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Ausgabe:

1978

Spalte:

48-50

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Keilbach, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Religion und Religionen 1978

Rezensent:

Mildenberger, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 1



PHILOSOPHIE,
RELIGIONSPHILOSOPHIE

Petit, Jean-Claude? La Philosophie de la Religion de Paul
Tillich. Genese et evolution. La periode allrmande 1919-1933.
Montreal: Edition Fides 1974. 252 S. 8° = Heritage et
Projet 11.

Der Verfasser ist Professor der katholischen Theologie in
Montreal. Er hat mit der vorliegenden Arbeit in Freiburg/Br.
bei B. Welte promoviert. Schon der Titel deutet auf eine
thematische Begrenzung der Beschäftigung mit Tillich: sie hat
nur die „deutsche Periode" im Blick, also die rund 15 Jahre
zwischen dem ersten Weltkrieg und der erzwungenen Emigration
, und sie konzentriert sich auf die Religionsphilosophie,
welcher Tillich ja 1925 bereits einen konzentrierten Entwurf
gewidmet hat. Da aber der Vf. die angesprochene Periode als
den Schlüssel zu dem sich immer mehr ausbreitenden und abrundenden
Gesamtwerk Tillichs versteht, ist diese Begrenzung
nur vorläufig und wird durch den Vorausblick auf eben dieses
Gesamtwerk interessant und problemhaltig. Und die Begrenzung
auf die Religionsphilosophie bedeutet nicht, daß die
übrigen Aspekte Tillichs vernachlässigt werden, aber sie
ermöglicht es, daß auch die besonders gegen Ende des Buches
immer stärker ins Gesichtsfeld geratenden theologischen
Themen jener Zeit, vor allem die Offenbarungsproblematik,
ohne alles apologetische Engagement deskriptiv verhandelt
werden können.

Eine besondere Stärke des Buches, so scheint es mir, liegt in
der Methode des „deroulcment chronologique", die schon in
der Dreiteilung desselben zum Ausdruck kommt: I. Die ersten
Schriften (1919-1923), II. Hermeneutik (1924-1926) und
schließlich III. „Vers une theologie de la revelation" (1927—1933).
Dieses Verfahren bietet die Möglichkeit, das Werk Tillichs darzustellen
, aber eben als ein werdendes, im Fluß seines Entstehens
, unter Beiziehung der Situation der Gespräche und
Einflüsse, die für Tillich immer so entscheidend waren. Dabei
erweist sich die geistige Kultur des Verfassers darin, daß er
nicht in pointierten Bewertungen und Thesen „zu Tillich Stellung
nimmt", sondern nur, gleichsam unmerklich, in der Gewichtung
seiner Darstellung, in nuancierten Bemerkungen zur
Sprache Tillichs etwa, der Eigentümlichkeit Tillichs Rechnung
trägt und Fruchtbarkeit wie unverhohlene Schwächen seines
Denkens sichtbar macht.

Das beginnt übrigens schon in der „Introduction". Hier
lesen wir: „Mais malgrc tous nos efforts nous n'avons pu
offrir un texte qui aurait eclairci toutes les difficultes ... Son
vocabulaire est souvent tres variable et il emprunte, sans le
dire, ä divers autcurs et ä diverses traditions .. . son manque
de rigueur, l'cxpression volontairement mystique de sa pensce,
.. . sont ... aussi un peu responsables de la difficulte que nous
eprouvons ä le comprendre."

Eine Idee, zu der man den Vf. beglückwünschen möchte,
ist die Obersicht über die bisher vorliegende Tillich-Literatur,
mit der die Liste der ca. 250 Titel eingeleitet wird. Für die
Leser im deutschsprachigen Raum ist es von großer Bedeutung,
daß hier auch die Beiträge aus dem angelsächsischen und französischen
Sprachgebiet einbezogen sind, deren Berücksichtigung
jene Engführung verhindert, die so oft die evangelische
Theologie kennzeichnet. Um so eindrucksvoller ist es dann
wieder, wie genuin die damalige Situation Tillichs und die
Debatten jener nun schon weit zurückliegenden Jahre bei
J.-Cl. Petit gegenwärtig gehalten werden.

Ich möchte mich nach dieser Beschreibung des Buches im
übrigen auf einige Bemerkungen beschränken. Offenkundig
war Tillich in der ersten Phase der dialektischen Theologie
von Barth und Gegarten stark beeindruckt. Man gewinnt aus
der Darstellung Petits einen Eindruck davon, wie sehr Tillich
bemüht war, sich der gedanklichen Nähe zu Barth und
Gogarten zu versichern. Aber es war, wie mir scheint, kein
„Dialog", wie es Petit darstellen möchte. Sondern Barth und
Gogarten, damals noch zusammenstehend, haben sich von

Tillich sehr schnell distanziert. Dafür hat sich dann Tillichs
Urteil über die beiden frühzeitig kritisch versteift und auch
nie mehr gewandelt. Tillich blieb auf die erste Phase der Auseinandersetzung
mit der dialektischen Theologie fixiert, und
er hat, aber das liegt jenseits der Thematik des Buches, vom
„späten Barth" eigentlich keine Kenntnis mehr genommen.

