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Ausgabe:

1978

Spalte:

804-806

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Biezais, Haralds

Titel/Untertitel:

Lichtgott der alten Letten 1978

Rezensent:

Killus, Martin

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 11

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In Erinnerung an die Anfänge des Geehrton in der alttestament-
lichcn Wissenschaft wird der Band beziehungsreich mit zwei alt-
testamentlichen Abhandlungen eröffnet. Svend Holm-Nielsen
nimmt sich mit der „Sozialkritik der Propheten" (S.7-23) eines in
der gegenwärtigen Diskussion beliebton Themas an. Er wehrt sich
gegen die Isolierung der prophetischen Sozialkritik und weist
ihren inneren Zusammenhang mit dem Jahweglauben nach (S. 22f.).
In besonderer Weise beziehungsreich sind Otto Kaisers „Erwägungen
zum Kindopfer im Alten Testament" („Den Erstgeborenen
deiner Söhne sollst du mir geben", S. 24-48) insofern, als C. H.
Ratschow selbst den religionsgeschichtlichen Artikel „Erstlinge"
zur 3. Aufl. der RGG beigesteuert hat. In sehr umsichtigen Untersuchungen
kommt Kaiser zu dem Ergebnis, daß es in Israel kein
generelles Erstgeborenenopfer gegeben habe (S. 45), daß aber in
überaus seltenen Fällen Knaben- und Kinderopfer dargebracht
wurden. Die Erzählung von der Opferung Isaaks (Gen22) setzt
voraus, daß Jahwe solch ein Opfer von Menschen fordern könne,
zugleich bekundet sich in ihr aber die Überzeugung, daß er es als
Tat des Menschen nicht verlangt. Mit dem nächsten Beitrag wird
ein großer zeitlicher Sprung vollzogen. In seinem Aufsatz über
„Luthers Zwei-Reiche-Lehre in der deutschen Reformation"
(S.49-69) ruft Gerhard Müller die Tatsache in Erinnerung, daß
sich der geschichtliche Verlauf der Erneuerung der Kirche nicht an
Luthers Lehre von den beiden Reichen orientiert habe. Die
Gründe für den geringen Einfluß dieser theoretischen Konzeption
auf die Praxis der lutherischen Reformation sieht er darin, daß
Luther mit seiner „Drei- oder Mehr-Stände-Lehre" die Gegenüberstellung
von Obrigkeit und Kirche wieder relativiert (S.57f.)
und überhaupt „nicht nur von der Zwei-Reiche-Lehre her gedacht"
habe (S.67). Außerdem erforderte die Entwicklung andere Entscheidungskompetenzen
, und so wurde, unterstützt von den Bemühungen
der Humanisten und auch Melanchthons, dem konfessionellen
Obrigkeitsstaat ein Mitspracherecht in kirchlichen Angelegenheiten
eingeräumt, das durch Luthers Zwei-Reiche-Lehre
nicht mehr abgesichert war. Das eröffnete für das Luthertum eine
folgenreiche und belastende Entwicklung. - Die übrigen Beiträge
dieses 1. Hauptteiles sind Fragen und Problemen der Aufklärung
und des 19.Jahrhunderts gewidmet. Martin Schmidt erörtert
„das Geschichtsproblem in der Aufklärung und seine theologische
Bedeutung" (S. 70-100) am Beispiel des Basler Isaak Iselin
(1728-1782), Gottfried Hornig analysiert die für „Semlers Dogmengeschichtsschreibung
und Traditionskritik" leitenden Argumente
und Kriterien (S. 101-113), Julius Harms versucht mittels
einer Deutung von Lessings „Ernst und Falk" dessen Spinozismus
deutlicher zu erfassen (S. 114-133), Günther Keil verfolgt die
spannungsvolle Gedankenführung in J. G. Fichtes „Anweisung
zum seligen Leben" (S. 134-151) und Hans Grass beschließt den

1. Hauptteil mit einer knappen, von bestimmten Gesichtspunkten
geleiteten Interpretation der Erlösungslehre Schleiermachers
(S. 152-169).

Thematisch noch breiter gefächert sind die Beiträge des

2. Hauptteils, den ljudwig Landgrebe mit interessanten, von
Husserls später Phänomenologie ausgehenden Erwägungen über
„Faktizität als Grenze der Reflexion und die Frage des Glaubens"
eröffnet (S. 173-192), nach meinem Urteil zugleich die gewichtigste
Abhandlung der Festschrift. Mit dem Instrumentarium phänomenologischer
Konstitutionsanalysen deutet Landgrebe die in
der Faktizität erfahrene Grenze aller Reflexion als Erfahrung einer
herausfordernden Macht, die im religiösen Glauben angenommen
wird (S. 188). „Die unerfahrbaren Voraussetzungen der Erfahrung
" sind Gegenstand der Erwägungen von Knud E. Logstrup
(S. 193-207). Unter dem Titel „Mythos und Psyche" gibt Ulrich
Mann eine Anleitung „zur religionspsychologischen Interpretation
der Mythologie" (S. 208-224), Adolf Köberle eine Skizze über
„Das Weltbild der Parapsychologie" (S.225-236). Wenzel Lohff
versucht in seinem Aufsatz die reformatorische Lehre von „Gesetz
und Freiheit" unter den Bedingungen des neuzeitlichen Bewußtseins
zu aktualisieren (S.237-249), Gustaf Wingren das Handeln
der Kirche in seinen welthaften Konsequenzen deutlich zu machen
(S.250-258). Ein ähnliches Gefälle zeigen Martin Schloemanns
Ausführungen über „Die Krise des utopischen Bewußtseins als
Problem theologischer Ethik" (S. 276-292), während Walter

