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Ausgabe:

1978

Spalte:

55-56

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Kreck, Walter

Titel/Untertitel:

Grundfragen christlicher Ethik 1978

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 1

56

ETHIK

Kreck, Walter: Grundfragen christlicher Ethik. München:
Kaiser [1975]. 350 S. 8° = Einführung in die evangelische
Theologie, 5. DM 34,-.

Diese Ethik verbindet eine stark von der Dogmatik der
Barth-Schule geprägte „Grundlegung der Ethik" (in einem
ersten Teil) mit dem .Versuch einer Konkretion auf einigen
sozialethischen Problemfeldern": vor allem die Themen Sozialismus
und gewaltsame Veränderung ungerechter Gesellschaftsstrukturen
betreffend (in einem zweiten Teil auf den Seiten
223—346 in sehr engem Druck).

In den grundlegenden Teil, der primär Sachkategorien erörtert
, sind vielerlei historische Informationen eingelagert, so
daß dieser in gewisser Weise auch Erfordernisse einer geschichtlichen
Grundlegung erfüllt. — Der Einsatz (I. Ethik als
Frage nach Gottes Gebot) wird beim Gegensatz zwischen
O f f e n b a r u n g s erkenntnis und der „eigenmächtigen, von
Gott gelösten Erkenntnis von gut und böse" (S.17) genommen;
und die Überschrift „Die menschliche Frage nach dem Guten"
(S.21) gibt Anlaß zum Referat über „typische Ansätze der
Ethik im allgemeinen", worunter aufgeführt werden:
1. Eudämonistische Ethik, 2. Ethik im Sinne vernünftiger Entfaltung
unserer Natur, 3. Die Pflichtethik Kants, 4. Wertethik,
5. Nietzsches Herrenmoral, 6. Situationsethik, 7. Marxistische
Ethik, 8. Geschichtsphilosophie in praktischer Absicht. Alsdann
werden unter der Überschrift „Gottes Gebot und die Frage
nach dem ,Guten' (Theologische und philosophische Ethik)"
behandelt: 1. Philosophische Grundlegung der katholischen
Sittenlehre, 2. Der idealistische Ansatz in W. Herrmanns Ethik,
3. Das Verhältnis von Theologie und Philosophie in Gogartens
Ethik.

In den weiteren Kapiteln der Grundlegung gelingt es dem
Vf., nahezu alle Problemstellungen der neueren theologischen
Ethik im Rahmen streng dogmatischer Kategorien zur Sprache
zu bringen. Die dogmatischen Kategorien bestimmen die
Kapitelüberschriften: II. Jesus Christus — das Gebot Gottes,
III. Das Gebot des Schöpfers, Versöhners und Erlösers, IV. Das
Gebot und die Gebote, V. Gottes Gebot und das menschliche
Gewissen, VI. Das Gebot und die Strukturen. Was unter diesen
Kategorien verhandelt wird, sind beispielsweise folgende Diskussionen
: „Gebot und Gesetz" (Gesetz und Evangelium),
Schöpfungsordnungen, Zwei-Reiche-Lehre, Nachfolge, Reich
Gottes. Im Zusammenhang des Letztgenannten gibt folgende
Klarstellung ein Beispiel für großes Bemühen um die Ausgewogenheit
der Akzente:

„Wie wir uns gegen eine Isolierung des 1. Artikels und damit
zugleich eine mißverstandene Schöpfungsethik abgrenzten,
so gilt es auch hier gegen einen einseitigen Eschatologismus
Front zu machen und damit gegen eine isolierte eschatologische
Ethik. So wenig wir eine Ontologie des Bestehenden rechtfertigen
können, so wenig doch auch eine Ontologie des
,Nochnichf, ein .Prinzip Hoffnung'. Warum sollte das
Futurum gegenüber dem Perfectum oder Präsens ein absolutes
Recht haben? Wer sagt, daß Gott auf alle Fälle auf seiten des
Neuen in der Geschichte stünde, also in Veränderung und Umbruch
sein Wille sich manifestiere? Könnte er nicht als der
Gott der Väter sich gerade zu dem bekennen, was er gestern
getan hat? Und könne er nicht auch einmal Bestehendes verteidigen
gegenüber einem Wechsel um jeden Preis? ..(S.151).

Wiederum vergleiche man Äußerungen, die sich zu einer
situationsgebundenen Einseitigkeit als zu dem hier und jetzt
unbedingt Geforderten bekennen wie auf S.171. „In concreto
kann Parteinahme gerade rechte Sachlichkeit sein." Das wird
in den Partien des zweiten Teils immer deutlicher.

