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Ausgabe:

1978

Spalte:

743-746

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wengst, Klaus

Titel/Untertitel:

Häresie und Orthodoxie im Spiegel des ersten Johannesbriefes 1978

Rezensent:

Rohde, Joachim

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Theologische Litoraturzoitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 10

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Trotzdem überwiegt die Zustimmung: Schenkes Büchlein
, (Ins vorsichtige Behutsamkeit im Methodischen mit
einem im ganzen ein fachen, .somit auch relativ plausiblen
Bild der vormarkinischen Traditionsentwicklung verbindet,
bedeutet einen wirklichen Schritt heraus aus dem totalen
Chaos, das auf dem Gebiet der Analyse der markinischen
l'assionsgeschiehte bis vor wenigen Jahren herrschte.

Adelebsen Ulrleh I.uz

1 L. 8ohenke: Studien zur mnrkinlBchen PaMlonsifeschlchte, KzF. 4,
Wllrzburg 1971.

Wengst, Klaus: Häresie und Orthodoxie im Spiegel des ersten
Johuilliesbriefes. Gütersloh: Giitorslohor VerlagRhaus Gerd
Molm |1976]. 87 S. gr. 8°. Kart. DM 19.80.

Die hier vorgelegte Untersuchung ist ans zwei Vorträgen
vor Fachtheologen erwachsen und stellt zugleich
eine Vorarbeit für einen Kommentar zu den Johannesbriefen
innerhalb des geplanten ökumenischen Taschenbuchkommentars
/.um Neuen Testament dar. Da in dem
allgemeinverständlich geplanten Kommentar kaum eine
Auseinandersetzung mit anderen Auffassungen möglich
ist, wird hier das Gespräch mit der Fachwelt sichtbar und
zugleich dio Ausgangsbasis deutlich gemacht, von der aus
die eigentliche Kommentierimg erfolgen wird.

Der Vf. beschränkt sich auf zwei ihm entscheidend
wichtig erscheinende Problemhereicho• !• Er sucht präzise
die Situation zu erfassen, in dio hinein der Uoh geschrieben
wurde, die vor allem durch die angegriffene Gegnerschaft
bestimmt ist. 2. Er möchte das herausstellen, was der Vf.
des Uoh den Gegnern theologisch zu sagen hat. Dabei
möchte er das Vorurteil überwinden, als sei der 1 Joh eine
frühkatholische Schrift, die im Vergleich zum Joh.-
Evangelium einen theologischen Niedergang dokumentiert.
Vielmehr sei der Vf. ein Theologe, bei dem es sich in die
Schule zu gehen lohne.

In der Einleitung (S. 11 —14) setzt sich Wongst mit
bisherigen Versuchen auseinander, als Gegner des Uoh
eine oder zwei verschiedene gegnerische Fronten herauszuarbeiten
und kommt zu dem Ergebnis, daß es der Vf.
nur mit einer gegnerischen Front zu tun habe. Die
Gegner stammten aus der Gemeinde selbst und seien keine
fremden Eindringlinge und Agitatoren. Das Problem von
Rechtgläubigkeit und Ketzerei werde nicht von außen an
die Gemeinde herangetragen, sondern breche in ihr selbst
auf (wie Apg 20,30 und 2Petr. 2,1). Die Gegner seien
zahlreich, und sie hätten auch Erfolge gehabt, aber es
weise nichts auf eiHen bereits erfolgten Ausschluß aus der
Gemeinde hin. Der Brief spiegele erst den Beginn der
Spaltung, und der Prozeß der Abgrenzung der Rechtgläubigkeit
von der Ketzerei sei noch im Gange und nicht
bereits vollzogen (S. 12). Welches die Kriterien echten
Christseins sind, sei offensichtlich strittig, und der Vf.
suche Unterscheidungsmerkmale zu finden, die den
Christen als wahren Christen gegenüber angeblichen Christen
erweisen. Es gebe also in der Gemeinde bestimmte
Gruppierungen und Streit um die rechte Lehre, aber
noch keine endgültige Klärung, und zu diesem Zweck
schreibe der Vf. seinen Brief. Dio Gegner hätten sich als
die wahren Christen und rechten Interpreten der gemeinsamen
Tradition verstanden (S. 13). Eine Analogie dazu
sei der Streit Marcions mit der Großkirche um das pauli-
nische Erbe (A.8). Der Niederschlag der gemeinsamen
Tradition liege wohl im Joh.-Evangelium vor (S.14). W.
setzt voraus, daß das Joh.-Evangelium und der Uoh
verschiedene Vf. haben, daß der Uoh jünger ist als das
Joh.-Evangelium und daß das Joh.-Evangelium sowohl
für den Vf. des Briefes als auch für dessen Gegner Autorität
gewesen sei (A.9).

