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Ausgabe:

1978

Spalte:

819-820

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hengel, Martin

Titel/Untertitel:

Der Sohn Gottes 1978

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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819

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 11

NEUES TESTAMENT

Hengel, Martin: Der Sohn Gottes. Die Entstehung der Christologio
und die jüdisch-hellenistische Religionsgeschichte. Tübingen:
Mohr 1975. 144 S. kl. 8°. DM 19,80.

Christologie, so zeigt uns Martin Hengel in einer aus seiner
Tübinger Antrittsvorlesung hervorgegangenen monographischen
Studie, ist am faszinierendsten in ihrer Frühgeschichte. Sie stellt
sich ihm so dar, daß sich in den beiden ersten Jahrzehnten (von
Ostern bis zur Abfassungszeit der frühesten Paulusbriefe) auf diesem
Gebiet mehr ereignet hat, als in den ganzen 7 Jahrhunderten
bis zur Vollendung des altkirchlichen Dogmas (S. 11). Wie sehr es
dem Vf. darum zu tun ist, die ersten zwanzig dunklen Jahre von
30 bis 50 n. Chr. (S. 137) zu durchdringen, wissen wir seit seinem
Beitrag über Chronologie und Christologie1. Der gewaltige Schritt
von der österlichen Überwindung des Kreuzesskandalons bis zu
Aussagen über die Präexistenz, wie er bereits im vorpaulinischen
Traditionsgut vollzogen scheint, ist auf dem Hintergrund eines
einzigartigen religionsgeschichtlichen Prozesses zu verstehen.
Hengeis Aufmerksamkeit richtet sich dabei auf den Kreis der
griechischredenden Judenchristen, der „Hellenisten" von Act 6-8,
den ersten Trägern der Heidenmission im palästinensisch-syrischen
Baum, deren Stellung und Theologie er eine etwa gleichzeitig
erschienene Untersuchung gewidmet hat3.

Auch in der nun anzuzeigenden Arbeit, die sich mit den genannten
Aufsätzen zu einem Triptychon zusammenschließt, ist der
Bahmen weit gespannt. Hier erscheinen die (griechischsprechenden
) Judenchristen als „das geistig aktive, theologisch bestimmende
Element, das der ganzen Kirche des 1. Jahrhunderts ihr
Gepräge gegeben hat" (S. 105), besonders auf dem Gebiete der
Christologie. Gegen die Vorstellung einer weitgehenden Pagani-
sierung der Urkirche, wie sie im Gefolge der Religionsgeschicht-
lichen Schule angenommen wurde (dazu S. 32-34) ein entschiedener
Bückgriff auf die Linie AT-Apokalyptik-hellenistisches
Judentum! Der exegetische Befund macht dies zunächst nicht
leicht, wenn er uns zeigt, daß der für die Folgezeit entscheidende
Titel „Sohn Gottes" vor und bei Paulus die Sendung und die
Dahingabe in den Tod bezeichnet. (Hengel: theologische Spitzenaussage
im Unterschied zum gängigen Kyriostitel).

Wie verhält es sich mit der Herkunft? Während der Blick ins
Alte Testament, wo Sohn als „Zuordnungsbegriff" begegnet und
in der Königsideologie einen wichtigen Platz einnimmt (S. 36-38),
ein Grundmuster erkennbar macht, fällt die vom Vf. vorgenommene
Prüfung der griechisch-hellenistischen Parallelen durchweg
negativ aus. Weder die Mysterien noch der „göttliche Mensch"
noch der sogenannte gnostische Mythos noch die hellenistischen
Vorstellungen von der Sendung einer Erlösergottheit bieten Anknüpfungspunkte
(S.39-67). Die Behandlung der jüdischen Entsprechungen
stellt sich nicht so überzeugend dar, wie man bei der
entschiedenen Parteinahme des Vfs. erwarten würde. Für den
charismatischen Wundertäter als Gottessohn finden sich nur
späte Belege. Bei der Bewertung der Metatron-Gestalt darf nicht
übersehen werden, daß der 3.Henoch erst aus der 2. Hälfte des
3. nachchristlichen Jahrhunderts stammt3. Auch das bei Origenes
zitierte Josephsgebet unterliegt ähnlichen Bedenken4. Was den
königlichen Messias als Sohn Gottes in den Qumrantexten angeht,
so scheint die Situation seit der Veröffentlichung von J. Fitzmyer5
etwas günstiger. Auf jeden Fall bleibt jedoch das Wichtigste: die
bis in das AT zurückreichende präexistente Weisheit, auf deren
Zusammenhang mit dem Zionsmessianismus Hengeis Tübinger
Kollege H. Gese aufmerksam gemacht hat. Einer einseitigen
Philodeutung gegenüber bleibt aufrecht zu erhalten, daß bei ihm
Gottessohnschaft (Ph. redet lieber vom Menschen Gottes) als Ziel,
nicht als vorgegebene Ausstattung erscheint.

