Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1978

Spalte:

740-741

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bussche, Henri van den

Titel/Untertitel:

Jean 1978

Rezensent:

McHugh, John

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

739

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1978 Nr. 10

740

Vorstellung vom 'am ha-aretz lo-mitzvot gehört darum
bereits in die Zeit vor 70 n. Chr. Je stärker sich das Judentum
zur Torah-Religion hin entwickelte, desto unüberbrückbarer
wurde der Graben zwischen Frommen und
'am ha-aretz. In der Zeit nach der Tompclzerstörung kam
es darum zu der Entgegensetzung von 'am ha-aretz la-
Torah als dem „unlearned ignoramus" (97) und talmid
hakham. ,,A new social Stratum was created with the
talmid hakham at the top of the social scale and at its
bottom the ignoramus who had not studied the Torah"
(98). Die Konzeption des 'am ha-aretz la-Torah dominierte
in der Periode von Uscha und begegnet danach kaum mehr.

Im 4. Kapitel befaßt sieh' O. mit den 'ammei ha-aretz,
den Pharisäern und den haverim (118—169), wobei er
scharf unterscheidet zwischen den Pharisäern, die eine
,,spiri1 ual-social movement" darstellten, und den haverim.
die ,,elosed associations" bildeten mit strengen Roinheits-
und Zehntbestimmungen und wahrscheinlich auch mit
„communal meals". Die Familienmitglieder eines haver
wurden zwar nicht als Vollmitglieder der Vereinigung angesehen
, gehörten ihr aber passiv an, indem sie als eine
Art Peripherie der Gruppe galten. Insofern war die Genossenschaft
„consequently not cut off from the normative
Community" (139), sondern verstand sich als eine Art
Sauerteig innerhalb der betreffenden Ortsgemeinde. Daraus
ergaben sich engere Kontakte der haverim zu den
'ammei ha-aretz als zu den völlig von der Ortsgemeinde
getrennt lebenden Essenern und Yahad-Angehörigen. O.
rechnet sogar mit gut nachbarlichen und freundlichen Beziehungen
zwischen haverim und 'ammei ha-aretz. Ahnlich
soll auch das Verhältnis der Pharisäer, die nicht so
rigoros wie die haverim die Zehnt- und Reinheitsbestimmungen
befolgten, zu den 'ammei ha-aretz gewesen sein.

Das 5. Kapitel stellt die Beziehungen zwischen 'ammei
ha-aretz und talmidei hakhamim (170—199) dar und
befaßt sich also mit den Verhältnissen in der Zeit nach
70 n. Chr. Der Terminus haver bezieht sich jetzt ausschließlich
auf den talmid hakham als den Angehörigen
der exklusiven Klasse der Weisen, die die Torah und ihr
Studium zur Richtschnur für das Leben des Volkes
machen wollton. Weil die 'ammei ha-aretz dieses Bestreben
nicht unterstützten, zogen sie sich den Zorn der
privilegierten Weisen zu. Allordings versucht O., die
Schärfe der rabbinischen Polemik gegen den 'am ha-aret /.
mit der historischen Situation und der damals üblichen
,,sharp language" bei den Weisen zu entsehuldigen, wobei
er z. Z. Jehuda ha-Nasis ein positiveres Verhältnis zwischen
beiden Schichten annimmt.

Im (5. Kapitel: ,,Thc 'ammei ha-aretz in Judaea and
in Galilee" (200«bis 217) polemisiert O. gegen die von
vielen, vor allem protestantischen Forschern vertretene
These von der mangelnden Gesetzeserfüllung in Galiläa
und von den zum 'am ha-aretz gehörenden Galiläern,
wobei er die Zuverlässigkeit von TJ Shab XVI,15d bestreitet
, auf berühmte galiläisohe Weise und auf die
Schwierigkeiten bei der Besiedelung von Tiberias hinweist
und daraus folgert: „The majority of the Galüaeans were
scrupulous in the observance of purity. . . (209). The
Jewish charactor of Galilee was not less than that of
Judaea" (215).

