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Ausgabe:

1978

Spalte:

748-749

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schäfer, Walter

Titel/Untertitel:

Adam Krafft 1978

Rezensent:

Wartenberg, Günter

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Theologische Literaturzeitung ]03. Jahrgang 1978 Nr. 10

748

deutig. Ebenso wird man L. zustimmen müssen, daß die
schon erfolgto Inthronisation Christi das Denken des
Eph so stark bestimmt, daß darüber nicht nur das Kren/,
sondern auch die Zukunft Christi aus dem Blickfeld gerät.
Es fällt wahrhaftig schwor, in Eph 1,20ff. zu entdecken,
was die Zukunft denn noch bringen kann, wenn Christus
nicht nur die Herrschaft über die Kirche, sondern auch
über alle Mächte schon angetreten hat. Der Unterschied
zu IKor 15,20—28 ist tatsächlich gravierend. Auch wird
man nicht widersprechen können, daß in Eph 6,10ff. nicht
mehr von dem oschatologischen Endkampf die Rede ist,
sondern von dem „gegenwärtigen Kampf der Christen
gegen die himmlischen Mächte — andernfalls wäre ja der
Aufruf, jetzt die Rüstung anzulegen, auch gar nicht zu
begreifen" (235). Dem Vf. ist m. E. zuzustimmen, daß der
Epheserbrief ein wesentlich anderes Zeitvorständnis als
Paulus hat. Eph betont die Gegenwart so stark, daß die
Vergangenheit wie die Zukunft aus dem Blickfeld zu
geraten drohen. L. würde dieser Formulierung freilich
nicht zustimmen, weil er dem Eph unterstellen möchte,
daß dies das zentrale Programm des Eph ist, allo zeitlichen
Elemente zu tilgen, um eine „Ontologie einer /.eillosen
Kirche" zu entwerfen (234).

Die Kritik an dieser Arbeit hat sich m. E. nicht auf die
im Ansatz jeweils richtig und scharf gemachten Beobachtungen
am Text zu richten, sondern auf dio überzogenen
Konsequenzen. Das Zurücktreten einer geschichtlichen
Perspektive ist leichter zu begreifen als eine unbeabsichtigte
Folge der Überbetonung der Gegenwart, denn als ein
bewußtes Programm, die Zeit aufzuheben. L. ist bei seiner
These gezwungen, alle — gewiß nicht im Vordergrund
stehenden aber doch durchaus vorhandenen — zeitlich
geschichtlichen Aussagen wegzuinterpretieren. Aus dem
Infinitiv Aorist in Eph 1,10 anakefalaiösasthai, der doch
ingressive Bedeutung haben kann, leitet L. kühn ab:
„Künftige .Geschichte' kann nicht mehr gedacht werden,
denn Zeit ist nicht mehr — das ist die These von Eph 1,10"
(99). Aus der Formulierung von 2,10 folgert L.: „Wir ,tun'
die Werke nicht, sondern wir .wandeln' ,in ihnen' — sie
sind bereits, bevor wir sie tun" (138). Die unangenehme
Überspitzung liegt hier in der Negation im Vordersatz,
als wenn man wandeln in den Werken und sie tun alternierend
gegenüberstellen könnte. Diese Form der Überspitzung
geht durch die ganze Arbeit hindurch. Besonders
problematisch erscheint mir, daß L. konsequenterweise dem
Eph jedes situationsbezogene Anliegen bestreiten muß.
Den Abschnitt 2,llff. interpretiert L. so: „Das Thema
lautet nicht .Juden und Heiden', sondern es lautet ,radikale
Unterscheidung von nichtchristlicher iVergangenheit
und christlicher (Jegenwart', wobei Einst und Jetzt nicht
im Sinne einer geschichtlichen Entwicklung aufeinander
bezogen sind, sondern die .Vergangenheit' ausschließlich
als Negativfolie der Gegenwart ,in Christus' verstanden
ist" (151 f.). Es gibt überhaupt keine geschichtlichen Entscheidungen
und Möglichkeiten mehr und das gilt nach L.
sogar bis in die Paränese. „Die Paränese hebt nicht auf,
daß Gott das Heil bereits gewirkt hat, das sich im Glauben
verwirklicht, und das bedeutet offenbar, daß dio Zeit, verstanden
als Möglichkeit für geschichtliche Entscheidung,
für die Christen aufgehoben ist" (65).

Übrig bleibt eine Ontologie der zeitlosen Kirche. Es ist
schwer vorstellbar, daß ein Verfasser im 1. Jahrhundert
zu dem Pseudonym des Paulus greift, um einen solchen
situations- und geschiehtslosen Entwurf vorzulegen. Sollte
diese Geschichtslosigkeit ein bewußtes Programm sein,
wäre auch das ein Zeichen der Zeit. Auch dann wäre wohl
zu fragen, unter welchen historischen Bedingungen eine
Ontologie einer zeitlosen Kirche reflektiert werden konnte.
Der Verweis auf die Gnosis genügt nicht, weil auch die
Gnosis nicht so geschichtslos denkt, wie der Vf. einer
Auslegungstradition folgend unterstellen möchte. Die Nag-
Hammadi-Texte zeigen, daß apokalyptische Geschichts-
entwürfe in gnostisches Denken integriert werden können.

