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Ausgabe:

1978

Spalte:

727-729

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Baltzer, Dieter

Titel/Untertitel:

Ezechiel und Deuterojesaja 1978

Rezensent:

Hermisson, Hans-Jürgen

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Theologische Literatnnseitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 10

728

ALTES TESTAMENT

Itallzcr, Dieter: Kzcchicl und Ih'uti'rojesaju. Berührungen in
der HeilHorwartung der boiden großen Exilsproplioten.
Berlin—New York: de Gruyter 1971. XIX, 193 S. gr. S'
= Beiheft zur Zeitschrift für die alttestamentl. Wissenschaft,
hrsg. v. G. Fohrer, 121. Lw. DM 58.—.

Die boiden großen Propheten der Exilszeit, nur rund
zwanzig Jahre voneinander getrennt, zeichnen sich eher
durch ihre Verschiedenheit als durch ihre Ähnlichkeit ans.
Dci- relativ enge zeitliche und räumliche Rahmen, in dem
sie aufgetreten sind, nötigt gleichwohl zur Frage nach
einem möglichen Einfluß des älteren auf den jüngeren
Propheten. Die Frage ist kurz: Hat Deuterojesaja (Dtjes)
Hesekiels (Hes) Verkündig!mg gekannt T Die Antwort ist
aufs ganze gesehen negativ: jedenfalls läßt er in seinor
Verkündigung davon nichts erkennen — von geringfügigen
möglichen Ausnahmen einmal abgesehen.

Der Vf. dieser vergleichenden Studie (einer überarbeiteten
Göttinger Dissertation aus dem Jahre 1969) geht
freilich nicht von der historischen Präge nach einer Beziehung
aus, Bondern vergleicht den in den betreffenden
Prophetenbüohern vorliegenden Bestand hinsichtlich seiner
gemeinsamen Thematik, und solche Bestandsaufnahme isi
ja in in jedem Fall notwendig. Der Vergleich umfaßt
Sieben Themenkreise: I. Israels „neuer Exodus"; II. Die
Bedeutung Zinn-Jerusalems und des Tempels in Jerusalem :
III. Die „Heimkehr Jahwes"; IV. Israels „neuer Gehorsam
" und seine „Erlösung"; V. Das sohöpferiseh wirksame
Jahwewort; VI. Die Ausprägung der davidisch-mossiani-
schen Heilserwartung; VII. Die Erwartung des heilszoit-
liehen Friedens. — Die Teile sind gleichmäßig gegliedert:
einem Literaturhinweis folgen Jeweils die Darstellung der
einschlägigen Partien Hesekiels, dann Deutcrojesajas,
schließlich meist kurze „Zusammenfassende Sohlußbeob-
achtungen". Eine sechsseitige Zusammenfassung der Ergebnisse
für den eiligen Loser sowie ein Stellenregister
beschließen das Buch.

Zum einzelnen: Im ersten Teil sucht der Vf. den
Aufsatz seines Lehrers W. Zimmerli (Der „neue Exodus"
in der Verkündigung der beiden großen Exilspropheten
(i960)) aufzunehmen und weiterzuführen: bekanntlich
erscheint das Thema „heuer Exodus" nach Hosen vor

allem bei Hes und Dtjes, bei lies nur einmal (20,32--14),

und zwar mit der Besonderheit dos Bcheidungsgerichts in
der Wüste; dagegen ist die Wüste bei Dtjes „Ort der
Offenbarung der Herrlichkeit Jahwes" (25). Eine „gewisse
Verwandtschaft" sieht der Vf. in den Motiven, die
er zuvor vage als priesterliches Material bei Dtjes zu
charakterisieren sITchte, so in dem Interesse im (Ii i- Reinigung
der Heimkehrer (Jos 52.11) und der Reinheit der
heiligen Stadt Jerusalem. — Im zweiten Teil verhandelt
der Vf. die Bedeutung dos Tempels wie überhaupt die
„Einflußnahme der priesterliehen Tempelwelt" auf Hesekiels
Verkündigung (29f.); nach einem Exkurs über
Hesekiels Tempel und deuteronomisches Zentralheiligtum
(30ff.; wozu dieser Exkurs hier eingefügt wurde, ist nicht
rocht einsichtig) folgt eine Exegese von Hes 20,39ff. (in
enger Anlehnung an Zimmerli, BK XIII). Ist hier der
..heilszeitliche Gottesdienst. . .im Tempel" (35) das Ziel
des neuen Exodus, so bei Dtjes stattdessen der Zion und
Jerusalem, als die beiden Ortsbezeichnungen, mit denen
alle „wesentlichen Aussagen der endzeitlichon Heilsverkündigung
des Propheten... in Beziehung gesetzt"
werden (45). Die Berührungen zwischen beiden Propheten
sind entsprechend dünn: da muß einerseits Hes 48,35 aus
der hesekielschen Schule angezogen werden, andererseits
die Erwähnung des Tempels in dem (doch eher unechten)
Vers Jes 44,28b und die angeblich „priesterlichen" Züge
(was heißt das ?) in Jes 52,1.11. — Der dritte Teil zeigt
ähnliche Differenzen unter dem Aspekt der Rückkehr
Jahwes in den Tempel (Hes 43,1 ff., vom Vf. für echt
gehalten) bzw. zum Zion/nach Jerusalem: das ist bei Hes

