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Ausgabe:

1978

Spalte:

62-64

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Bürki, Bruno

Titel/Untertitel:

L' assemblée dominicale 1978

Rezensent:

Nagel, William

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8]

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 1

62

Von einer Liedpredigt im eigentlichen Sinn, wo das Lied also
den Predigttext abgibt, kann bei Luther freilich noch keine
Rede sein. Bei allen Versuchen, ihn selber zum Gewährsmann
für diese Predigtgattung zu erheben, gilt — abgesehen von
formalen Unterschieden — doch: Luther lä5t (übrigens nicht
nur in seinen Predigten!) das Lied selber predigen, während
seine Nachfolger über das Lied predigten. Damit ist aber
das grundsätzliche Problem der Liedpredigt angezeigt, dem
weiter nachzudenken wäre. Sind Lied und Predigt nicht zwei
zu unterschiedliche Art und Weisen christlicher Äußerung, als
daß man sie in einer Gattung miteinander verquicken kann,
ohne daß dem Proprium wenigstens einer der beiden Weisen
Gewalt angetan wird? (Dies Problem, das etwa in der Diskussion
über angemessene theologische Kriterien für das Kirchenlied
wiederkehrt, ist bis heute nicht befriedigend gelöst.) Ein
ausführliches Eingehen auf diese Problematik hätte den Rahmen
dieser Arbeit, die historisch angelegt ist, zweifellos gesprengt
. Freilich regt sie, je weiter die Darstellung ins Zeitalter
der Reformation und Gegenreformation (1. Teil), der
Orthodoxie und des Pietismus (2. Teil) hineinführt, zu Fragen
in dieser Richtung an, und das ist nicht ihr geringstes Verdienst
!

Wollte Luther in dem Lied „Ein Kindclcin so löbelich" das
Evangelium aus vorreformatorischer Quelle aufleuchten lassen,
so bekommen in der Orthodoxie die Liedtexte der Reformatoren
verbal-inspiriertc Dignität und werden mit allen Regeln
homiletischer, ja sogar dogmatischer (Loci-Methode!) Kunst
ausgelegt. Dabei wird der Liedtext selber „zerfasert und in
kleinste Einheiten zerlegt" (S.79). Das bedeutet übrigens nicht,
daß der Vf. nicht eindrucksvolle Beispiele aus Predigten dieser
Gattung zitieren kann!

Das umfangreiche Material läßt sich in drei Abschnitte
gliedern, die jeweils den „usus" der betreffenden Predigt
kennzeichnen: „Hymnologia festivalis", „pura doctrina" und
„ars moriendi". Von den Festkreisen behält Weihnachten den
vorherrschenden Platz; hier lassen sich auch Traditionen nachweisen
, in denen die Liedpredigt ihren liturgischen Ort hatte.
Das Motiv der „doctrina": daß „die einfeltigen lernen möchten
rechtschaffen verstehen, was sie singen" (zitiert S.120) dominiert
durchgehend, und den „Trostnutz" teilt die Predigt
dieser Art mit dem Gesangbuch vor allem des 17. Jahrhunderts.
Interessant ist, daß sich Spangenbergs Rechtfertigung der Liedpredigt
(S.120) mit dem Hinweis auf die Kürze der gebundenen
Rede und der besseren Einprägsamkeit sonst zur Begründung
des Singens und des Zuspruchs der Lieder selbst findet, so
etwa bei Martin Moller. Dies ist ein weiterer Beweis dafür,
wie der „Nutz" des Liedes unbesehen für die Liedpredigt übernommen
wird.

Später (etwa ab 1730), als die Liedprcdigt ihre Bedeutung
eingebüßt hat (auch die Hymnologie verzeichnet hier einen
bedeutsamen Einschnitt), begründet man die Notwendigkeit
der Liedpredigt mit der Schwerverständlichkeit des alten Liedguts
. „Die Absicht der Predigten, welche über Kirchenlieder
gehalten werden, ist: die schwehren und undeutlichen Gesänge
der Gemeine verständlich zu machen und sie in den Stand zu
setzen, daß sie solche mit eigener Empfindung absingen (Johann
Wilhelm Schmid: „Anleitung zum populären Kanzclvor-
trag" Jena 1787, zitiert S.265). Hier soll die Predigt die Kluft
zwischen Lied und singender Gemeinde überbrücken. Das Problem
des Gesangbuchlieds im 20. Jahrhunderts klingt bereits
an. Ob die Liedprcdigt zu neuem Leben erweckt werden kann?
Der Vf. hofft: „Vielleicht wird man über alte Lieder erst wieder
predigen können, wenn man über gegenwärtige geistliche
Lyrik zu reden vermag." Und er verspricht sich davon: „Die
Predigt wird einen weniger erinnernden als vergegenwärtigenden
Charakter annehmen" (S.281). Freilich: Die Liedpredigt
muß erst noch geboren werden, die das Lied so zur Sprache
bringt, daß es nicht zugleich eine Distanz zu ihm schafft.

Die Arbeit schließt eine empfindliche Lücke in der Geschichte
der Predigt und eröffnet der Hymnologie ein neues Arbeitsfeld
.

