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Ausgabe:

1978

Spalte:

688-689

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Wagner, Georg

Titel/Untertitel:

Der Ursprung der Chrysostomusliturgie 1978

Rezensent:

Döpmann, Hans-Dieter

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der Einzelne seine Gabe dem Priester anvertraut und sie durch
ihn in das Opfer einbeziehen läßt. Er wird dadurch Mitopfernder
, auch wenn seine Gabe nicht unmittelbar der Eucharislie-
feier dient. Er hat teil am Segen des Opfers, ohne daß er als
Glied einer Opfergemcinschaft in Erscheinung treten muß. Der
Priester nimmt seine Anliegen auf und macht sie zu seinen
eigenen. Priester und Volk treten damit in eine Beziehung, die
vom gegenseitigen Dienst bestimmt ist" (197). Mag dies auch
dem in der Ifochscholastik erreichten „idealen" Verständnis des
Meßopfers entsprechen, so zeigt Vf. doch auch, welche Kräfte
nicht selten außerkirchlichen Ursprungs dieses immer wieder
verdunkeln mußten. Mag z. B. das germanische Eigenkirchen-
recht in seiner positiven Bedeutung für die kirchliche Entwicklung
im Abendland als eine große Leistung des germanischen
Rechts gelten dürfen, so muß doch gemäß seinem symbolhaften
Denken, in dem ein Symbol zugleich rechtlich verpflichtende
Wirkung besitzt (vgl. den Streit um die Laieninvestilur), jeder
Gabe für die Kirche und den Priester eine rechtliche Verpflichtung
entsprechen. Man erwartet für seine Opfergaben nicht
mehr wie in der Frühzeit eine menschliche Maße überschreitende
Vergeltung Gottes und seinen ewigen Lohn. „In der erfahrbaren
Wirklichkeit will man .. . von Seiten der Kirche und
des Priesters Gebete und Messen als Gegengabe erhalten" (214).
Mit der Vorherrschaft des römischen Rechtes andererseits „setzt
ein Prozeß der Versachlichung und der kritisch nüchternen
Fragestellung ein. Was vorher durch persönliche Bindung und
die Kraft des Symbols ausreichend gesichert ist, wird nun vertraglich
festgelegt" (216). Damit beginnt eine Entwicklung, die
auch die Theologie zwingt, in der kirchlichen Lehre jene rechtlich
bedeutsam gewordenen Vorgänge, wie sie in Schenkungen
zwecks zu feiernder Messen vorlagen, klar zu erfassen. „So
wird nun wissenschaftlich zu bestimmen gesucht, was man sich
von der Messe erwartet. Die Lehre von den Früchten der Messe
wird ausgearbeitet..." (217). Vf. faßt das Ergebnis dieser Entwicklung
dahin zusammen: „Dem römischen Recht kommt insofern
eine besondere Bedeutung zu, als damit das zunächst
spontane Tun versachlicht und zu einer allgemein gebräuchlichen
Einrichtung ausgebaut wird. Erst durch die vertragliche
Festlegung und die Ijoslösung aus dem Bereich des Symbolhaften
und Persönlichen wird der Vorgang zu einem Rechtsgeschäft
, das mit der Zeit harte Kritik und entschiedene Ablehnung
hervorruft" (218). Ich greife gerade solche Ergebnisse
hier einmal heraus, um anzudeuten, mit welch wacher Kritik
VI. seinen Forschungsgegenstand behandelt. Eindrücklich ist
auch, wie er die zunehmende Häufung der Messen aus der
Schwerpunktverlagerung in der Eucharistielehre von der des
Augustinismus auf die realistische herleitet oder die Entstehung
der „Privatmessen" auf gallisch-fränkischem Boden durch die
Einwirkung des germanischen Rechts in seinem subjektiven,
privatrechtlichen Charakter erklärt. Den Rez. hat diese Arbeit
jedenfalls dadurch besonders angesprochen, wie durch die Fülle
der verschiedenartigen Aspekte, die hier zur Erhellung des
Forschungsgegenstandes wirksam gemacht werden, in dessen
Spiegel kirchengeschichtliche Epochen in ihrer Eigenart charakterisiert
werden. Es entspricht nicht dem Ziel dieser historischen
Untersuchung, Vorschläge zur Anpassung des Meßstipendiums
im Sinn des „Aggiornuinento" zu machen. Vf. deutet in seinem
kurzen Schlußabschnitt neben Kritischem und Weiterführendem
aber doch an, worin er „die eigentliche Tragweite des Stipendiums
" zu erkennen meint: „Durch die Gabe, die der Mensch
aus seinem Eigentum zur Eucharistie reicht, wirkt er mit an
der Heiligung der Welt, die Ziel jeder Eucharistiefeier ist. Dies
gilt zwar auch für den allgemeinen Opfergang, kommt aber in
der Form des Stipendiums bewußter zum Ausdruck" (271). Er
kann sich dafür auf W. Dürig berufen: „Indem nun Brot und
Wein auf den Altar gelegt und in das Opfer Christi hineingestellt
werden, endet alle Mühsal der Berufsarbeit in der
Herrlichkeit und im ewigen Leben des Leibes und Blutes
Christi . . . Dabei ist es von untergeordneter Bedeutung, ob der
Mensch die Früchte seiner Arbeit in Gestalt des Brotes und des
Weines oder in Gestalt eines Geldopfers hingibt" (27J).

