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Ausgabe:

1978

Spalte:

761-762

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Rudolph, Hartmut

Titel/Untertitel:

Das evangelische Militärkirchenwesen in Preußen 1978

Rezensent:

Hammer, Karl

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Seite 1

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Theologische Literaturaeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 10

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die „intakten Landeskirchen" ausschlösse und bekenntnishafte
Einheit im Sinne von Barinen und Dahlem mit
kirchenpolitischer Einheitlichkeit verwechsele (S. C8f.).
Auch Pfr. Martin Niemöller (Dahlem) betonte, der Zusammenschluß
der zerstörton Kirchen widerstrebe ihm. er
bedeute einen „völlig falschen Weg", der durch das Verhalten
der intakten Landeskirchen vorgezeichnet werde
(S. 74f.). Man brauche keine neue Organisation, müsse
vielmehr die 1. Vorläufige Leitung und den Reichsbruder-
rat veranlassen, die Bekenntnissynode als Gesamtvertretung
einzuberufen.

Von verschiedenen Teilnehmern wurde auch auf grundsätzliche
theologische Meinungsverschiedenheiten und
kirchliche Differenzen hingewiesen, die durch „intakte"
und „zerstörte" Kirchen quer hindurchgingen, und mehrfach
auch das Problematische dieser Unterscheidung
betont (vgl. u. a. S. 68, 76, 82), da sich die Verhältnisse
laufend wandelten und es übrigens unter den Anhängern
der Bekennenden Kirche „genug Leute innerhalb der
intakten Kirchen" gäbe, die mit den Bekenntnisgemeinschaften
der „zerstörten Kirchen" konform gingen wie
umgekehrt (68).

Die Veröffentlichung weist auch auf Probleme hin. die
durch die notwendige Laienaktivierung in den Kirchen -
Provinzen der altpreußischen Union und anderwärts gegeben
waren und zeigt kaleidoskopartig die wandlungsreiche
und höchst differenzierte Situation, auf die es die bekenntnissynodalen
Grunderkenntnisse in immer neuem Abwägen
zu beziehen galt. Auch Beispiele werden gebracht, die
zeigen, wie die Niohtbefolgung eines partiellen Redeverbots
und anderer Gestapomaßnahmen sieh schädigend
für die Bekennende Kirche auswirken konnte (vgl. das
Dilemma von Pfr. Veidt in Frankfurt/M., der sich schließlich
aber doch nicht fügte; vgl. S. 100f.). Gerade aber
deshalb, weil man wußte, „daß die Ausführung der Dahlemer
Botschaft außerordentliche Schwierigkeiten schafft"
(S. 49), versuchto man eine Plattform zu bilden, die diesen
spezifischen Problemen gerecht wurde. So war es nur kon-
soquent, diesen Beratungskreis auch künftig aufrechtzuerhalten
, dessen Aversion gegen die Bildung dor Kirchenausschüsse
(vgl. S. 32ff.) jedoch dazu führte, daß sieh
gerade in dieser Frage gegensätzliche Meinungen ergaben,
wie die Einstellung einzelner Landesbruderräte zu den
Kirchenausschüssen zeigte.

Korrigendum: die „dritten Richtlinien" der Deutschen
Christen vom 21. Dezember 1933, von Dr. Kinder herausgegeben
, sind mit den 28 Thesen dor sächsischen DO
identisch! (S. 7).

LftipztK Kurt, Meter

Rudolph, Sartmut: Das evangelische MlUtlrklrehenweseii in

l'rciilieii. Die Kntwicklung seiner Verfassung und Organisation
vom Absolutismus bis zum Vorabend des T. Weltkrieges.
Mit einein dokumentarischen Anhang. Güttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht 1973. 433 S. gr. 8° = Studien zur
Theologie und Geistesgeschiehte des 19. Jahrhunderts, 8.
Korschungsuntornehmen de* Fritz-Thyssen-Stiftung. Arbeitskreise
Evang. Theologie u. Kath. Theologie. Lw. DM 49. — .

Das vorliegende Work behandelt die Geschichte des
Mililärkirchonwesens in Preußen zwischen dem Zusammon-
brueh Altpreußens 1806 und dem 1. Weltkrieg. Der
Bereich der Militärseelsorgo ist, dem Autor zufolge, ein
Bereich kirchlichen Lebens, an dem wie nur in wenigen
andern das Verhältnis von Staat und Kirche als „ein
wichtiger Indikator" kirchlichen Selhstvorstündnisscs abgelesen
werden kann. Es handelt sieh um eine Epoche, für
die differenzierte Einzeluntersuchungen bisher nur von
Zeitgenossen zur Verfügung stehen, also dem heutigen,
seit 1945 ständig gewachsenen kritischen Bewußtsein
noch keineswegs Rechnung tragen. Nachholbedarf der
Kirche zum historischen ansonsten längst bearbeiteten

militärischen „Musterstaat" Preußen ist nunmehr also
gedeckt.