Im ersten Hauptteil ,.Die Position der im 1. Joh
angegriffenen Gegner" (S. 15—Gl) untersucht W. nacheinander
die Christologie, die Anthropologie, die Sotoriolo-
gio und die Ethik und soziale Stellung der Gegner. Der
zweite Teil „Die Entgegnung des Verfassers des l.Joh"
(S. 63—78) hat die Unterteile „Das Bekenntnis", „Die
Bruderliebe und ihre Begründung" und „Der Zusammenhang
von Bekenntnis und Bruderliebe", während im
Schluß (S. 78—80) Vergleiche und Wertungen des Vfs.
und seiner Gegner gegeben werden. Ein Quellennachweis,
Stellen- und Autorenregister schließen den Band ab.

Der entscheidende Differenzpunkt zwischen dem Uoh
und den Gegnern liegt für W. in der Christologie. Die
Gegner bestritten, daß Jesus der Christus sei, aber es gehe
dabei nicht um die christlich-jüdische Problematik der
Messianität Jesu, sondern um die von den Gegnern durchgeführte
Trennung und scharfe Unterscheidung zwischen
dem irdischen Jesus einerseits und dem Christus-Gottessohn
andererseits. Dabei seien die Worte „im Fleisch" der
entscheidende Differenzpunkt. Zwar redeten auch die
Gegner davon, daß ein Heilbringer gekommen sei, aber
sie bestritten, daß er wie der irdische Jesus „im Fleisch"
gekomme n sei, trennten also /.wischen dem gekommenen
Heilbringer, don sie Christus und Gottessohn nannten,
und dem irdischen Jesus (S. 18).

Kür die Gegner sei der Heilbringer nicht in Wasser und
Blut gekommen, also wie der irdische Jesus in Taufe und
Kreuzigung (S. 19f.), sondern für sie bestehe zwischen
dem Menschen Jesus und dem himmlischen Gottessohn
kein wesensmäßigor Zusammenhang, Sondern nur darin,
daß der himmlische Gottessohn bei der Taufe Jesu durch
Johannes im Wasser auf diesen herabgekommen sei und
somit als Mittel seiner Epiphanie diente (S. 21). Die
Betonung des Blutes deute darauf hin, daß die Gegner
offensichtlich einen Zusammenhang des gewaltsamen
Todes mit dem Christus-Gottessohn bestritten hätten.
Da er nach ihrer Ansicht mit dem Tode Jesu anscheinend
nichts zu tun habe, habe für sie der himmlische Christus
den irdischen Jesus wohl vor seinem Tode verlassen (S. 22).

Mögliche Anknüpfungspunkte für die Positionen der
Gegner sieht W. in bestimmten Formulierungen des Joh.-
Evangeliums (1,29—34; 19,30 und den Stellen vom Ge-
kommen- und Gesendet-sein Jesu). Bestimmte Parallelen
zu den bekämpfton Gegnern sind für ihn in Aussagen bei
Kerinth und der EpJac der Nag-Hammadi-Texto zu finden,
und er charakterisiert sie als christliche Gnostiker, nicht
jedoch als Doketen wie die von Ignatius bekämpften
Gegner (S. 37).

In der Anthropologie hätten die Gegner ihre Gemeinschaft
mit Gott durch die Zeugung aus Gott vermittelt
und in dem ihnen gegebenen Samen gegründet gesehen
(S. 44). Sie beanspruchten, im eigentlichen Wesen Geist zu
sein (Pneumatiker) und als Geist zu reden. Diese Selbstbezeichnung
der Gegner als Pneumatiker und Propheten
betone die Jenseitigkeit ihrer Herkunft, ihr Nicht-Welt-
Sein, die Göttlichkeit des eigentlichen Menschen (S. 47).
Der Unterscheidung zwischen dem theologisch irrelevanten
Menschen Jesus und dem himmlischen Christus entspreche
also auf anthropologischer Ebene das Selbstverständnis,
von Gott abzustammen (S. 50).

In der Soteriologie hätten die Gegner einen mit präsen-
tischer Eschatologie verknüpften Heilsindividualismus
vertreten. Die Erkenntnis wirke gegenwärtiges Heil. Der
Vf. mache in Kap. 3,2 anscheinend Vorbehalte gegen die
Gegner, die in der Zeugung aus Gott und der erkannten
Gotteskindschaft schon alles gegeben sähen und von der
Zukunft kein darüber hinausgehendes Offenbarwerden
erwarteten (S. 55).

Zur Ethik und sozialen Stellung der Gegner meint W.,
der Vorwurf des Vfs. eines Lebens in Finsternis lasse
nicht auf sittlich verkommene Leute schließen, sondern
auf fohlende Bruderliebe, die ihren Ausdruck in Hochmut
und Überheblichkeit, gleichzeitig in Gleichgültigkeit und
Unbekümmertheit gegenüber den Bedürfnissen der Mitmenschen
(3,17) finde (S. 57). Die Unbrüderlichkeit