Die Tendenz des Buches geht zur Sozialethik. /Tugenden' der
Persönlichkeit und des Individuums werden „einer ausgeführten
Ethik" überwiesen, immerhin als sinnvolle Gegenstände
theologischer Ethik anerkannt (S.135), ebenso Schicksalsfragen
' des Einzelnen (s.S.132). Vom Nachfolgebegriff schreibt
Kreck programmatisch für seine Ethik: „Es könnte sein, daß

in der heutigen Weltsituation Nachfolge des Gekreuzigten sich
gerade darin zu bewähren hat, daß ich nicht nur im privaten
Leben zu Opfern bereit bin, sondern mich gegen jede Ordnung
zu wenden habe, die — womöglich sogar noch unter Berufung
auf christliche Gebote — in horrendem Maß Ausbeutung von
Menschen durch Menschen ermöglicht" (S.130).

Es ist der ganze zweite Teil des Buches, der diesem Problem-
bereich gewidmet ist und der miteinander verbindet: jeweils
die sachliche Problemstellung mit Referaten über die gegenwärtige
Diskussion und dem Rückgriff auf theologiegeschichtliche
Modelle positiver wie negativer Art, dazu ein ungewöhnliches
persönliches Engagement zeigt wie in einer
detaillierten Erörterung des Themas: Entlarvung vieles Inhumanen
am kapitalistischen System der BRD sowie Hervorkehren
unleugbarer Fortschritte und moralischer Überlegenheiten
in der sozialen Ordnung in der DDR einschließlich
Verstehenwollen von meistens in der Sache liegenden Schwierigkeiten
(s. bes. S.270 ff.).

Die Erörterung über den „demokratischen Staat", die noch
einmal die Themen römisch-katholisches Naturrecht, Zwei-
Reiche-Lehre und Königsherrschaft Christi anschneidet, läuft
geradlinig auf die (äußerlich in einem Exkurs verhandelte)
Frage nach der Berechtigung des „Tyrannenmordes" zu.
Kontrovers bleibt hierbei nur, ob er gegebenenfalls mit allen
Bedenken und Skrupeln des Simul justus et peccator ins Auge
gefaßt werden muß oder — wenn alle Voraussetzungen erfüllt
sind — im Sinne Karl Barths ohne Gewissenshemmungen und
Halbheiten (wie an solchen das Attentat vom 20. Juli 1944
scheiterte), „mit freiem Gewissen und mit Entschlossenheit, als
Hörer des göttlichen Gebotes" (S.334) gewagt werden soll. „Wir
sehen, hier wird nicht nur naturrechtlich argumentiert ... Wo
Gehorsam gegen die weltlichen Machthaber nur Ungehorsam
gegen den in Christus sich offenbarenden Gott bedeuten kann
..., da wird Widerstand nicht nur zum Recht, sondern zur
Pflicht" (S.335).

Eine letzte und ernste Frage an diese Ethik wird allerdings
sein, ob die für das Thema „Tyrannenmord" dargelegte Konzeption
ohne weiteres übertragen werden darf auf das ungleich
kompliziertere Gebiet sog. „Theologie der Revolution" oder
„Theologie der Befreiung", wo niemals die Grundvoraussetzung
des Tyrannenmordes erfüllt sein wird, daß die blutige
Gewalt eng lokalisierbar und wie chirurgisch isolierbar (und
für Weiterungen sterilisierbar) ist. Jedenfalls hat Emil Fuchs
(der leider nicht erwähnt wird) am Thema Klassenkampf doch
stärker das lutherische Simul justus et peccator unterstrichen,
als Barths Forderung eines ,freien Gewissens' entsprochen.
Kreck selbst deutet als letztes Wort eine gewisse Komplementarität
an: „Man kann nicht gleichzeitig christlicher Pazifist
sein und den politischen Dienst in der Verwaltung der Gewaltmittel
tun. Beide Entscheidungen sind unvollständig, beide
sind christlich unbefriedigend, beide sind nötig" (S.346, vgl.
S.131 zu Nachfolge als Rechtsverzicht).

Berlin Hans-Georg Fritzsche

Curran, Charles E.: New Perspectives in Moral Theology. Notre
Dame, Indiana/USA: Fides Publishers [1974]. IX, 284 S. 8°.
Lw. $ 8.50.

Der Verfasser ist Professor für Moraltheologic an der
Katholischen Universität von Amerika in Rochester (USA) und
hat in diesem Band sieben Aufsätze gesammelt, die in den
Jahren 1970 bis 1973 in verschiedenen amerikanischen Zeitschriften
erschienen sind. Ihr Thema ist der gegenwärtige
Stand der katholischen Moraltheologie und die aus den gegenwärtigen
Veränderungen resultierenden Perspektiven für eine
zukünftige Ethik. Zwei Aufsätze befassen sich mit allgemeinen,
zwei mit sozialethischen und drei mit individualethischen Perspektiven
.

Bei der Analyse des Dialogs zwischen protestantischer und
römisch-katholischer Ethik stellt Curran fest, wie sich innerhalb
von zehn Jahren das Bild gewandelt hat. Der Austausch