Die hier entwickelte Vorstellungswelt wurde aufgenommen, um
damit die Einzigartigkeit der Gestalt Jesu als eschatologischer
Größe zu interpretieren, also zur Entfaltung einer Christologie
(S. 90-130). Der Vf. glaubt schon für Röml,3f. zwei Wurzeln zu
erkennen: das Bekenntnis zum Gekreuzigten als Messias designa-
tus und die Deutung des Auferstehungsgeschehens als Bestätigung.
Daß es gerade der Gottessohntitel ist, der schon in so früher Zeit

auf Jesus übertragen wird, hat nach Hengel mehrere Gründe: er
greift mit Joach. Jeremias (und Grundmann) auf das Gottesverhältnis
Jesu selbst zurück (Abba, Mt 11,27), er nennt den messia-
nischen Bezug (Bedeutung von 2Sam7,12ff. und Ps2,7 für die
Urgemeinde), hält sogar eine Parallelbildung zu Sohn des Menschen
für möglich (!), erinnert an den pais theou. Der von Paulus
bereits vorgefundene Versuch, die Protologie in die Christologie
einzubeziehen (den Anfang vom Ende zu betrachten) führt „mit
innerer Notwendigkeit" zur Vorstellung der Präexistenz. Aber
gehen nicht (wie W. Kramer gezeigt hat) in der Hyiologie die
Sendungsaussagen den Präexistenzaussagen voran? Wird man
darüber hinwegsehen können, daß im 1 Kor 8,6; Phil 2,6-11 zwar
das Vorstellungsmodell, aber eben nicht der Titel vorhanden ist?

Daß in der Logoschristologie des Johannes die Verschmelzung
der Vorstellung von präexistentem Gottessohn mit der traditionellen
Weisheit vorliegt, wird heute, nach dem Abklingen des
„gnostischen Fiebers" (dazu Anm.84!), viele überzeugen. Die zeitlich
benachbarte, fast dialektische Sohnesvorstellung des Hebr
(„der Gekreuzigte und der Erhöhte") ist mit wenigen kräftigen
Strichen gezeichnet (S. 131-135).

Der Vf. hat sich (S.12) mit vollem Bewußtsein der Einrede
Harnacks gestellt, der von der „Verdrängung des historischen
Christus durch den päexistenten (des wirklichen durch den gedachten
)" sprach. Ihr setzt er die aus der Geschichte gewonnene
These entgegen, daß die jüdischen Mittlervorstellungen sich anboten
, um die Geschichte Jesu als einzigartiges eschatologisches
Geschehen zu interpretieren. Zu fragen wäre freilich, ob unter
diesem Gesichtspunkt die Auferstehung Jesu, die hier fast ausschließlich
im Zeichen der Bestätigung verstanden wird, stärker
von ihrem proleptisch-eschatologischen Charakter her, als Auferstehung
von den Toten, zu begreifen ist. Daß die verschiedenen
christologischen Linien von der einen Grundintention geführt
werden, daß das Christusgeschehen nicht eine heilsgeschichtliche
Episode neben anderen bedeutet (S. 139), gilt gewiß. Von da aus
wäre auch die völlig ausgeklammerte Problematik der Geisterzeugung
und Jungfrauengeburt und ihr Verhältnis zur Sohn-
Gottes-Christologie (Lkl,35) einzubeziehen. Erst dann wird man
sich ganz dem Urteil des Vfs. anschließen können, „durch die
scheinbar so anstößige... .mythologische' Form der Sohn-Gottes-
und Präexistenzchristologie wurde gerade der Weg zur Überwindung
der Gefahren einer synkretistisch-mythischen Spekulation
gewiesen." (S. 139).
Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

1 Christologie und neutestamentliche Chronologie in: Neues Testament und
Geschichte, F. S. 0. Cullmann, Tübingen 1972, S. 43-67 = Theol. Jahrb. Leipzig
1973, S. 164-186.

* Zwischen Jesus und Paulus. Die „Hellenisten", die „Sieben" und Stephanus.
ZThK 72, 1975, 151-206.

• O. Eißfeldt, Einleitung in das Alte Testament*, Tübingen 1964, S.842,
Anm.3.

4 Als jüdisches Apokryphon gilt die Proseuche Joseph nicht nur bei diesem
sondern auch in der Stichometrie des Nicephorus (vgl. Zahn, Gesch. d. ntl.
Kanons II, 1, S.300).

' The Contrlbution of Qumran Aramaic in the Study of the New Testament,
NTS 20, 1974, 382-403.

Swanson, Reuben J.: The Horizontal Line Synopsis of the Gospels.

Dillsboro, N. C: Western North Carolina Press [1975]. XX,
597 S. gr. 8°. Lw. $ 23.95.

Diese aus Amerika stammende, englischsprachige Synopse ist
das Ergebnis einer über zehnjährigen mühsamen Kleinarbeit.
Zunächst hatte der Autor, Professor der Philosophie und Religion
an der Western Carolina University in Cullowhee, Nord-Carolina,
eine Evangelien-Synopse üblichen Stils in nebeneinander gesetzten
Spalten anfertigen wollen. Als das Werk schon fast vollendet war,
kam ihm plötzlich „wie ein Blitz aus heiterem Himmel" (IX) die
Idee, das gesamte Textmaterial in durchgehenden Zeilen so untereinander
anzuordnen, daß die Parallelen immer mit einem Blick
erfaßt werden könnten. Gedacht, getan. Zur besseren Übersichtlichkeit
wurden der jeweilige Leittext in der ersten Zeile und die
wörtlichen Übereinstimmungen in den folgenden Zeilen durch
Unterstreichung hervorgehoben.