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Ausgabe:

1978

Spalte:

769

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Beckmann, Heinz

Titel/Untertitel:

Ich habe keinen Gott 1978

Rezensent:

Gloede, Günter

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Seite 1

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769

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 10

770

LITERATURGESCHICHTE
UND CHRISTLICHE DICHTUNG

Beckmann, Heinz: Ich habe keinen (Sott. Ernst Barlachs religiöse
Provokation. München: Kaiser [1974]. 80 S. 8° = Kaiser
Traktate, 10. DM 6.80.

Die 75 Oktav-Seiten sind sehr leserlieh geschrieben, was
bei der Fülle der Barlach-Zitato aus den 8 Dramen und
2 Roman-Fragmenten „Scespeck" und „Der gestohlene
Mond" (beide 1962 und 1967 auch im Hinstorff-Verlag
Rostock erschienen) und der schwierigen Themenstellung
nicht selbstverständlich ist. Der Titel ist allerdings „provozierend
" und wird auf jeder Seite der Ausführungen von
Barlach selbst widerlegt. Der Atheismus der Zeit wird
ernstgenommen, bei Barlach aber Sehritt für Schritt, Drama
um Drama mit gegenteiligem Vorzeichen vorsehen.
Allerdings die Polemik des Vfs. gegen eine „Barlach-
Gemeinde" (S. 9 u. ö.) wäre besser unterblieben, weil es ein
Kampf gegen ein Phantom ist, das nicht existier! und mit
der Barlach-Gescllschnft keine Ähnlichkeit erkennen läüt.
Ks wird hier — wie auch sonst, bei Ernst Barlach — die
„Bürgerlichkeit" aufs Korn genommen, die in ihren Ver-
l retern Siebenmark, Frau Boll, auch Noah in der „Sündflut"
aus Barlachs Dramen ausführlich vorgestellt. Es geht
darum, daß Vf. im Reise-Erlebnis zum Bruder in die
Ukraine (1900) und deron Abbruch nach Geburt seines
Sohnes Nikolaus den Umbruch heim Künstler sieht. Man
kann darüber streiten, ob der ideelle Einschnitt — was die
Nicht - Bürgerlichkeit angeht — nicht besser im Erlebnis
seiner Militär-Ausbildungszeit und seiner Abkehr vom
Militarismus (Pfingsten 1916, vgl. Prosa II, S. 319—322
und S. 683) liegt. Aber biographisch erklärt sich Vf. als
uninteressiert; auch seino Vorstöße in die Theologie-
Geschichte (S. 39: Liberale Theologie — Karl Barth, nicht
aber Rudolf Otto „Das Heilige" werden erwähnt) und
noch gewagter, von dem Güstrower Christen eine Abwendung
vom „säkularisierten Christentum" zu verlangen,
gehen sicher an der bescheidenen kirchlichen Wirklichkeit
vorbei. Daß die Zeichnung, die S. 57 im Gespräch zwischen
Vater und Sohn Klaus in extenso (vgl. Prosa-Band II.
München 1959. S. 3(>2fl.) vorgestellt wird, noch als „verschollen
" deklariert wird, ist ebenfalls ein Iiistorischor
Irrtum (sie ist längst als Altar-Blatt im Forum der, K.-
Wilholm-Gedächtnis-Kirche Westberlins zu sehen).

Besonders geglückt ist die Bemühung des Vfs. um das

Menschenbild Barlachs. Daß es im „Bettler" seine Gipfo-
lung findet, der ja In Luthers Lehre vom begnadigten und
als Sündei- gerechtfertigten Menschen seinen Vorläufer hat
(S. 34 Mitte anklingend, S. 65 expliziert), wird deutlich.
Daß bt in den Plastiken der Lübecker Katharinenkirohe
und im „Fries der Lauschenden" Mittelpunktstelhmg einnimmt
, ist unbestreitbar. Daß man im „Göttlichen Bettler"
der Holzsohnittfolge „Wandlungen Gottes" die Inkarnation
Gottes in Jesus Christus ergreifend dargestellt sehen
kann, ist richtig. Die Überspitzung aber des Vfs., in den
andern Bettlern ebenfalls die Identifikation von Gott und
Mensch schon zu müssen, bleibt mir mehr als fraglich.
Daß in den verschiedenen Menschengestalten Barlachs
UtWB „Halbes", der Ergänzung Bedürftiges, dargeboten
wird, ist völlig zutreffend, weil Barlach noch das ganze
Leben nicht ohne seinen Schöpfer und Spuren solchen
Weiterwirkens in „religiösen Erlebnissen" (schon in
Barlachs Schulzeit am Katzeburgcr See u. ö.) gesellen hat.
Gut ist der letzte Abschnitt, der das postum erschienene,
l iefreligiöse Drama „Der Graf von Ratzeburg" Barlachs
interpretiert. Hior steht das naehdenkenswerte Diktum:
„Ich habe keinen Gott, aber Gott hat mich." (S. 74).

