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Ausgabe:

1978

Spalte:

799-802

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Rechtfertigung 1978

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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799

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 11

800

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

[Käsemann, Ernst:] Rechtfertigung. Festschrift für Ernst Käsemann
zum 70. Geburtstag, hrsg. v. J. Friedrich, W. Pöhlmann
und P. Stuhlmacher. Tübingen: J. C. B. Mohr, und Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht, 1976. VIII, 650 S., 1 Porträt. gr.8°.
Lw. DM 108,-.

Die Festschrift zu Ehren Ernst Käsemanns hätte „die Grenzen
des heutzutage verlegerisch Möglichen gesprengt" (Vorwort),
wenn sie nicht auf exegetische Beiträge beschränkt worden wäre -
keine Frage angesichts der Vielfalt und Weite der Wirkungen, die
von der theologischen Arbeit des Jubilars ausgegangen sind! Aber
mit der Beschränkung ist auch der Nutzen einer weitgehend gelungenen
Konzentration auf ein zentrales Thema der Theologie
verbunden. Die 30 nach dem Alphabet der Autorennamen geordneten
Beiträge sollen im folgenden versuchsweise nach Sachgruppen
gruppiert vorgeführt werden.

Mehrere Beiträge gehen auf die alttestamentlich-jüdische Vorgeschichte
des paulinischen Rechtfertigungs-Themas ein. So fragt
H. H. Schmid („Rechtfertigung als Schöpfungsgeschehen", 403
bis 414) nach der alttestamentlichen Vorgeschichte des neutesta-
mentlichen Gerechtigkeitsbegriffs. In ihr sollen die Themen
.Gerechtigkeit' und .Schöpfung' schon im AT zusammengehören,
was explizit freilich überwiegend aus Texten ägyptischer Weisheit
belegt wird (Schm. rekurriert daher auf einen „ontologischen
Zusammenhang", also doch eher auf einen Gedanken der Interpretation
als auf die biblischen Texte selbst - wie das wohl für die
entsprechende These der Paulusinterpretation auch gilt); neu ist
im NT vor allem der Gedanke der iustificatio impii. - H. Gese
(„Psalm50 und das alttestamentliche Gesetzesverständnis", 57
bis 77) stellt an Hand von Psalm 50 die Dankopfer-Frömmigkeit
als eine der Möglichkeiten alttestamentlicher Gesetzesdeutung
dar. - W. Zimmerli begleitet „Alttestamentliche Prophetie und
Apokalyptik auf dem Wege zur »Rechtfertigung des Gottlosen'"
(575-592) und stellt dabei fest, daß Propheten wie Ezechiel und
Deuterojesaja dieser paulinischen Botschaft erheblich näher
kommen als die Apokalyptik des Danielbuches. - K. Koch („Die
drei Gerechtigkeiten", 245-267) untersucht die „Umformung einer
hebräischen Idee im aramäischen Denken nach dem Jesajatar-
gum": schon an der Wahl von Vokabeln verschiedener Wortstämme
im Targum wird sichtbar, daß hier zwischen Gottes allein
vollkommener, eschatologischer Gerechtigkeit, dem Rechttun der
angefochtenen Frommen und der qustä (.Wahrheit, Verläßlichkeit
') unterschieden ist, die bei Gott allein gegeben ist und auf die
der Fromme sich glaubend einläßt. - O. Betz („Rechtfertigung
in Qumran", 17-36) zeigt, daß für die Qumrangruppe „die Gerechtigkeit
Gottes stets den Vorrang vor dem menschlichen Tun" hat;
der Verdienstgedanke ist durch den Prädestinationsgedanken ausgeschlossen
, Heilsgewißheit beruht allein auf der erwählenden
Gnade Gottes.

Wie zu erwarten, widmet sich ein großer Teil der Beiträge der
Rechtfertigungs- bzw. Kreuzestheologie des Paulus. In „Achtzehn
Thesen zur paulinischen Kreuzestheologie" führt P. Stuhlmacher
(509-525) den Gedanken durch, daß die theologia crucis
nicht den Grundgedanken der paulinischen Theologie darstelle
(dieser liege vielmehr bei den Aussagen über Sühnetod und Versöhnung
als Eröffnung der Gottesgemeinschaft), daß sie jedoch
dieses Zentrum in gesetzes- und weisheitskritischer Zuspitzung
markiere. Traditionsgeschichtlich gesehen sei die paulinische
Kreuzestheologie die konsequente Weiterentwicklung dessen,
„was Jesus selbst gewollt und gelebt hat" (524). - Auch nach
G. Strecker („Befreiung und Rechtfertigung", 479-508) ist die
Rechtfertigungslehre eine polemisch im Kampf mit den galatischen
Judaisten erfolgende Weiterentwicklung der Erlösungsbzw
. Befreiungslehre, die aber als „Kritik des Gesetzesweges"
nunmehr grundsätzlich unüberholbar bleibt. - Daß die Rechtfertigungslehre
, wiewohl in der Polemik entstanden, doch von
Anfang an auf grundsätzliche Gültigkeit hin entworfen ist, zeigt
auch Ph. Vielhauer („Gesetzesdienst und Stoicheiadienst im
Galaterbrief", 543-555): mit Hilfe des Terminus stoicheia betont

Paulus schon im Gal die Gleichartigkeit der Lage von Juden und
Heiden als Versklavtheit unter die elementaren Weltmächte.