Hannover Hans-Christoph Piper

LITURGIEWISSENSCHAFT

Bürki, Bruno: L'assemblce dominicale. Introduction ä la liturgie
des eglises protestantes cTAfrique. Immensce: Nouvelle
Revue de science missionnaire 1976. 200 S. gr. 8° = Neue
Zeitschrift für Missionswissenschaft, hrsg. vom Verein zur
Förderung der Missionswissenschaft Immensce. Supplcmenta
Vol. XXV. Kart. sfr. 28,-.

Dem von mir vorgestellten Buch des Katholiken B. Luykz
„Culte chretien en Afrique apres Vatican II" (ThLZ 101, 1976
Sp. 467 ff.) tritt in der gleichen Reihe das des reformierten
Schweizers Bruno Bürki zur Seite, der der Protestantischen
Theologischen Fakultät in der Hauptstadt Kameruns Yaounde
angehört. Es gibt zugleich weniger und mehr als sein Titel
erwarten läßt. Vergleicht man Bürkis Arbeit mit der von Luykz,
wird man zunächst feststellen: Luykz geht auf Grund eigener
Forschungen zur afrikanischen religiösen Anthropologie und
praktischer Mitarbeit an der Afrikanisation der Liturgie und
einer ihr entsprechenden geistlichen Musik konkreter auf
Lösungsversuche der hier gestellten Aufgaben ein. Bürki liegt
an einem grundsätzlichen Aufweis alles dessen, was in Afrika
den Gottesdienst prägen muß, wobei er das Problem der
Säkularisation in seiner wachsenden Bedeutung auch für diesen
Erdteil nicht übersieht. Dabei geht es etwa um die im Kult sich
realisierende Gemeinschaft, um den Ausdruck der Freude bis
hin zum Tanz, um die Bezogcnheit der Liturgie nicht zuletzt
in ihrer sprachlichen Gestaltung auf afrikanische Voraussetzungen
, ja um die Anerkennung einer gewissen Bedeutsamkeit
selbst nichtchristlicher Opfervorstellungen für die Hereinnahme
des Lebens in seiner Totalität in das Verständnis des
liturgischen Geschehens, aber auch um Raum für etwaigen
Ausbruch des Enthusiasmus in speziellen Charismen von Gebetsimprovisationen
aus der Gemeinde bis hin zum Zungenreden
, nicht zuletzt um den afrikanischem Wesen gemäßen
Grundcharakter des Gottesdienstes als Fest; für den Wortgottesdienst
unübersehbare Eigentümlichkeiten der Bantu-
Sprache verlangen Berücksichtigung, nicht minder die musikalischen
Traditionen Afrikas und das Ausdrucksbedürfnis des
Afrikaners in Gesten. Bürkis und Luykz' Erkenntnisse bestätigen
weitgehend einander und damit die Notwendigkeit,
bei der liturgischen Gestaltung in Afrika auf sie einzugehen,
soll der christliche Gottesdienst dort wirklich einwurzeln.

Doch die Bedeutung dieses Buches reicht darüber hinaus.
Man muß ihm den Rang einer fundierten Liturgik zugestehen,
und zwar nicht nur für den protestantischen, sondern für den
christlichen sonntäglichen Gottesdienst. Möchte das Buch darum
bald durch eine deutsche Übersetzung einem recht weiten
Leserkreis zugänglich werden!

Dieser Charakter wird schon deutlich am räumlichen Verhältnis
der beiden grundsätzlichen Hauptteile I. „Die Bedeutung
des Kultus" (11—70) und II. „Die liturgischen Handlungsträger
und ihre Ausdrucksmittel" (71—124) zum Hauptteil III.
„Die Elemente unserer Liturgie" (125—197), in dem Vf. den
Aufbau der sonntäglichen Liturgie in ihren einzelnen Stücken
behandelt. Hier sind wirklich reife theologische Erkenntnis,
liturgiegeschichtlichcs Wissen, psychologische Gegebenheiten,
Geöffnetsein zur Welt hin und Erfahrungen aus praktischer
Arbeit an der Liturgie nicht nur in Afrika verarbeitet. Schon
etwa nur die Gliederung des I. Hauptteils kann das spürbar
machen: 1. Das Geheimnis der Gegenwart Gottes und liturgische
Gemeinschaft, a) Der Kult, ein Mysterium oder Sakrament
, b) Gemeinschaft im Gottesdienst, c) Analyse der Gemeinschaft
, d) Für eine Gegenüberstellung mit anderen Mani
festationen (sc. menschlicher Gemeinschaft speziell in Afrika),
e) Gemeinschaft außerhalb des gottesdienstlichen Raum

2. Dankgeschehen und Fürbitte, a) Der Kult, insofern er Opfer
oder menschliches Tun, b) Struktur und Inhalt des Gebeten
der Kirche, c) Kultur und Liturgie, d) Die Kommunion oder
Eucharistie, insofern sie regelmäßiger sonntäglicher Kultus.

3. Der pneumatologische und eschatologischc Charakter der
Liturgie, a) Der Heilige Geist in der Liturgie, b) Eine eschatolo-
gische Liturgie, c) Doxologie und Epiklese, d) Charismen und