ein nichtöffentliches Ereignis; bei Dtjes vollzieht es sich
vor den Augen der ganzen Welt, und es ist hier ein Geschehen
, das mit der Heimkehr des Volks zusammenhängt
. — Teil vier hat es mit dem zukünftigen Israel zu
tun und ermittelt wieder gewichtige Unterschiede: Hes
spricht von der Erneuerung des Herzons und des Geistes
(ll,19f. etc.) bzw. der Reinigung Israels als Ermöglichung
des neuen Gehorsams (36,25); Dtjes aber kennt jene auf
den einzelnen zielenden Aussagen wie das Problem des
Gehorsams kaum: er spricht vom Volk als ganzem und
von seiner Erlösung. Der Vf. entdeckt dennoch „überraschend
verwandte Aussagenlinien" (99), sofern er die
Erneuerung des Menschen bei Hes wenigstens andeutungsweise
als Nouschöpfung gelton lassen will (76—78),
andererseits die Erlösung bei Dtjes als Werk des Schöpfers,
daher als Sohöpfungswerk Jahwes vorsteht. Beides ist je
für sich sicher richtig, aber den Balanceakt, daraus eine
Verwandtschaft zu konstruieren, vormag der Rez. nicht
nachzu vollziehen. Eher lassen sich Ähnlichkeiten in der
im fünfton Teil behandelten Vorstellung vom schöpferisch
wirksamen Jahwewort (das durch den Propheten
verkündet wird) entdecken; sie wird in einer Auslegung
VOU lies 37,lff. einerseits und Jos 55,8 ff.; 40,6 — 8 andererseits
erhoben, ohne daß man doch daraus auf eine nähere

Beziehung zwischen den beiden Propheten schließen konnte
: die Gemeinsamkeiten sind allgemeinerer Art und zu
jener Zeit gewiß weiter verbreitet (of. etwa das Jeremia-
buch), — Sochstens besteht die ,.Verwandtschaft" beider
Propheten in der vergleichbaren Bedeutungslosigkeit der
eigenI liehen Messia ser wa rt ung: erscheint sie bei „Hesekiel"
erst in der „Schule" und ganz am Rande, so bei Dtjes nur
dosintogriert und „demokratisiert". — Schließlich sind
siebentens unter dem Stichwort „hoilszeitlicher Frieden"
noch allerlei Einzelzügo der Zukunftserwartung zusammengestellt
, bei Hes und in seiner Schule besonders hinsichtlich
des Landes, seiner erneuerton Fruchtbarkeit und
der wiederaufgebauten und neubevölkerten Städte, bei
Dtjes dagegen konzentriert auf Zion /Jerusalem. Gelegentliche
Berührungen sind auch hier eher zufällig, oder zeitbedingt
, oder sie verweisen auf einen bestimmten gemeinsamen
Anteil an der Tradition.

Soweit die „Pflicht" des Rez. Was kommt bei diesem
Vergleich heraus ? Nach dem Urteil dos Autors „beachtliche
" aber „wesentlich durch dio Situation bedingte(n)
Berührungen" (179). (Daß man „eine mögliehe Beeinflussung
Deuterojesajas durch Ezechiel nicht grundsätzlich
ausschließen dürfen" wird (ebd.), ist so richtig wie nichtssagend
.) Die genannte Situation und die Zeitbezogonheit
der Botschaft wird aber nie eigens thematisch; die gemeinsame
Situationsbedingtheil beschränkt sich ja auch auf
einige recht allgemeine und naheliegende Grundzüge. Für
den Zeit bezog der Botschaft ist also aus dieser Arbeil
nicht viel zu gewinnen; auch nicht für ein geschichtliches
Verhältnis zwischen Hes und Dtjes. Denn dio Gemeinsamkeiten
bleiben letzten Endes im Allgomeinmenschlichon,
oder im theologisch Grundsätzlichen: in dem, was israelitische
(prophetische) Traditionen anläßlich einer Zeit, die
durch den Untergang Israels geprägt ist, nahelegen.
Manches scheint spezieller zu sein, aber nie so, daß man
auf eine unmittelbare Beziehung zu schließen hätte. Es
sind möglicherweise Gemeinsamkeiten theologischer Richtungen
, oder Anschauungen, die „in der Luft lagen" —
darüber wüßte man gern Genaueres. Vielleicht ein unbescheidener
Wunsch; dennoch schade, daß er den Vf. offenbar
kaum interessiert hat. Eine Voraussetzung dafür
wäre allerdings, daß man konsequenter zwischen Hes und
seiner „Schule" unterschiede. So bleibt es bei einem Vergleich
auf dem Papier: mit dem überlieferten Bestand
zweier Prophetenbücher. Die Bestandsaufnahme vergleichbarer
Themen und die Ermittlung von Differenzen
und Ähnlichkeiten mag dann dazu dienen, die beiden
Sammlungen von Prophetenworten hier und da schärfer
zu konturieren. Jedoch: man kann zwar alles miteinander