In diesem Zusammenhang darf daran erinnert werden,
wie sich die kritische Haltung der evangelischen Kirchen
gegenüber ihrer eigenen politischen Vergangenheit in
Deutschland nach dem II. Weltkrieg sukzessive von der
Vergangenheit des Kirchenkampfes erst zögernd, dann
intensiver mit der kurzen Weimarer Zeit, sodann mit der
„Kriegstheologie" des Wilhelminismus und I. Weltkriegs
nach rückwärts getastet hat (vgl. die einschlägigen Arbeiten
von W. Pressel, ftf. Missalla, K. Hammer, G. Brakelmann
u. a.) und so an den historischen Untersuchungen
allmählich gewachsen ist.

Hartmut Rudolph hat sich für seine vor allem verfassungsrechtliche
(und darum etwas trockene) Arbeit
besonders auf die Akten des preußischen Oberkirchenruts
in Berlin und die Unterlagen des Militärarchivs in Freiburg
gestützt, anhand derer er eine den politischen Regimes-
und Kurswechseln seit der napoleonischen Übergangszeit
über die Gründung des EOK 1850 bis zur Jahrhundertwende
eine EpOchongliederung erbringt, in deren Abfolge
Zeiten der Dominanz und Zeiten der Allianz des Militärkirchenwesens
mit der Landeskirche einander ablösten.
Der wertvolle dokumentarische Anhang umfaßt maschinenschriftlich
Gesetze. Verordnungen, Erlasse, vor allem
„Allerhöchste Kabinettsordree" (AKO) des 19. Jahrhunderts
, ausgehend vom Militärkonsistorialreglemenl von
1750 (S. 265—433).

Entscheidende Bedeutung mißt Rudolph der kurzen
Reformzeil der sog. Befreiungskriege zu, so daß die
Epoche 1750—1815 mit ihrem Wechsel vom selbständigen
Militärkirchenwesen zur Integration desselben unter die
zivile Landeskirche die ersten 100 Seiten einnimmt. Die
Restauration macht diesen Fortschritt 1832 wieder rückgängig
. Das neue Bündnis von „Thron und Altar" 1850
brachte zwar zunächst Uneinheitlichkeit in der Bindung
der Militärkirche an die Landeskirche mit sich, lief aber
trotz der Schöpfung des EOK (Ev. Oberkirchenrats)
und seines Kampfes für Unabhängigkeit der Kirche vom
Staat auf der Linie von 1832 weiter. Der „Widerspruch
zwischen militärischen organisatorischen Erfordernissen
und den Prinzipien evangelischer Kirchenverfassung unter
Verletzung der letzteren" (S. 253) kam in den Jahrzehnten
vor dem I. Weltkrieg immer deutlicher zum Ausdruck.

Diese verfassungsgesehiehtliche Studie über den Standort
der Militärkirche in Preußen ist vor vier Jahren
erschienen, ohne daß man Anzeichen für die Erfüllung

der Erwartung von H. E. Tödt wahrgenommen hätte, „daß
die nahezu gleichzeitige Veröffentlichung" dieses Werks
mit W. Hubers „Kirche und Öffentlichkeit" (Stuttgart
1973) "eine lebhafte fachwissenschaftliche und öffentliche
Diskussion über den Militärseelsorgevertrag in der Bundesrepublik
und das kirchliehe Handeln an Soldaten in
Geschichte und Gegenwart auslösen wird" (S. 6). Die
Diskussion darüber scheint vielmehr längst ihren kritischen
Höhepunkt überschritten zu haben. So bleibt u.a. die
Präge, ob die angezeigten Werke wirklich hilfreich für den
Weg der Militärseelsorge in die Zukunft sind.

Hasel Karl Hammer

KIRCHEN- UND KONFESSIONSKUNDE

Sehtfaken, Christoph von, Hcidland, Hans-Wolfbang, Hollen-
weger, Walter J., u. Heribert Mühlen: Die Charismatische
Bmraenuu und die Kirchen. Regensburg: Pustel [1977].
99 R. 8°. Kart. DM 12.80.

Vier Referate, die zu einer gemeinsamen ev.-kath.
Akademietagung 1976 gehalten worden sind, werden in
sehr komprimierter Form wiedergegeben. Auf nur 99