Dennoch bedeutet die Arbeit L.s einen wissenschaftlichen
Gewinn, weil er — zwar durch eine überscharfe
Brille verfälscht — wichtige Einsichten in das eigentümliche
Denken des Eph zutage fördert. M. E. sollte man
diese Überbetonung der Gegenwart als schon geschenktes
Heil von daher verstehen, daß Eph in seiner spezifischen
Situation es für dringend notwendig hält, die Gemeinde
auf das hinzuweisen was sie schon hat und das nicht preiszugeben
. Gewiß mag in dieser aus aktuellem Anlaß geborenen
Üborbetonung des schon geschenkten Heils die
Gefahr der Eliminierung des Kreuzes und der Offenheit
für die Zukunft liegen. Man sollte jedoch die drohenden
Gefahren dieses Entwurfes nicht zu seinem eigentlichen
Anliegen und zu seiner Hauptdenkstruktur machen.

Leipzig Karl Martin Fischer

KIRCHENGESCHICHTE:
ALLGEMEINES UND
TERRITORIALKIRCHENGESCHICHTE

Schäfer, Walter: Adam Krafft. Landgräfliche Ordnung und
bischöfliches Amt. Kassel: Verlag Evangelischer Presseverband
Kurhessen-Waldeck 1976. 149 S. m. 6 Abb., 1 färb.
Taf. gr. 8" — Monographia Hassiao, hrsg. v. G. Bezzenberger
u. G. Schulze-Wegoner, 4.

Der 450. Jahrestag der Synode von Homberg als tatsächlicher
Beginn der hessischen Reformation hat den
bereits mit anderen Veröffentlichungen zur Kirchen-
geschichto im niedersächsisch-hessischon Raum1 hervorgetretenen
Vf. veranlaßt, sich mit Leben und Wirkon des
Hofpredigers von Landgraf Philipp, des Superintendenten
und Theologieprofessors zu Marburg und des obersten
Visitators Hessens Adam Krafft (1493—1558) zu beschäftigen
. In seiner biographisch aufgebauten Marburger
Dissertation hatte der Namensvetter Friedrich Wilhelm
Schäfer 1911 zunächst die reformatorische Arbeit Kraffts
bis 1530 geschildert. Hier konnte Walter Schäfer anknüpfen
. Er geht jedoch weiter, wenn er unter Verzicht „auf
eine dem einzelnen nachgehende Untersuchung" (S. 12)
eine ausgewogene Gesamtdarstellung vorlegt, die in ihrem
Untertitel bereits die eigentlichen Schwerpunkte und den
Aufbau der Arbeit aufzeigt. Ausgangspunkte sind neben
der umfangreichen Sekundärliteratur zur hessischen Reformation
zeitgenössische Quellen und z. T. bisher noch nicht
benutzte Archivalien in Fulda, Frankfurt/Main, Kassel,
Marburg und München. Ziel der vorliegenden Monographie
ist es, Kraffts Persönlichkeit im Spannungsfeld der dynamischen
Religions- und Kirchenpolitik Philipps von
Hessen darzustellen, wobei den Mitstreitern am hessischen
Reformationswerk breiter Raum gegeben wird. Diese auf
Hessen konzentrierte Erörterung vermittelt uns zwar ein
gründlich aufbereitetes Bild über die Verhältnisse in diesem
Territorium, vernachlässigt jedoch ungewollt die Rolle
Kraffts in der allgemeinen Reformationsgeschichte, seine
Beziehungen zu Luther, Melanchthon, Bucer u. a. sowie
sein reformatorisches Wirken über die Grenzen Hessens
hinaus, z. B. in Göttingen, Frankfurt/Main, Waldeck.
So bot Landgraf Philipp auch Herzog Moritz von Sachsen
im August 1541 an, Krafft für eine Religions- und Kirchenordnung
nach Dresden zu senden.

Nach einem einleitenden Kapitel zum Stand der Forschung
(S. 9—12), das ausführlicher und kritischer ausfallen
könnte, schildert der Vf. das Leben Kraffts bis 1526.
Die ersten Lebensjahre bleiben im Dunkel trotz erneuter
Überprüfung der Fuldaer Archivalien. Wir wissen nur, daß
Krafft aus einer angesehenen Familie dieser Stadt stammt
und vermutlich 1493 geboren wurde. Nach Besuch der
Schulen in Fulda und Neuburg ließ er sich im Herbst 1512