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Ausgabe:

1978

Spalte:

802-804

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Denkender Glaube 1978

Rezensent:

Fischer, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 11

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Sch. verhandelt dann weiter das Verhältnis von Charisma (?)
zu den Pneumatika und zur christlichen Ethik als der nova
oboedientia, u. a. auch im Verhältnis zu den sozialen Gegebenheiten
der Zeit, von denen Paulus sich nicht konsequent genug
habe lösen können. - Hinsichtlich der Diskussion um das „Amt"
läßt sich hier der Beitrag von E. Lohse anfügen: ,,,Das Amt, das
die Versöhnung predigt'" (339-349). Auch L. stellt fest, daß das
Amt als Dienst streng auf die Auferbauung des Leibes Christi und
auf Predigt, Bezeugung und Lehre des Wortes von der Versöhnung
bezogen sein muß. Die in den Pastoralbriefen hervortretende
Ordination gilt nicht den gemeindeleitenden bzw. dienstleistenden
Funktionen (Episkopoi, Presbyteroi, Diakonoi), sondern ist gemäß
jüdischer Tradition auf die Reinhaltung der „Lehre", jetzt
also: der von Paulus her überkommenen „Paratheke", ausgerichtet
. (Leider wird eine solche Differenzierung in den Schlußbemerkungen
nicht deutlich festgehalten.) - J. Jervell („Der schwache
Charismatiker", 185-198) hat es mit dem apostolischen Selbstverständnis
des Paulus zu tun: das Miteinander von apostolischer
Wunderbefähigung und „Schwachheit" = Krankheit ist dem
Evangelium angemessen, insofern es deutlich macht, daß Wunderkräfte
nicht Eigenkräfte sind, sondern Gottes in Paulus wirkende
Kraft ist; so ist die Schwachheit eine Barriere gegen den Selbstruhm
.

Einzeltexte behandeln: O. Kuss, „Zu Römer 9,5" (291-303),
der die Auffassung begründet, daß die Eulogie in Rom 9,5c-d auf
Gott (nicht auf Christus) zu beziehen ist, sowie A. Vögtle, „Rom
13,11-14 und die ,Nah'-Erwartung" (557-573), der zeigt, daß es
in diesem Abschnitt nicht um einen Nahtermin der Parusie, sondern
um die für alle christliche Existenz stets „andringende Nähe
der Parusie" geht. - Forschungsgeschichtlicher Art ist der Beitrag
von W. G. Kümmel, „Albert Schweitzer als Paulusforscher"
(269-289), der den Umständen der Entstehung der beiden Paulusbücher
Schweitzers, den Voraussetzungen seiner Paulusdeutung,
ferner ihren kennzeichnenden Punkten und schließlich ihrer zunächst
auffällig geringen Wirkung in der weiteren Paulusforschung
nachgeht.

Eine Reihe von Beiträgen fragt nach Rechtfertigungs- und
Kreuzestheologie bei anderen neutestamentlichen Autoren. So
geht U. Luz („Rechtfertigung bei den Paulusschülern", 365-383)
wirkungsgeschichtlich der Aufnahme der Rechtfertigungstheologie
im Epheserbrief und in den Pastoralbriefen nach. Beide Schriften
(-gruppen) sind von einer Taufdeutung abhängig, die die Rettung
durch Gottes Gnade im Taufgeschehen ansetzte und damit als
Vergangenheit erscheinen ließ (vgl. Ferd. Hahn, s. oben). Eph sucht
ein Mißverstehen solcher Rettungslehre einerseits durch Betonung
des Kirchengedankens, andererseits durch Paränese abzuwehren.
In den Pastoralbriefen erscheint die Rechtfertigung als die grundlegende
Vor-Gabe Gottes, die nun ein Leben in guten Werken
ermöglicht und Ewigkeitshoffnung gewährt. In beiden Fällen
wird Rechtfertigung zur „Lehre" und so zur Basis der (rechten)
Kirche, wobei sie ihre ursprüngliche kritische Funktion - gerade
auch der Kirche gegenüber - einbüßt. - F. G. Lang („Sola gratia
im Markusevangelium", 321-337) untersucht „die Soteriologie des
Markus nach 9,14-29 und 10,17-31", wobei die erste Perikope
stärker das sola fide unterstreicht („Glaube" nicht als wunderwirkende
Kraft, sondern als Sich-Öffnen für den Heil(ung)sempfang
«= für Befreiung von dämonischer Macht), während Mkl0,17ff.
Gottes Güte als die einzige Vorbedingung für Leben aufweist:
sola gratia. - W. Klaiber („Eine lukanische Fassung des sola
gratia. Beobachtungen zu Lk 1,5-56", 211-228) versteht die Erzählungen
in Lk 1 als Veranschaulichung des erwählenden Gnadenhandelns
Gottes; in dem natus ex virgine verleiblicht sich das
extra nos des Heils für alle Menschen. - Für den Hebräerbriof
zeigt E. Gräßer („Rechtfertigung im Hebräerbrief", 79-93) auf,
daß Hebr mit der Rechtfertigungsterminologie zwar von etwas
anderem spricht als Paulus (nämlich von der Bewährung des
Glaubenden), aber: „Die Christologie ist der eigentliche Testfall",
und da zeigt sich, daß Hebr die sola-gratia-Struktur des Heils, vor
allem im Gegenüber zum alttestamentlichen Kult, streng festhält
. - K. H. Schelkle bietet in einer auf Harmonisierung vorhandener
Spannungen bedachten Umrißdarstellung „Das Herrenmahl
" (385-402) die Vorform eines Kapitels für den Schlußband
seiner „Theologie des Neuen Testaments".

