 26).
Das mag hier wenigstens als bloße Frage stehenbleiben.

Dennoch darf anderes nicht unbeanstandet bleiben. Daß Schupp
Sigmund Freud zu Wort kommen läßt, ist an sich (gegenüber der

Auslassung bei Kerönyi) sehr zu loben. Doch gerade da bewährt
sioh das von ihm genannte Prinzip in keiner Weise, wonach „nur
Texte genommen wurden, in denen das Stichwort .Mythos' oder
.Mythologie' ausdrücklich aufscheint" (S. 11). Das ist doch leerer
Formalismus. Es wäre darum gegangen, Texte zu bringen, in
denen die Sache „aufscheint"! Mit rein formal-analytischen Argumenten
entkräftet man dieses Postulat nicht, etwa mit dem so
zeitgemäß anmutenden auf S. 25, letzter Absatz. Freud hat sich
in dem genannten frühen Text nicht annähernd so ergiebig über
den Mythos geäußert wie in den (vom Vf. immerhin genannten,
aber nicht zitierten) anderen Schriften, bes. „Totem und Tabu",
aber noch mehr im „Mann Moses".

Weiter: Wenn man schon Freud nennt, darf man 0. G. Jung
nicht einfach übergehen. Das muß ich dem Vf./Hrsg. besonders
anlasten, daß er, wenn er schon so manche andere Mytheninterpreten
anführt, auf die hier nicht näher eingegangen sei, auf Jung
meint schlicht verzichten zu können. Es sei ihm auch nicht weiter
vorgeworfen, daß er z. B. von meinen an Jung anschließenden
Mytheninterpretationen absieht, ebenso wie von denen Erich
Neumanns und Jolande Jacobis. All das beweist freilich die Willkürlichkeit
seiner Auswahlmethode; desgleichen andererseits, wen
er alles sonst noch anführt. Bloch und Adorno-Horkheimer wären
jedenfalls nur da zu nennen, wo immer es um die, von ihnen wohl
aufs ganze mehr beklagte als begrüßte Resistenz des Mythos in der
säkularen Welt geht, nicht aber in dem Zusammenhang, der durch
den Buchtitel gekennzeichnet wird: Mythos und Religion. Auf
Jung jedoch kann man nicht verzichten, wenn es auf die religiöse
Deutung des Mythos ankommt. Mit der bloßen Neimung im
Literaturverzeichnis ist es nicht getan, zumal die hier angeführte
Schrift, eine gemeinsame Kerenyi-Jung-Monographie, die entscheidenden
Äußerungen Jungs zum Problem des Mythos noch gar
nicht enthält.

Schließlich ist zu fragen, ob das durchgeführte Einteilungsprinzip
wirklich das hält, was Vf./Hrsg. sich von ihm verspricht.
Der im wesentlichen chronologischen Methode Kerenyis gebe ich
aus Gründen der Übersichtlichkeit doch den Vorzug. Wenn aber
nicht, dann wünschte ich mir wenigstens eine Einteilung nach klar
sachbezogenen Gesichtspunkten, solchen etwa, wie ich sie in zahlreichen
Veröffentlichungen über die von mir als „synoptisch"
bezeichnete Methode in der Religionsforschung gefordert habe:
also z. B. nach Stichworten wie Religionsphilosophie, Religionswissenschaft
, Religionspsychologie, Theologie. Soweit sind wir nämlich
noch durchaus nicht, wie Vf./Hrsg. meint, daß all dies, weil
von „fideistischen Christen" oder „neomarxistischen Studenten"
(S. 10) infragegestellt (was zutrifft), deshalb (wohlgemerkt deshalb
!) auch für die Wissenschaft unbrauchbar geworden wäre. Das
ist einfach falsch. Die stattdessen von Schupp als Kapitelüberschriften
verwendeten Begriffe (Vorstellungskraft, Religion und
Glaube, Sprache und Begriff, Kunst, Geschichte) passen oft genug
noch weit weniger für die hierbei zitierten Texte.

So bleibt nun aufs Ganze gesehen das Urteil zwiespältig. Auf der
einen Seite muß man sagen: ein in vielerlei Hinsicht durchaus
hilfreiches Buch; auf der anderen Seite kann man jedoch die
Einschränkung nicht unterdrücken: hilfreich vor allem deshalb,
weil es eben leider nicht allzuviel anderes zum Thema gibt.

Saarbrücken Ulrich Mann

Heiler, Friedrich: Die Frau in den Religionen der Menschheit, hrsg.
v. A. M. Heiler. Berlin-New York: de Gruytor 1977. V, 194 S.
8° = Theologische Bibliothek Töpelmann, hrsg. v. K. Aland,
K. G. Kuhn, C. H. Ratschow u. E. Schlink, 33. Kart. DM 38,-.

Die Frage nach der Stellung der Frau in der Kirche wird in dem
vorliegenden Buch, das die Vorlesungen des Vfs. zum Thema
„Frau und Religion" enthält (vgl. das Nachwort der Herausgeberin
, S. 187-189), in den Rahmen der Religionsgeschichte gestellt.
Wie im Vorwort (S. 1-4) vermerkt ist, erfährt die Frau in den
Weltreligionen und deren geschichtlicher Entwicklung eine unterschiedliche
Wertung. Während sie einerseits priesterliche Dienste
verrichtet und „als Trägerin des Heiligen und Verkörperung des
Göttlichen" verehrt wird, ist sie vor allem in den Hochroligionen