Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1978

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

721

Theologische Literaturzeitimg 103. Jahrgang 1978 Nr. 10

722

Das V. Kapitel stellt die .Alleinheit' dar. Als Beispiele
für die ,episodische Alleinheit des Stifters', die sich nach
dem Schema a. Scheiden aus dem bisherigen Znstand, b.
Aufenthalt in einer Zwischenphase, c. Eintritt in einen
neuen Zustand vollzieht, werden Zarathustra, Mani,
Muhammed, Mose, Jesus, Buddha, Joseph Smith u. a. angeführt
. Kürzere Unterabschnitte über diese Alleinheit bei
den Schamanen und im Nagualismus, sowie bei der
Individualinitiation schließen sich an. ,Sporadischo Alleinheit
', die auf einer vorübergehenden Gestimmtheit des
homo religiosus beruhe, erfahre man im Gebet und bei der
Meditation.

Im VI. Kapitel wird die äußere Abgeschiedenheit als
Individual- und Kollektivphänomcn untersucht. Hierher
gehören die sedentäre Anachorese (im Christentum, Taois-
mus, Brahmanismus usw.) und ihre Sonderformen, die
Übergangsformen zwischen Individual- und Communio-
struktur (Anachoretonkolonien, Lauren) und Ordens-
gemeinschaften sowie Bruderschaften.

Das vorletzte Kapitel behandelt unter der Überschrift
,Die Einsamkeit des Numen' die „Ehrfurcht gebietende
Vorstellung der Einsamkeit Gottes (van der Leeuw)". Für
die prä-kosmische Allein-heit des Numen werden Aussagen
aus Sohöpfungsmytheii und von Theologen des Mittelalters
wie Tatian, Tertullian, Hippolyt und Ai'ius genannt.
Belege für die; prä-kosmische und metaphysische Einsamkeit
des Numen finden sich in vedischen, brahmanischen,
finnischen, altgriechisehen und mystischen Texten. Thema
des letzten Kapitels ist der „einsame Ort" als Stätte
negativ-numinoser Macht und als Ort der Begegnung mit
der Welt des Heiligen. 32 Seiten Literaturverzeichnis, Personen
-, Autoren- und Sachregister schließen die Monographie
. Die Inhaltsübersicht verdeutlicht, welchen weile n
historischen, geographischen, religi uns wissenschaftlichen
und theologischen Kaum die Untersuchung umgreifen
möchte und welche Probleme der Versuch mit sich bringen
muß, die Vielfalt der Phänomene in Kategorien zu ordnen.
Man kann daher dem Mut zu einer solchen Untersuchung,
dem Fleiß und der Übersicht des Vfs. nur Anerkennving
zollen, selbst wenn man ihm im einzelnen kritisch oder ablehnend
gegenübersteht.

Schon bei der Kategorienbildung werden die Probleme
sichtbar. Einsamkeit. Alleinheit und Abgeschiedenheit
scheinen brauchbare Kategorien zur Trennung und Charakterisierung
der verschiedenen Phänomene zu sein. Die
beiden letztgenannten hegen auch auf der gleichen Ebene:
Beide sind durch die äußere Trennung von der Gemeinschaft
charakterisiert, sie unterscheiden sich durch die
Dauer des Alleinseins und die Existenzbedeutung der
Trennung. Alleinheit ist eine Situations-, Abgeschiedenheit
oine Existenzkategorie. Einsamkeit liegt jedoch auf einer
anderen Ebene, da es sieh um eine Erlebniskategorie handelt
. Sie kann sich mit Allein-heit und Abgeschiedenheit
überschneiden und z. B. in der episodischen Alleinheit des
Stifters oder in der Abgeschiedenheit der Anachoreten auftreten
. In der Untersuchung wird das nicht deutlich.
Von daher muß die Anwendung von „Einsamkeit" auf
Orto (Kap. VIII) fraglich erscheinen, denn im Sinn von
„Ausgangspunkt für Einsamkeitserlebnisse" würde der
Begriff auch auf Allein-heit und Abgeschiedenheit auszudehnen
sein.

Nicht sehr glücklich ist im Blick auf das Alte Testament
dio Unterscheidung von Universal- und Volksreligion. Dio
Einsamkeit der Bropheten wird unter dem ersten, die
Einsamkeit Kains, eines Übeltäters und eines Kranken
unter dem zweiten Aspekt dargestellt. Der Prophet lebt
aber in keiner anderen religiösen Welt als der Psalmbtter.
Für das Alto Testament ist die Trennung in einen universalreligiösen
Bereich, in dem vertikale und horizontale Erleb-
nisriehtungen nicht nur theoretisch geschieden werden
können und in einen volksreligiösen Bereich, in dem eine
Krlebniseinheit bestehe, knuin durchführbar. Manche Vorstellungen
, die der Vf. nicht nur von seinem Lehrer G.