Das, was Tillich in jenen Jahren mit Gogarten und in einem
gewiß entfernteren Sinne auch mit Barth verband, war das Interesse
an der geistigen Situation der Zeit oder, wie es Tillich
ausdrückte, an der „religiösen Lage der Gegenwart" (1926).
Bei Tillich gehören die in GW II gesammelten Schriften zum
„Religiösen Sozialismus" im wesentlichen alle unter diesen
Aspekt. Das Gogarten zu verdankende Stichwort „Zwischen
den Zeiten" weist ebenso wie K. Barths Tambacher Vortrag
von 1919 „Der Christ in der Gesellschaft" in dieselbe Richtung.
Aber Barth und Gogarten überschreiten diesen Ausgangspunkt
zur eigentlichen Theologie hin, wobei freilich Gogarten sich
von Barth trennt und alsbald mit sehr aktueller Tendenz zur
Lehre vom Gesetz und der Schöpfung einbiegt. Es fällt nun
auf, und die vorliegende Schrift bietet reichen Anschauungsstoff
hierzu, daß Tillich, der anfänglich so sehr um die Nähe
der Dialektiker bemüht erscheint, die Konzentration auf die
Gegenwart, auf die Situation, auf die mehr und mehr spekulativ
begriffene Geschichte festhält. Am Ende steht die Kultur-
theologic; das Theologische auf diesem Wege bleibt die
Dialektik von Bedingtem und Unbedingtem, die Setzung wie
die Überwindung des Religionsbegriff es, die Dialektik des
Autonomiebegriffes und vor allem die von Tillich förmlich als
gcschichtsphilosophische Kategorien entdeckten Begriffe des
„Kairos" und des „Dämonischen". Alle diese in der von Petit
so eindrucksvoll beschriebenen Periode gewonnenen Positionen
sind für Tillich zeitlebens entscheidend geblieben.

Auch Tillichs Sozialismusproblcmatik gehört hierher. Sie
liegt, wenn ich recht sehe, auf der Grenze zwischen dem
religiösen Selbstverständnis des Menschen (L'hommc menacc)
und einer Zeitanalyse, so wie eben die „Gegenwart" als Anruf
zur Entscheidung, zur Infragestellung der Bürgcrlichkeit und
der verfaßten Kirche verstanden wird. Im Zuge des vorzüglich
„objektiven" Berichtes kommt vielleicht nicht in der erwünschten
kritischen Schärfe zum Ausdruck, wie weit dieser Begriff
von „Sozialismus" von den politischen Ideen und Gestaltungen
entfernt liegt, die uns heute und hier beschäftigen, und wie
wenig dabei an politische Praxis gedacht ist.

Es bleibt nur noch als letzte Beobachtung diese: Petit macht
sichtbar, wie sehr auch schon in der Frühzeit Tillichs die
Christologic nur eine spekulative Zuspitzung der Geschichts-
philosophic darstellt: Reduktion des — zugestandenermaßen —
Singulären auf die allgemeinen Kategorien der Offenbarung
in Geschichte. Das ist richtig gesehen und bis in einzelne Wendungen
des Gedankens belegt. (Seltsamerweise ist der Einfluß
Sendlings auf das Denken Tillichs dabei ganz in den Hintergrund
getreten.)

Alles zusammengenommen, handelt es sich um eine hervorragende
, umsichtige und zuverlässige Studie, die einen bevorzugten
Platz in der Tillich-Forschung einnehmen wird.

Göttingen Wolfgang Trillhaas

Keilbach, Wilhelm: Religion und Religionen. Gedanken zu ihrer
Grundlegung. München-Padcrborn-Wicn: Schöningh 1976.
246 S. 8° Abhandlgn. zur Philosophie, Psychologie, Soziologie
der Religion und ökumenik, hrsg. v. J. Hasenfuß, 35
der N. F. Kart. DM 32,-.

Die vorgelegte Sammlung umfaßt 17 Aufsätze aus mehr als
vier Jahrzehnten, von einer 1932 erschienenen Arbeit „Zu
Husserls phänomenologischem Gottesbegriff" bis zu den 1975
erschienenen Bemerkungen zum Thema „Religion ohne Gott?"
Vf. bemerkt dazu im Vorwort, er lege seine Aufsätze aus dem
Gebiet der Religionsphilosophic „nach einigem Zögern, aber
nicht ungern" vor, und zwar unverändert, um zu zeigen, wie