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Ausgabe:

1978

Spalte:

750-756

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Quispel, Gilles

Titel/Untertitel:

Tatian and the Gospel of Thomas 1978

Rezensent:

Nagel, Walter

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Theologische Literatarzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 10

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an der Universität Erfurt immatrikulieren. In die Studienzeit
fiel die für sein späteres Leben so folgenreiche Hinwendung
zur Reformation, vorbereitet durch die Zugehörigkeit
zum Freundeskreis um Conrad Mutian. Eine
wichtige Rolle spielte dabei der Besuch der Leipziger
Disputation, bei der Krafft Luther und Melanchthon persönlich
kennenlernte. Im Bauernkrieg begegnete der
Fuldaer, nunmehr als Prädikant in Hersfeld, Landgraf
Philipp, der ihn als Feldprediger nach Thüringen mitnahm
und ihm wenige Monate später eine Bestallungsurkunde
als Hofprediger ausstellte. Krafft wurde damit zum theologischen
Berater des jungen Fürsten, vor allem für den
praktischen Aufbau eines evangelischen Kirchenwesens in
Hessen.

Dieser Wirksamkeit gelten die beiden folgenden Abschnitte
: Landgräfliche Ordnung, Bischöfliches Amt. Die
an ihn als lutherischer Hofprediger geknüpften Erwartungen
erfüllte Krafft. Vorübergehend durch Lambert von
Avignon verdrängt, gehörte er zur Visitationskommission
von 1527, deren Tätigkeit der Vf. ausführlich beschreibt.
Wenn auch der Landgraf im allgemeinen seinen obersten
Visitator, wozu er ihn 1530 bestellt hatte, in der praktischen
Seelsorge und Ordnung der kirchlichen Verhältnisse
gewähren ließ, entsprach dessen betont lutherische Position
kaum den reichspolitischen Absichten Philipps. So trat
durch den dominierenden Einfluß Bueers 1538—1540 der
kampfbereite Lutheraner in den Hintergrund, ohne direkt
in Ungnade zu fallen. Philipp wußte, was Krafft für die
hessische Landeskirche leistete. Dabei wird erkennbar,
welches Gewicht der Zusammenarbeit des Landeshi irn
mit den führenden Geistlichen seines Territoriums beim
Ausbau der Reformation zukommt. Die Theologen und
Räte als gestaltende Faktoren des neuen Kirchenwesens
neben dem Landesfürsten verdienen allgemein mehr Aufmerksamkeit
.

Ihre Bewährungsprobe bestand die hessische Kirche
nach dem Schmalkaldischen Krieg. Der entschiedenen
Haltung Kraffts, der wie Melanchthon in den Mitteldingen
/.um Gehorsam bereit war, aber gegen Gottes Wort nicht
handeln wollte, ist es zu danken, daß Hessen dem Augsburger
Interim im Gegensatz zu Philipp widerstand. So
konnte Krafft als ..Bischof der Hessen" nach der Befreiung
des Landgrafen sein Reformationswerk fortsetzen, an
dessen! Ende die Marburger Kirchenordnung von 1557
stand. In diesem Zusammenhang sieht der Vf. Philipps
Verhalten in der kaiserlichen Gefangenschaft von 1547 bis
I 552 zu positiv.

Kurze Abschnitte zur Familie Kraffts und zur Chronik
Fuldas beschließen diese vor allem territorialkirchen-
geschichtlioh bedeutsame Ar beit. Nicht unerwähnt bleiben
sollen der ausführliehe Anmerkungsapparat2, die Übersetzung
der zahlreichen lateinischen Quellenstücke beim
Zit ieren3 und das leider nur als Auswahl gebrachte Namensregister
. Das umfangreiche Literaturverzeichnis bietet dem
Benutzer durch unvollständige und unübersichtliche An-

gaben4 nur wenig Hilfe.

Leipzig (Hinter Wartenberg

1 Zuletzt: Leonhardus Crispiniis. Studien zur Hornberger Ueformatlons-
geschlchte 1526—1578. Hrsg. vom Kirchenkreis Homberg. Homberg 1976.

92 S.

3 Die Anm. von Kapitel 4 (S. 123—127) entsprechen nicht der Zählung
im Text.

' Del Ü 17 auf - 35 ist nicht abersetzt: „Sed vix allqun spes eBt, fore ut
incruenti sint hl tumultus." (Ks besteht kaum Hoffnung, dilti diese Unruhen
unblutig verlaufen werden.) Ü 21 auf S. 47 gehört zu Anm. 29. Bei Ü 25 auf
S. 52 muH es statt „Ciraf von Hoya" Graf Hoyer (von Mnnsfeld) heißen.

