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Ausgabe:

1978

Spalte:

806-808

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Notter, Viktor

Titel/Untertitel:

Biblischer Schöpfungsbericht und ägyptische Schöpfungsmythen 1978

Rezensent:

Herrmann, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 11

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auch in alten Zauberformeln, die mit seinem Namen verknüpft
sind. Und um die Frage nach den Quellen ganz gründlich zu gestalten
oder abzurunden, wird auf Ortsnamen aufmerksam gemacht
(Toponymik), die mit dem Namen Üsinä verbunden sind.
Meistens handelt es sich dabei um Namen von Bauernhöfen oder
auch andere in der Natur anzutreffende Orte. Das bestätigt nicht
nur von neuem die weite Verbreitung dieses Namens, sondern
weist auch in die Vergangenheit zurück. Für sicher gilt das Jahr
1601.

Im dritten Abschnitt (77-122) geht es um die Analyse der Quellen
, um das Wesen und die Funktionen von Üsins zu klären. Der
bezeichnendste Wesenszug von ihm ist die enge Beziehung zu
Pferden. In einer Fülle von Dainas, die im Wortlaut gebracht
werden, wird bezeugt, daß er viele gute Pferde in den verschiedensten
Farben besitzt. Darum ist auch der Pferdestall in erster Linie
sein Aufenthaltsort. Von Bedeutung ist die Vorstellung in einem
der Texte, daß Üsinä über den Berg reitet, auch die von einem
tanzenden und springenden Üsinä. Der lettische Bauer, in dessen
Leben dem Pferd eine besondere Bedeutung zukommt, vertraut
sich willig Üsinä an. Er bekommt es sogar von ihm geschenkt oder
kauft es von ihm. Auch werden die Pferde von ihm gefüttert und
gehütet. Besonders wichtig ist der Schutz Üsins bei der Nacht-
hütung. Darum wird in verschiedenen Texten die enge Beziehung
zwischen Üsins und den Nachthütern auch durch emotionale
Akzente betont. Im Mittelpunkt der Quellen steht das Opfer für
Üsinä. Das Opfertier ist ein schwarzer Hahn. Allerlei Symbolik
spielt dabei eine große Rolle. Mit dem Opfer verbunden wird auch
ein Mahl zu Ehren Üsins gehalten, das hauptsächlich aus Eiern
und Fleisch besteht und aus selbstgebrautem Bier, dem lettischen
Festgetränk, das zugleich Göttertrank ist. Außer Opfer und Mahl
gab es auch Gebete an Üsins um Schutz der Pferde vor Unglück,
Wölfen und Krankheit. Als Zeitpunkt des Opfers wird der Beginn
der Nachthütung genannt, oft auch ein bestimmtes Datum, der
23.April. Andere Quellen nennen Pfingsten. Es gibt auch Texte,
die von einem Zeitpunkt Üsinä oder einem „Üsinä-Tage" sprechen,
und zwar mit besonderer Betonung. Diese Tage sind verbunden
mit kultischen Praktiken, Wahrsagung und verschiedenen Tabus.
Sie entsprechen im allgemeinen den Kulten anderer Völker. Als
besonderer Opfergegenstand, vielleicht auch als Orakel diente hier
wieder das Ei.

Ein vierter Abschnitt (123-154) steht unter der Überschrift:
„Fremde Einflüsse bei der Entwicklung des Üsins." Kritisch setzt
sich B. auseinander mit Erklärungen des Namens aus etymologischen
Zusammenhängen, die heute nicht mehr vertreten werden
können. Das gilt auch Behauptungen für die Identität Üsinä mit
indogermanischen Göttern oder daß er ein Bienengott sei. Auch
der „schnurrbärtige" Gott kann nicht akzeptiert werden. Ebenso
kritisch werden deutsche und russische Einflüsse unter die Lupe
genommen, selbst wenn Endzelins sie vertritt. Aufmerksamkeit
verdient der Einfluß der christlichen Kirche auf Üsinä, der sein
Wesen mitbestimmt hat. Der Üsinätag und der Georgstag werden
als Zeitbestimmung synonym verwendet. In manchen Texten
werden Üsins und der hl. Georg nebeneinander genannt in gleichen
Funktionen. So reitet z. B. auch der hl. Georg wie Üsinä zur
nächtlichen Hütung, und ebenso wird auch ihm ein Hahn geopfert.
Mit mancherlei Theorie über den Zeitpunkt der Identifizierung
des hl. Georg mit Üsinä sotzt sich B. kritisch auseinander. Er kann
als wichtiger Mitpatron des das Land erobernden deutschen Ordens
gelten. Eine ähnliche Identifizierung gibt es auch zwischen
Üsinä und dem hl. Martin. In verschiedenen Texten erscheint dieser
als Fütterer der Pferde, und besitzt selber eine Menge von
ihnen. Auch am Hahnenopfer hat er Anteil. Dieser christliche
Heilige im Bischofsrang ist sogar zum lettischen Kuhhirten geworden
. Ein anderer im Bunde ist der hl. Michael.