Einige Studien setzen die Rechtfertigungslehre in Beziehung zu
anderen Themen der paulinischen Theologie. So zeigt D. Lühr-
mann („Christologie und Rechtfertigung", 351-363), daß nicht
erst Paulus die christologische Tradition anthropologisch-soterio-
logisch ausgelegt hat; vielmehr geschah das (wie schon Röm3,21ff.
zeigt) bereits vor Paulus; ja die christologischen Titel „Gottessohn
" und „Christus" sind schon von ihrer jüdischen Vorgeschichte
her mit dem Thema der sich durchsetzenden Gerechtigkeit
Gottes verknüpft; das Gleiche gilt für das Stichwort „Glaube".
- Ähnlich zeigt auch Ferd. Hahn („Taufe und Rechtfertigung",
95-124), daß die Themen Taufe und Rechtfertigung schon in vor-
paulinischer Tradition gekoppelt waren, freilich so, daß mit der
Taufe-auch die Rechtfertigung der christlichen Existenz als ein
erledigtes Geschehen vorauszuliegen scheint. Eine solche Zuordnung
löst Paulus auf, indem er die Rechtfertigung als das die
Taufe zeitlich und sachlich übergreifende Geschehen erfaßt, auf
das der Christ beständig angewiesen bleibt. In der nachpaulini-
schen Tradition, besonders in den Pastoralbriefen, ist die für
Paulus entscheidende Korrelation von Rechtfertigung und Glaube
jedoch wieder aufgegeben worden. - L. E. Keck („Justification
of the TJngodly and Ethics", 199-209) macht klar, daß die Verkündigung
der Rechtfertigung des Gottlosen Ethik nicht aufhebt,
daß vielmehr das ethische Problem der zentrale Punkt der Rechtfertigungslehre
ist, insofern Ethik primär nicht das zu Tuende,
sondern den Menschen als Handelnden (,doerl) in den Blick
nimmt. Dessen Situation wird nicht durch Geduld mit seinen
Mängeln, sondern erst durch das in Ostern als Anfang eines neuen
Äons verkündete neue Grundgesetz des Lebens, die Rechtfertigung
des Gottlosen (Gal3,13), wirklich verändert; davon bleibt das von
der Thora gewährte Wissen um das zu tuende Gute unberührt. -
E. Schweizer („Gottesgerechtigkeit und Lasterkataloge bei
Paulus [inkl. Kol und Eph]", 461-477) untersucht das Verhältnis
der Lasterkataloge (angefangen bei IThess 4,3-6; besonders ausführlich
zu Kol 3,5-8) zum Gabe- und Machtcharakter des Rechtfertigungshandelns
Gottes: die Kataloge bezeichnen die vollzogene
Scheidung vom Heidentum, also den „Herrschaftswechsel", zugleich
aber auch die beständige Aufgabe, die Gottesgerechtigkeit
sich „auch in den trivialen Problemen des Alltags" immer wieder
neu durchsetzen zu lassen.

Mehrere Beiträge kreisen um das Verhältnis des Paulus zum
Alten Testament bzw. zu Israel. So möchte J. Blank in seinen
grundsätzlichen „Erwägungen zum Schriftverständnis des Paulus
" (37-56) eine einheitliche, „spezifisch christlich-paulinischo
Konzeption vom ,Wesen der Schrift'" herausstellen. - Um das
Verhältnis von mosaischer Thora zum „neuen Bund" bzw. zum
„Gesetz Christi" geht es bei F. Lang („Gesetz und Bund bei
Paulus", 305-320); der Begriff „Bund" kann für Paulus nicht als
Brücke zwischen AT und NT dienen, da er schon innerhalb des
AT einen grundsätzlichen Gegensatz zwischen Abrahamsverheis-
sung und Mosethora erkennt. - Diesem Sachverhalt geht auch
Ch. K. Barrett ("The Allegory of Abraham, Sarah and Hagar in
the Argument of Galatians", 1-16) nach; er vermutet einleuchtend
, daß Paulus mit der zunächst befremdlichen Allegorese von
Gal 4,21-31 auf bestimmte gegnerische Argumentationen antwortet
. - G. Klein („Präliminarien zum Thema ,PauJus und die
Juden'", 229-243) betont in einer (verständlicherweise) gereizten
Polemik gewiß mit sachlichem Recht, daß es noch kein „theologischer
Antijudaismus" ist, wenn der Paulusexeget festhält, daß
auch die Juden ein Beispiel für Gottes Rechtfertigungshandeln
an solchen sind, die sich gegen Gottes Treue verschlossen und auf
den Weg der Eigengerechtigkeit begeben haben.

Hinsichtlich der „Charismenlehre des Paulus" möchte S.
Schulz (443-460) eine „Bilanz der Probleme und Ergebnisse"
ziehen. Zwischen der paulinischen Lehre von den Charismen in der
Gemeinde und einem auf Recht und Ordnung bezogenen „Amt"
besteht „ein unüberbrückbarer Gegensatz". Ämterartige Funktionen
in der Gemeinde müssen sich in die Auffassung von den Cha-
rismata integrieren lassen; „Amt, Recht, Ordnung werden zu
Funktionen des Geistes und nicht umgekehrt" -dies sei„die direkte
ekklesiologische Entsprechung zur Rechtfertigungsbotschaft" (?!).