' E.B. 1'iiMai r Ucschichtsblatter 1902ff. Ist zu wenig. Nachdrucke sollten
angegeben werden, ebenso J.ntherzitatc nach der WA (S. 126 Anni. 3). Hei
„neuer Ausgabe" der ADll handelt es sich um die NDII. Zwischen Herausgeber
und Autoren wird nicht geschieden. Die Diss. von Friedrich Wilhelm
Schafer Ist abgedruckt in Beitrage zur hessischen Kirchengeschichte 6
(1913) — Archiv für hessische (ieschlchte und Altertumskunde 8 (1912),
1—46. 67—110. ein Nachdruck erfolgte 1926.

Heinz, Andreas: Erzbischof Johann Hugo von Orsbeck (1676
bis 1711) und die Trierer Bistumsliturgie (TThZ 86, 1977
S. 211—222).

Jelsma, Auke J.: Heilige und Hexen. Die Stellung der Frau
im Christentum, übers, v. C. Ruff. Konstanz: Christliehe
Verlagsanstalt [1977]. 174 S. 8°. Kart. DM 16.80.

Kötting, Bernhard: Religionsfreiheit und Toleranz im Altertum.
27. Jahresfeier am 18. Mai 1977. Opladen: Westdeutscher
Verlag [1977]. 50 S. gr. 8° = Rheinisch-Westfälische Akademie
der Wissenschaften. Geisteswissenschaften, Vorträge
G 223. Kart. DM 12.50.

Rahner, Karl: Dogmen- und Theologiegeschichte — gestern
und morgen (ZKTh 99, 1977 S. 1—24).

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

(Jnispel, G[illes]: Tatian and tue (iospel of Thomas. Studios in
the History of the Western Diatessaron. Leiden: Brill 1975.
X, 200 S. gr. 8°. Lw. hfl. 46.—.

Qu.s Buch ist wegen der umfassenden Einbeziehung
sämtlicher Evangelien-Harmonien, angefangen mit Tatian
selbst und beschlossen mit der wahrscheinlich jüngsten
Harmonie, der Vita Christi des Ludolph von Sachsen
(um 1350), wichtig genug, ausführlich vorgestellt zu werden.
Die Erforschung dieses ungewöhnlichen Werkes und der
in der Folge zwölfhundert Jahre lang immer wieder neu
übersetzten oder neukomponierten Harmonien ist nicht
bloß von den in der Literatur mit Vorrang genannten
katholischen und evangelischen Theologen betrieben worden
. In jüngster Zeit haben Fachgelehrte aus dem Kreise
der Germanisten und Historiker die Sache ungemein gefördert
. Unter ihnen seien R. Drögereit, P. Ganz, J. Rat-
hofer und der Niederländer J. J. van Weringha hervorgehoben
. Sie folgen damit einer Tradition, die mit den
Namen Grein, Sievers und Vögtlin älter als hundert Jahre
ist. Naturgemäß richtet sich ihr Augenmerk insbesondere
auf die Harmonien des deutschen Sprachbereichs.

I.

Gilles Quispel hat nun die Ergebnisse oder Anregungen
dieser Forschungen unter Hinzufügung eigener Erkenntnisse
aus den Funden von Nag Hnmmadi in der
Form einer weitgespannten Hypothese zusammengefaßt.
Die „main thesis" ist die „Beeinflussung des Codex Sangal-
lensis durch einen Codex Ludgerianus" (S. VII). Qu.
meint damit den Sangallensis cod. 50, enthaltend eine
lateinische Evangelien-Harmonie mit paralleler deutscher
Übersetzung, dem sog. althochdeutschen Tatian.

Ist das Kapitel I (S. 1—18) auch „The Carolingian
Baokground" überschrieben, so behandelt es doch kaum
die fränkische; Kirche. Gegenstand ist die Kirche der
Angelsachsen mit York und Cautcrbury, ferner die Mission
der Angelsachsen unter den Friesen und den auf dem
Festland verbliebenen Sachsen. Schlüsseln gur ist der
Priese Liudger, 792 Bisohof von Münster und 809 im
Kloster Weiden a. d. Ruhr bestattet, nach Qu. der
Besitzer, Korrektor und Redaktor einer bislang nicht entdeckten
, aber als sicher vorauszusetzenden Diatessaron-
Handschrift, von Qu. „Codex Ludgerianus" genannt
(S. 17, S. 30, S. 103 und öfter). Voraussetzung für Liudgers
Wirken ist seine von angelsächsischem Volkstum, Kirchen -
wosen, theologischen] Denken in York und Utrecht erfüllte
Ausbildung. Die Methodik der Bibelübersetzung wird auf
die bei den Angelsachsen geübte Zusammenarbeit zwischen
dem gelehrten Mönch und dem blinden Barden zurückgeführt
, — um das hier am meisten interessierende Teil
anzugehen; anderes möge unberücksichtigt bleiben. Ohne
einen Beowulf und Bernlef gäbe es keinen Heiland — so
darf man wohl Qu.s Intention zugespitzt wiedergeben
(S. 17). Wichtig ist für Qu. der Unterschied zwischen
Northumbrien und Südengland. Für ersteres stehen York.
Utrecht, Münster, Werden sowie Willibrord, Gregor und
Liudger mit seinem Codex und dem von ihm veranlaßten