Mensching übernommen hat, muten bei dem differenzierten
Bild, das die alttestamentliche Forschung entwirft, wie
überholte Klischees an. Obwohl der Vf. S. 114 bemerkt, daß
sich die scharfe Antithetik Prophet-Priester „heute wohl
nicht mehr aufrecht erhalten lasse", ist S. 128 der Prophet
ein „radikaler Gegner des priesterlich-kultischen Establishments
", ein Revolutionär gegenüber dem „konservativen
Religionsführer". Bei der Rede von den „jüdischen
Oppositionspropheten" oder „großen Oppositionspropheten
" (114) steht wahrscheinlich Menschings Typ der prophetisch
-dynamischen Protestreligion im Hintergrund.
Die Heilsverkündigung der Schriftpropheten gerät dabei
konsequent aus dem Blick, abgesehen davon, daß mit
„Opposition" die Unheilsverkündigung der Schriftpropho-
ten oder ihre Distanz zur Gemeinschaft bzw. anderen
Propheten kaum sachgerecht bezeichnet wird. Undifferenzierte
Äußerungen finden sich auch an anderen Stellen,
wenn es z. B. heißt, daß außerhalb der fruchtbaren Erde
für den Israeliten Chaos sei und hier „im Frühstadium der
israelitischen Religionsgeschichte Jahves Machtbereich
endo" (313). Wahrscheinlich rechnet der Vf. die Zeit vor
der Landnahme nicht zur israelitischen Religionsgeschichte
(Vätergötter!), obwohl er an anderer Stelle von Jahvo als
Volksgott spricht, der erst nach der Seßhaftwerdung zum
Landesgott wurde (165). Daß dio Psalmen die Berge als
Wohnstätte Jahwes schildern (Belegstellen Ps 89,13
121,]), dürfte so kaum stimmen (327). Kritische Anfragen
ergeben sich zum Mosebild (Religionsstifter 183f.) und
zum Schamanismus. im Alten Testament (200). Das Vorhandensein
von Literatur zu einem Thema entbindet den
Benutzer nicht der kritischen Sichtung und der Rückfrage
nach dem Urteil des betreffenden Fachgebietes. Anfragen
zu Einzelheiten gäbe es vielfach: z. B. was für ein syrischer
Aufstand 594 v. Chr. stattgefunden haben soll und
warum der Leipziger Religionswissenschaftler Kurt
Rudolph ein „rationalistischer Religionshistoriker" genannt
wird.

Es ist verständlich, daß der Vf. bei der Breite des untersuchten
Materials nicht in allen Fachbereichen gleich gut
beschlagen sein kann. Für das Alte Testament ergeben
sich daraus manche Vergröberungen. Natürlich bleibt auch
einiges ungenannt oder wird nur kurz gestreift (etwa
Qumran S. 173 u. 204 ohne den ,Lehrer der Gerechtigkeit
'). Es fehlt Literatur, deren Beachtung man sich an
Stelle der aufgeführten wissenschaftlich unbedeutenden
Titel (21 Anm. 4) gewünscht hätte: Arbeiten von Barzini,
Berdjajew, Ben-Chorin, Buri, Eiert, Emerson, Hofstättor,
Lohmann, Riesman u. a. Leider hat der Vf. dio Disser-
tation des Rez. nicht in der Originalfassving von 1963,
sondern in der wesentlich gekürzten Druckfassung von
1969 benutzt. Die Qumranliteratur sollte in der wissenschaftlich
üblichen Form zitiert werden: S. 173 1QH
VIII, 27f. und S. 264 (Anm. 3) 1 QM XII, 1. S. 317 muß es
statt Bn rakh 3a heißen: IV rakh 3a Bar. S. 11 müßte
„Indivituität" verbessert werden. Man fragt sich nicht
nur bei diesem Wort, ob oino so fremdwortgeladene
Sprache notwendig ist (S. 117 objizieren ?).

Trotz der kritischen Anmerkungen bleiben die schon
ausgesprochene Anerkennung und das sturke Interesse,
das nicht nur Theologen dieser Arbeit sohenken sollten,
die sich selbst als „einen ersten bescheidenen Versuch, ein
solch bedeutungsvolles Phänomen wie dio Einsamkeit in
der Keligionsgesehichto darzustellen", versteht.

Leipzig Hans Seidel

Abdullah, Muhammed S.: Christlich-islamischer Ökumonismus
aus der Sicht dos Islam (US 31, 1976 S. 103—171).

Antos, Peter: Christus und Christentum in der Sicht der großen
Weltroligionon (ThL'h 51, 1976 S. 385—396).

Brelirh, Angnlo: Nascita di mit i (Beligioni o oivilitA 2, 1976
S. 7—80).