Künneth in solchen Bestrebungen nur Vorrat an der klassischen
Unterscheidung von Gesotz und Evangelium erblicken kann
(„Weltveränderung - Utopie oder Realität?", S.259-275, bes.
S.269ff.). Abgesehen von Theodor Mahlmanns materialreichem
Aufsatz „Was ist Religionsphilosophie?" (S.309-330) mündet der
Band aus in Beiträge (von Johan Bouman, Shizuteru Ueda,
Manfred Büttner) über Themen, die an der Peripherie des systematisch
-theologischen Interessenfeldes angesiedelt sind.

Hamburg Hermann Fischer

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Biezais, Haralds: Lichtgott der alten Letten. Stockholm: Alm-
quist & Wikseil [1976]. 210 S. gr. 8°.

Schon im Vorwort betont B., daß an diesem lettischen Gott sich
„scharfe Diskussionen polemischen Charakters" entzündet haben.
„In ihnen überschneiden sich objektives Forschungsinteresse und
außergewöhnlich scharfe Äußerungen nationalromantischer Bestrebungen
." An den daraus entstehenden Problemen konnte er
nicht vorbeisehen. Anhand der zugänglichen Quellen ist er ihnen
mit aller Gründlichkeit nachgegangen, um sie einer kritischen
Analyse zu unterziehen. Die in dieser Arbeit ausgesprochenen
Gedanken sind nicht ohne Zusammenhang mit den früheren Arbeiten
von B. Sie bedeuten deren Ergänzung oder auch Modifizierung,
wie es sich durch die Aufnahme kritischer Hinweise ergeben hat.
Es handelt sich dabei um „Die Hauptgöttinnen der alten Letten",
1955, „Die Gottesgestalt der lettischen Volksreligionen", 1961,
und „Die himmlische Götterfamilie der alten Letten", 1972. Auf
die Rezension dieses letzten Buches in ThLZ 102, 1977 Sp. 179ff.
sei hingewiesen. Dort bereits behandelte Fragen und Probleme
werden nicht mehr aufgenommen. Das gilt besonders für solche
prinzipiellen Fragen wie die Volkslieder (Dainas).

Im ersten großen Abschnitt (11-24) werden die bisherigen
Standpunkte zur Lösung des Problems untersucht. Ob ÜsinS
- um ihn geht es in dem ganzen Buch - ein genuin lettischer Gott
ist ober ob er mit dem Christengott nach Lettland eingeführt
wurde und ursprünglich ein Hausgeist war, darüber gehen die
Meinungen der älteren Forscher weit auseinander, mögen sie
Aunins, Endzelins oder Smits heißen. Manche wollen phonetische
Ähnlichkeiten mit russischen Worten erkennen, andere halten
Üsins für einen Pferdegott. Ein Ergebnis ihrer Arbeit war die Aufmerksamkeit
der internationalen Forschung auf das Problem dieses
lettischen Gottes.

Im zweiten Abschnitt (25-76) geht es in Fortsetzung der angeschnittenen
Probleme um die Frage nach den Quellen und ihrer
Bedeutung. Schon über die Schreibweise herrscht Unsicherheit,
da die lettische Schriftsprache erst im Entstehen begriffen war,
und die ersten lettischen Schriften von Deutschen geschrieben
wurden. Aber wichtig ist die Feststellung, daß Üsins tatsächlich
ein Pferdegott ist, und ihm auch Opfer gebracht worden sind.
Weiter erscheint er als Bienengott, dann auch als der mit Hosen
bekleidete Gott, der Behoste. Es findet sich auch eine Identifizierung
mit dem christl. St. Georg, wie es unter anderem im 1872
erschienenen Ulmanns Wörterbuch nachzulesen ist. Das meiste
Quellenmaterial dazu bietet die Folklore, natürlich mit denselben
Fragen und Problemen wie in früheren Arbeiten von B. In etwa
110 Dainas wird Üsins' direkt genannt. Aber diese müssen schon
darum unterschiedlich bewertet werden, weil sie sich über einen
längeren Zeitraum verteilen. Das geschieht schon bei den vorher
genannten Linguisten Endzelins und Smits, die die von Auninä
veröffentlichten Lieder sehr kritisch beurteilen und sogar als Fälschungen
ansehen. Ihr Urteil kann aber in der Schärfe nicht angenommen
werden, weil eine Fülle älterer und auch heute zugänglicher
Dainas-Texte dem entgegensteht. Außer den Dainas dient
in beachtlichem Maß auch epische Folklore als Quellenmaterial,
die die Aussagen der Dainas bestätigt, ergänzt und präzisiert.
Schon die Bezeichnung Üsins in allen diesen Texten ist wichtig,