Greifswald William Nagel

688

Wagner, Georg: Der Ursprung der Chrvsostomusliturgie. Mün-
sler/W.: Ascheudorff [1973]. VIII, 138 S. gr. 8° = Liturgie-
wisseuschaftliche Quellen und Forschungen, hrsg. v. O. Hei-
ining, 59. Kart. DM 28,-.

Der im .fahre 1971 vom Patriarchat Konstantiuopel in den
Hang eines Bischofs erhobene orthodoxe Theologe greift die
Frage auf, ob das gebräuchlichste Goltesdienstformular der aus
der byzantinischen Tradition hervorgegangenen Kirchen von
der Tradition zu Recht auf Johannes Chrysostomus zurückgeführt
wird. Während Patristik und liturgiegeschichtliche Forschung
dies verneinen, meint Vf., die bisherige Kritik an dieser
Tradition zeige „bei näherem Zusehen gewisse Mängel, die zu
einer Gegenkritik geradezu einladen" (S. IV).

in einer vor etwa hundert Jahren geschriebenen, nicht erhaltenen
Arbeit des Studenten der Kiewer Geistlichen Akademie
Nikolaj Slenkovskij: „Beweise für die Authentizität der Liturgie
des Johannes Chrysotornus, die sich in seinen Werken finden
", waren, einer Rezension in den Trudy Kievskoj Duchovnoj
Akademii 1874—75 zufolge, diesbezügliche Chrysostomus-Zitate
gesammelt worden. Wagner verweist ferner auf entsprechende
Chrysostomus-Zitate bei Brightman und in einer 1970 in Rom
erschienen Arbeit von F. van de Paverd, die ihm aber erst nach
Abschluß seines eigenen Manuskripts bekannt wurde.

Auch Wagner legt seiner Untersuchung sprachliche und theologische
Parallelen zugrunde. Dabei geht es ihm nicht darum,
„die byzantinische Tradition von einer .Autorschaft' des Johannes
Chrysostomus etwa um jeden Preis zu verteidigen"
(S. IV), sondern, in welchem Maße sich die Theologie des
Chrysostomus und deren spezifische sprachliche Gestalt im
Liturgieformular widerspiegeln. Freilich, noch fehlt eine kritische
Gesamtausgabe der Werke des Kirchenvaters. Außerdem
handelt es sich bei den meisten seiner Werke um Predigten,
die nur in der Nachschrift von Tachygraphen vorliegen. So
gilt Vf. eine „cumulative evidence" (S. V) als letztes Kriterium.

Das Fehlen von zeitgenössischen Zeugen für die Authentizität
des Formulars, mit dem sich der L Teil der Arbeit befaßt, hält
Vf. für weit weniger bedeutsam, als es auf den ersten Blick
erscheine. So nenne z. B. Kanon 32 des Trullanum von 692
nur den Herreubruder Jakobus und Basilius von Cäsarea als
Autoren schriftlich fixierter Liturgieformulare. Vf. erklärt es
damit, daß sich nur in den genannten Formularen Hinweise
auf eine Mischung des Weines fanden, die man damals zur
Polemik gegen den Brauch der Armenier, bei der Eucharistie
unvermischten Wein darzubringen, benötigte.

Teil II beschäftigt sich mit dem Zeugnis der Tradition. Vf.
ist davon überzeugt, daß die Uberlieferung des Chrysostomus-
Namens über bestimmten Gebeisgruppen in den ältesten Handschriften
auf Spuren echter geschichtlicher Uberlieferung hinweist
. So versucht er. Spuren des justinianischen Zeitalters in
den byzantinischen liturgieformularen nachzugehen. Wagner
meint, daß die liturgischen Gebete „nahezu unverändert aus
der Zeit der großen Kirchenväter weiterüberliefert'' (S. 41)
worden seien. Zum Erweise dieser Meinung bemüht sich Vf.
im III. Teil, mit Hilfe von Ergebnissen der vergleichenden Liturgiewissenschaft
über die justinianische Zeit zurückzugreifen.
Dem dient z. B. ein Vergleich mit der ostsyrischen Anaphora
des Nestorius. Im Gegensatz zu Anton Baumstark, der die syrische
auf eine griechische .Nestorius-Anaphora zurückführte,
hält es Wagner für möglich, daß, weil sich in Konstantinopel
kein authentisches Nestorius-Formular finden ließ, aus den dort
gebräuchlichen Anaphoren des Basilius und Chrysostomus unter
Zuhilfenahme nestorianischer Gedanken ein syrisches Formular
geschaffen wurde, von dem man annahm, „so etwa müsse wohl
Nestorius als Bischof von Konstantinopel das Eucharistiegebet
gesprochen haben" (S. 66). Aus einigen verwandten Passagen
schließt Vf., daß der traditionelle Text der Chrysostomus-
Anaphora etwa hundert Jahre nach dem Tod des Kirchenvaters
in seinen wesentlichen Zügen vorhanden gewesen sein
müsse.

Also bleibt noch zu fragen, ob sich die Anaphora wirklich
auf Chrysostomus zurückführen läßt. Dem dient ein detaillierter
Vergleich mit Zitaten aus den Werken des Kirchenvaters

Theologische Lileralurzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 9