Der einzige Beitrag, der auf Käsemanns Thesen zur Johannesexegese
eingeht, stammt von H. Thyen: ,,,...denn wir lieben die
Brüder' (1 Joh3,14)" (527-542). Der von Käsemann für Joh behauptete
prädestinatianische Dualismus ist nach Th. in Wahrheit
für eine Unterschicht des Joh Ev kennzeichnend, wird aber vom
Evangelisten neu ausgelegt: Glaube ist wunderbarer Uberschritt
vom Tode zum Leben. So meint das Gebot der Bruderliebe keine
introvertierte Einengung des offenen Liebesgebots Jesu, sondern
will die besondere Zusammengehörigkeit der Glaubenden in ihrer
Bindung an Gottes Selbstmitteilung in Jesus darstellen (so daß
es eher dem Soma-Christou-Gedanken als dem synoptischen
Liebesgebot entspricht).

Am Ende seien zwei Beiträge genannt, die nach Umfang und
Inhalt für das Gesamtthema des Bandes von besonderem Gewicht
sind. M. Hengel trägt in seiner außerordentlich materialreichen
Arbeit „Mors turpissima crucis. Die Kreuzigung in der antiken
Welt und die .Torheit' des .Wortes vom Kreuz'" (125-184) alle
erreichbaren Nachrichten über den Vollzug der Kreuzesstrafe im
Altertum sowie alle Gesichtspunkte zusammen, unter denen der
antike Mensch die Kreuzigung juristisch, politisch, moralisch und
philosophisch gesehen hat - ein wichtiges Kompendium für den
Hintergrund der Kreuzestheologie, mit mancher Neubewertung
gängiger Auffassungen. - Schließlich gibt W. Sehrage unter der
Überschrift „Die Frage nach der Mitte und dem Kanon im Kanon
des Neuen Testaments in der neueren Diskussion" (415-442) eine
Bestandsaufnahme der Diskussion zunächst darüber, ob die Frage
nach einem „Kanon im Kanon" überhaupt legitim und sinnvoll
ist, sodann über einige Grundformen ihrer Beantwortung (J. Jeremias
; H.Schlier; H.Braun; M.Luther); dieser Aufsatz bietet
- wie auch der vorige - zugleich eine umfassende Literaturübersicht
. Er mündet in der These, daß die iustificatio impii als die
kritische Mitte gelten muß, auf die das Evangelium in allen Teilen
der Schrift zu beziehen ist und an der alle seine Bezeugungen zu
messen sind.

So ist ein Band mit wichtigen Impulsen für die theologische
Arbeit in Exegese, Dogmatik und Verkündigung zustandegekommen
. Für die thematische Konzentration, die ja ihrerseits
dankbarer Reflex auf die Konzentration des theologischen Engagements
Ernst Käsemanns ist, sei den Herausgebern besonders
gedankt. Die typographische Gediegenheit des Bandes verdient
eigens hervorgehoben zu werden; nur auf S. 318 unten sind mehrere
Zeilen im Korrektursatz verstellt worden, wobei zwei Zeilen
ganz verlorengingen. Die wertvolle Gabe wird durch Autoren-
und Stellenregister gut erschlossen und durch eine Bibliographie
der Schriften Käsemanns (von F. G. Lang, 593-604) noch zusätzlich
bereichert.

Naumburg Nikolaus Walter

[Ratschow, Carl Heinz:] Denkender Glaube. Festschrift für Carl
Heinz Ratschow zur Vollendung seines 65. Lebensjahres am
22. Juli 1976 gewidmet von Kollegen, Schülern und Freunden,
hrsg. v. O. Kaiser. Berlin-New York: de Gruyter 1976. VIII,
363 S. m. 1 Abb., 1 Porträt gr. 8°. Lw. DM 98,-.

Der Titel der hier anzuzeigenden Festschrift für Carl Heinz
Ratschow bezeichnet die sachliche Mitte der weitgespannten
religionsgeschichtlichen und theologischen Arbeit des Jubilars,
nicht aber die thematische Einheit der in diesem Bande vereinigten
Aufsätze. Sie beziehen sich auf sehr unterschiedliche Themen- und
Gegenstandsbereiche und lassen sich deshalb nur schwer nach
übergreifenden Gesichtspunkten ordnen oder zusammenfassen.
Der Versuch, dennoch eine Aufgliederung vorzunehmen und in
einem l.Teil („Geschichte" S.7-169) geschichtsorientierte, in
einem 2. Teil („Gegenwart" S. 173-361) gegenwartsbestimmte Beiträge
zu bündeln, wirkt nicht überzeugend, da auch unter diesen
Titeln sehr interessante, aber doch eben disparate Themenkomplexe
abgehandelt werden.