Im fünften Abschnitt (155-189) soll unter der Uberschrift:
„Der Lichtgott der alten Letten" versucht werden, die Frage zu
beantworten: Wer ist Üsinä? Etymologische Zusammenhänge mit
russischen und germanischen Entsprechungen des Üsinä kommen
noch einmal ausführlich zur Sprache. Ein aus dorn Jahre 1606
stammender Ausdruck „Gott Üsinä" kann nach kritischer Untersuchung
nichts zur Erklärung des Wosens dieses Gottes beitragen.
Da linguistische Forschungen hier nicht genügen, bleibt zu fragen,

ob es im Wesen des Üsinä Züge gibt, die weiter helfen können. Da
ist die Beobachtung, daß Üsinä und Dievinä in vielen Funktionen
nebeneinanderstehen. Ob sie nicht identisch sind? Auch gibt es
eine Reihe von Begründungen dafür, daß Üsins ursprünglich zur
Familie der Himmelsgötter gehört hat. Weit im Hintergrund ist
von zwei Söhnen Üsinä die Rede, hinter denen der Morgen- und
Abendstern sich verbergen könnten. „Es handelt sich um einen
der ältesten Züge dieser Religion, die sie mit altindischen religiösen
Vorstellungen, den divi napätä, den griechischen Diös kouroi,
verbindet." Für eine Identifizierung Üsinä mit der Sonne findet
B. keine genügende Grundlage. Aber es verbindet sich mit ihm ein
Teil derselben Vorstellungen wie mit den andern Himmelsgöttern.
Er zählt eben zu ihrer Familie. Auch an seinem Kult wird sein
Wesen erkennbar. Das Hahnenopfer ist gewöhnlich mit Lichtgottheiten
verbunden. Auch das Mahl hat sakralen Charakter. Die
Rolle von Eiern im Kultus als Symbole der kosmischen Ordnung
wie als Lebenssymbole ist genügend bekannt. In dem Zusammenhang
heißt es von ihm, daß er den Bäumen Blätter und den Feldern
grünes Gras bringt. Es muß angenommen werden, daß er vor dem
Christentum den Letten bekannt war und daß man in ihm eine
Lichtgottheit sah. Die Frage, warum er zu einem Pferdegott
^geworden ist, kann so beantwortet werden, daß alle lettischen
Götter mit Pferden in Beziehung stehen und das Pferd selber zur
sakralen Welt gehört. Mit dem Christentum kam es zu einem
Synkretismus, der die Funktionen der lettischen Götter und der
christlichen Heiligen oft miteinander vertauschte. Nach diesem
Modell, scheint es, haben sich die synkretistischen Vorstellungen
von Üsins, dem alten Lichtgott gebildet, in dessen Schutz der
lettische Bauer sich sicher fühlte.

Dieser Abschluß bedeutet kein happy end weder für die Religion
der alten Letten noch was Üsinä betrifft. Es bleiben offene Fragen
für zukünftige Forschungen. Die sehr gründliche und kritischo
Arbeitsweise von B. ließ es nicht zu, voreilige Schlüsse zu ziehen.
Wo die Fragen liegen und wie sie lauten, kann im Vorwort zur
Kenntnis genommen werden. Ein Verzeichnis der Lieder über
Üsins (190-195) - eine Art Gebrauchsanweisung dafür findet sich
auf Seite 38 - Abkürzungen, Literaturhinweise, Sach- und Personenverzeichnis
beschließen die Arbeit.

Einigen Druckfehlern im Text soll hier nicht weiter nachgegangen
worden. Nur auf einen Übersetzungsfehler (oder ist es auch ein
Druckfehler?) sei aufmerksam gemacht. Auf Seite 84 unten ist die
Zeile: „Lai augmiezi, Iai aug rudzi" zu übersetzen: „Damit die
Gerste wachse, damit der Roggen wachse".

Wilhelm-Pieck-Stadt Guben Martin Klllua

Notier, Viktor: Biblischer Schöpfungsbericht und ägyptische
Schöpfungsmythen. Mit Geleitworten v. H. Brunner u. H. Haag.
Stuttgart: Kath. Bibelwerk [1974]. 191 S. 8° = Stuttgarter
Bibelstudien, hrsg. v. H. Haag, R. Kilian u. W. Pesch, 68.
Kart. DM 18,-.

Zusammenhänge des biblischen Schöpfungsberichtes mit Texten
und Überlieferungen aus der Umwelt Israels sind seit langem
bekannt und vielfach dargestellt worden. In erster Linie wurden
Materialien aus dem Zweistromland, aber auch aus dem kanaanä-
isch-phönikischen Bereich namhaft gemacht. Doch zeigen die
neueren und neuesten Untersuchungen zum Schöpfungsbericht in
Monographien, Aufsätzen und Kommentaren (verwiesen sei auf
W. H. Schmidt, Dio Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift,
19672; auf den Aufsatz in dieser Zeitschrift 86, 1961 Sp. 413-424
und auf C. Westermanns großen Genesiskommentar), in welchem
Umfange auch ägyptisches Vorstellungsgut zur Schöpfung mit
dem biblischen Bericht in Verbindung zu bringen ist. Auf den
ersten Blick scheint das hier zu besprechende Buoh von Notter,
das sich den ägyptischen Texten und Vorstellungen ausschließlich
zuwendet, eine wesentliche Bereicherung des ägyptischen Vergleichsmaterials
zu liefern. Doch ist nicht alles von gleich hohem
Rang und darum für dio biblischen Texte nicht immer von unmittelbarer
Bedeutung. Der Vf., der als Missionar an verschiedenen
Orten in Ferriost tätig war, legt das Ergebnis von zwanzig Jahren
ägyptologischer Arbeit vor, das im Aufspüren und Registrieren