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Ausgabe:

1978

Spalte:

756-758

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Die lutherischen Pamphlete gegen Thomas Müntzer 1978

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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755

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 10

75«

Widongrens zurückzugreifen. Er sagt (Mani und der
Manichäismus, Stuttgart 1901, S. 51), daß bei den Mani-
chäcrn Gott drei Eigenschaften halte, nämlich Licht,
Kraft und Schönheit, darum werde er der Vielgestaltige
genannt. Der Zahl der Bestandteile wird stots die damit
beschriebene Einheit zugerechnet. Entsprechend kann zu
den vier Evangelien der Begriff Evangelium zugezahlt
worden sein. Von hier aus wird die Bezeichnung „dia-
pente" des Victor von Capua schlüssig. Diese Erklärung
würde auch der Ansicht Qu.'s entgegenkommen, das
Diatossaron sei von den ManiohÄcrn ins Latein übertragen
worden. Das Wort Diatossaron (— aus vier), bei Ensch
und später in der Vorrode zum Lütticher Diatessaron zu
linden, ist eine dem Griechen verständliche Ausdrucks-
woise.

So ist für Tatian eher an eine Vorstufe der „Westlichen
Textart" in den vier Ew. und die Hereinnähme der mündlichen
, damals noch weitverbreiteten Überlieferung zu
denken, als an eine verfaßte Quellsehrift, um sein Sondergut
zu erklären. Wenn auch zugestanden wird, daß die Mani-
chäer die Übersetzung (in Nordafrika ?) besorgt haben, so
dürfte das nicht die einzige Übersetzung geblieben sein.
Die keinesfalls zu harmonisierenden Unterschiede zwischen
den westlichen Mss. des Diatessaron sind kaum durch
eine breite Fächerung aufgrund des Cod. Ludgerianus
denkbar, sondern nur durch die Annahme mehrerer,
frühzeitiger Übertragungen ins Latein. Daraus entstanden
Textfainilien oder Toxtgruppen. Es wäre eine bescheidenere
, aber vielleicht lösbare Aufgabe, eine solche Textgruppe
zu erkennen. Dazu bedarf es noch anderer Kriterien
, als die bloße Vokabel und ihre grammatische Form,
ihre Auslassung oder Hinzusetzung zu beobachten. Ohne
Zweifel hat Qu.'s Ansatz, theologische Themen zu erkennen,
dabei wesentliche Bedeutung. Die westlichen Harmonien
usw. sind hierfür ein besonders günstiges Feld. Ferner ist
die Auslassung oder Hinzusetzung einzelner Perikopen
oder Textpartien, dazu ihre Postierung im Aufbau dos
Gesamtwerkes zu prüfen. Hierinnen variieren die Texte
ganz erheblich. Desgleichen bedarf es der Prüfung, inwieweit
Mischzitate aus zwei oder drei Ew. vorliegen und
zur eigentümlichen Fassung des Tatiantextes Anlaß
gaben. Häufig ist das Skelett des Mt orkonnbar, das mit
Worten oder Sätzen aus Mk oder Lk oder auch aus beiden
gemeinsam aufgefüllt wurde. Und endlich muß jedes
solches Unternehmen die Arbeiten von Theodor Frings
hinzuziehen. Er hat den Beitrag des Christentums bei
der ersten Formung der deutschen Sprache sein Lehen
lang zu erkennen und zu beschreiben gesucht.

Ein anderer Einwand gogen die Gültigkeit eines Cod.
Ludgerianus im arrgezeigten Sinne ist der Textbefund der
Lübecker Bibel von 1494. Rd. zwei Drittel aller Lesarten,
die Tatian zugeschrieben wurden, tauchon hier auf. Soll
mau annehmen, daß eine spätere Hand den Cod. Ludgerianus
auseinandergenommen und aus mehr als tausend
Einzelsplittern dann die vier getrennten Ew. gezimmert
hat ? Sogar die Luthorbibel hat den von Qu. mit Vorrang
behandelten Text „Ich bin des Herren Magd" (Lk 1,38,
vgl. S. 30, S. 31, S. 34) gegen die griechischen und lateinischen
Texte behalton.

Man muß also neben die Wahrscheinlichkeit, daß es
mehrfache Diatessaron-Übersetzungen im Abendlande
gegeben hat, die Tatsache stellen, daß schon seit dem ersten
Augenblick, da Priester oder Mönche nach der Regel
Benedikts die Messe lasen, die Einzelew. mindestens in
ihren in der Liturgie üblichen Abschnitten verdeutscht
wurden. Beleg hierfür sind die Reste der ältesten deutschen
Mt-Übersetzung (Kloster Monsee, um 800). Es liegt
nahe, dieselben Überlegungen für die Übersetzung der
Ew. ins Syrische anzustellen.

Nach Fertigstellung der Rezension, die die Bedeutung
des Cod. Ludgerianus unwahrscheinlich macht, kam eine
Antwort von Richard Drögereit, dem am meisten ausgewiesenen
Kenner des Klosters Werden und seiner Biblio-

bhek (30. 7. 77). Er schreibt: „Die mir von Ihnen mitgeteilte
These von Herrn Gilles Quispe] dürfte also verfehl
! sein. Den Wordener Tatian als Codex Ludgerianus
hat es nicht gegeben". Die „main thesis" des Büches ist
also nicht haltbar. Eine Auaeinandersetzung mit dem
„Carolingian Background", von Qu. mit Verve zur Glaubhaftmachung
der Schlüsselfigur Liudger vorgetragen und
aufgebaut, ist nun von minderer Bedeutung und kann
unterbleiben, obwohl sich auch hier Bedenken gegen
manche Formulierung erhoben, wie z. B. die Bezeichnung
„orthodox" für Formen des frühenglischon Kirchen wesens.

Breiueu Waller Nagel

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KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Fischer, Ludwig [Hrsg.]: Die lutherischen l'amphlele sesen
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Tübingen: Niemeyer [1976]. LIV, 218 S. m. Abb. 8° =
Deutsche Texte, hrsg. v. G. Wunberg, 39. Kart. DM 12.80.

Der weitreichende Einfluß der frühen antimüntzeri-
selien Polemik auf die Geschichtsschreibung und die
Müntzerauffassung insgesamt ist in jüngster Zeit mehrfach
dargestellt worden. Bis vor kurzem existierten aber wenig
Neudrucke dieser Quellengruppe. Unabhängig von den
Neudrucken in den „Flugschriften der Bauernkriegszeit"
(Hrsg. von Adolf Laube, Hans Werner Seiffert u. a.
Berlin 1975) hat Fischer, der u. a. mit einer Arbeit zur
Barockdichtung bekannt geworden ist, sieben anti-