Jicrlin i.mi,irr (iloode

Klepper, Jochen: Unter dem .Schatten Deiner Flügel. Aas dun

Tagebüchern der Jahre 1932—1942. Hrsg. von H. Klepper.
Ausgewählt und kommentiert von B. Maschor. Gekürzt von
G. Wirth und I. Zimmermann. 3. darchgeseheno Auflage
Berlin: Union Verlag. [1972]. 675 8., 1 Porträt 8°. Lw.
M 10.—.

Die erste Ausgabe der Tagebücher Kleppers (Stuttgart
1956) ist ThLZ 1957, 613 — 615 angezeigt und ausführlieh
gewürdigt worden, besonders auch hinsichtlich der theologischen
Relevanz des hier vorliegenden Lebens- und
Leidenszeugnisses. Schon sie stellte eine Auswahl aus dein
gesamten vorliegenden Textbestand dar. Die nochmals
(auf die reichliche Hälfte des Umfangs) gekürzte Neuausgabe
hat aber — vorausgesetzt, daß die Auslassungen
sachkundig und behutsam durchgeführt wurden — dadurch
eine selbständige Funktion, daß sie dieses wichtige Dokument
einem weiteren Leserkreis zugänglich macht und die
gewicht igsl.cn Aussagen gestraffter und leichter übersehbar
darbietet. Ein Textvergleich bestätigt diese Voraussetzung
in vollem Maße. Die Kürzungen gehen nicht einseitig auf
Kosten bestimmter Themenkomplexe. Mit Sorgfalt, Einfühlungsvermögen
und Sachkenntnis haben sich Dr.
Günter Wirth und Di . Ingo Zimmermann, die Herausgeber
der Lizenzausgabe, bemüht, einen Substanzverlust zu vermeiden
. Der Kontext wird nie zerrissen, ob einzelne Sätze,
Abschnitte, die Eintragungen eines Tages oder sogar mehrerer
aufeinanderfolgender übergangen sind — der Znsammenhang
des Tagebuches bleibt immer erkennbar. Im
ganzen seh« int mir der erfolgreiche Versuch unternommen,
das nur Private. Zeitgebundene, vor allem auch sachliche
Wiederholungen zugunsten des bleibend Gültigen, Charakteristischen
einzuschränken. Trotzdem bleibt die Eigenart
eines sehr persönlichen Kommentars zum Zeitgescheben
und der eigenen inneren Geschichte gewahrt. Aus Bemerkungen
zu politischen und literarischen Zeitereignissen,
Arbeitsplänen, Existen/.nöten des Schriftstellers in einer
immer feindlicher werdenden Umwelt, dem ethischen,
11 icologischen, geistlichon Ringen um das dicht i rische
Werk und schließlich und vor allein zum Kampf um das
nackte Dasein der zwei Menschen, für die er sieb verantwortlich
wußte, entsteht ein Gesamtbild, das individuell,
aber von exemplarischer Bedeutung ist. — Die sachkundige
Einführung von Jürgen Honkys gibt neben dem — gegenüber
der Erstausgabe erweiterten Anmerkungsteil 1 ■ i 11"-
reiohe kommentierende Informationen über Werk, Person
und Zeil Jochen Kleppers und sehlägt die Brücke von dem
nun Jahrzehnte zurückliegenden (lesebeben ZU den Krf'ah-

rungen unserer unmittelbaren Gegenwart.

iTslis/TIllpSljt Norbert Müller

Einhorn, Jürgen Werinhard: Kranziskus von Assisi in Gedieh
ten von Paul <!elan und l'oter Härtling (KS 58, 1970 S.
185—207).

Feld, Anatol: Ändere die Welt, sie braucht es. Bertolt Hrechls
Kampf für eine menschliche Knie (Wort und Antwort 17,
1976 S. 52—58).

(Jouders, Klaus: Das Kreuz und die Kreuze. Texte aus Dichtung
und Theologie. Stuttgart: Katholisches Bibelwerk
[1977]. 176 S. 8°. DM 22.—.

Holbling. Hanno: Was ist aus der „christlichen Literatur" geworden
? (StZ 102, 1977 8. 507—512).

Jausen, Petor: Ästhetisches Sein und ethischo Existenz.
Hermann Hossos „Glasporlenspiel" und Kierkegaard (StZ
102, 1977 S. 402—414).

Kurz, Paul Konrad: Niemand knetet uns wieder. Psalm und
Lyrik im 20. Jahrhundert (ThQ 157, 1977 S. 43—08).

Müller-Seidel, Walter: „Allerlei Glück". Über einen Schlüsse l-
begriff im Koman Theodor Fontanes (ZW 48, 1977 S. 1—16).

Math, Ludwig: Mit dem Herzen losen. Zur Renaissance des
religiösen Buchs (StZ 102, 1977 S. 723—732).

Schmidt, Kaincr: Aber ja. . . Johannes Bobrowski nachgedacht
(DtPfrBl 75, 1975 S. 748—751).