Im letzten Kapitel (218 — 248) zieht O. das Fazit aus
seinen Ausführungen im Blick auf das Verhältnis der
'ammei ha-aretz zu den Christen und zu den Samaritanern.
Scharf wird jeder Versuch abgelehnt, 'ammei ha-aretz und
Christen zusammenzuordnen und sie dem gesamten
übrigen Judentum entgegenzustellen; denn die 'ammei
ha-aretz waren nicht eine „sect" mit eigenen Prinzipien
wie die Christen, sondern ,,a social stream that had neither
institutions nor frameworks, and that was not scrupulous
in the observance of all the commandments. . ." (229).
Was das Verhältnis der 'ammei ha-aretz zu den Samaritanern
anlangt, so lassen sich zwar parallele Halakhot nachweisen
, die sich sowohl auf die einen als auch auf die

anderen beziehen, aber es gibt keinen eindeutigen Grund,
beide miteinander zu identifizieren, zumal ja dio 'ammei
ha-aretz im Unterschied zu den Samaritanern immer als
Juden betrachtet wurden.

Mit einer ausführliehen Bibliographie (239—244), in
der man aber fast die gesamte neue deutschsprachige
Literatur vermißt, und mit Indices von Namen (245—248)
und Quellen (249 —261) schließt diese sorgfältig gearbeitete,
zielstrebig vorgehende und verständlich geschriebene
Untersuchung. Kritische Anfragen richten sich vor allem
an das 4. Kapitel mit seiner Unterscheidung der haverim
als einer „fratornal order" und der Pharisäer als einer
„spiritual-social movement"; denn einerseits ist die dafür
herangezogene Quellenbasis viel zu schmal und andererseits
sind dio von O. daraus gezogenen Schlüsse recht
problematisch. Hier hätte man sich eine präzisere Argumentation
und überzeugendere Begründung gewünscht.
Zum 6. Kapitel ist im Blick auf Strabo, Geogr. XVT, 2.34
und Jos. Vita 67 zu fragen, ob wirklieh eine strukturelle
Gleichheit /.wischen Galiläa und Judäa angenommen
werden darf; denn die Gründung einer Stadt wie Tiberias
auf einem Gräberfeld und mit einem Palast, der mit Tierbildern
geschmückt war (vgl. Jos. Ant. 18,36 — 38; Vita 65),
wäre in Judäa wohl kaum möglich gewesen. Auffällig ist
die Starke Betonung des Sozialen bei der Untersuchimg des
'am ha-aretz („social Status", „social context", „social
stream" U.ä.), aber das Fehlen konkreter Angaben über
ökonomische Verhältnisse, über den Stadt-Land-Gegensatz
und über die berufsmäßige Zusammensetzung innerhalb
des 'am ha-aretz. Überzeugend dürfte aber O. der
Nachweis gelungen sein, daß das Verhältnis zwischen den
strengen Torahfrommen und dem 'am ha-aretz in der
Zeit vor der Tempelzorstörung sehr viel enger und freundlicher
war, als es die christlichen und die meisten rabbinischen
Zeugnisse vermuten lassen. Dafür gebührt ihm
Dank.

Berlin Günther Tiaumbach

NEUES TESTAMENT

Hussein', Henri van den: Jean. Commentaire de l'Evangile
Spirituel. Paris: Desclee de Brouwer [1967]. 578 S. 8°.

This book is a reprint of a work that has enjoyed
considerable popularity among French-speaking Roman
Catholics for some ton years. But particularly for readers
in Eastern Europe, a few words about its ancestry will not
be superfluoiis. The author, who taught in the Grand Seminaire
at Ghent and at the University of Louvain, died at
the ago of 45 in 1965. Between 1957 and 1961 he published
in Flemish, and in separate parts, a commentary on the
Fourth Gospel directed not to scholars, but to the genoral
public; and this commentary he later translated into
Frenoh, though it did not appear until after his death, in
1967. These facts should be mentioned, lest anyono
should think that the work is a new commentary on John.

A book that is in effect twenty years old may well havo
real value if it is in some sense a classic, and it would be
unfair to eritieize such a work for failing to take into
aecount progress made since its first publication. Unfor-
tunately, van den Bussche's commentary is not a classic,
and it is difficult to find any rcason for its reissue today.
For even if one judges it as a book of 1960, it is curiously
conservative. The author teils us in his introduetion (p. 11)
that „Consciemment et deliberement, il se maintient
parfois dans une attitude conservatrice", an attitude that
extends to the clear assertion that the Fourth Gospel is the
work of John the son of Zebedee not merely as auetor
(in the sense of „originator, inspirer, ultimate source")
but as scriptor textus. On the basis of this view he develops
quite consistently a very traditional interpretation of the
text.