Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1978

Spalte:

680-681

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Blum, Georg Günter

Titel/Untertitel:

Offenbarung und Überlieferung 1978

Rezensent:

Petzoldt, Martin

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

079

Theologische Literalurzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 9

ürfO

Dabei muß diese Entscheidung Gott nicht einmal ausdrücklich
thematisieren. R. behauptet, daß auch Atheisten es immer mit
Gott EU tun haben. Selbst in den außerchristlichen Religionen
ist Christus durch seineu Geist „gegenwärtig und wirksam"
('175). Ob Atheisten wie Hindus, Ruddhisten wie Moslems sielt
auf diese Weise wirklich verstanden fühlen? Oder eher auf
falsche Weise vereinnahmt, da sie als Gesprächspartner In
ihrem Seibslverständtiis nicht ernst genommen werden? —

„Pneuma bedeutet für uns in dem streng theologischen Sinn
der übernatürlich erhebenden und vergöttlichenden Gnade eine
wirkliche Selbst mitteilung Gottes in sich selbst." (58) Hier
wird deutlich — was schon zu den Ränden IV—X der Schriften
R.s ausgeführt wurde (vgl. 1'hLZ 100, 1975 Sp. 218-221) -,
daß R. das „Grundanliegen" der katholischen Kirche und ihrer
Dogmatik nicht antastet: die Gnade hebt den Menschen über
seine Natur hinaus, sie führt ihn weiter zu einer gewissen
Vergottung. Natur und Cbernatur, Geschichte und Transzendenz
konstituieren erst zusammen die Wirklichkeit. Die „größere
personale Tiefe des mystischen Aktes bringt auch eine
größere Reflexivität der an sich natürlichen, aber durch die
Gnade erhobenen Transzendenzerfahrung mit sich" (434f.). Der
Mensch vollendet sich in seinem Wesen offensichtlich erst,
wenn er als Christ glaubt; auf einer höheren Stufe noch lebt
der, der intensivere Erfahrungen seines Glaubens machen kann.
Eine Hierarchie baut sich auf, nicht nur von Wahrheiten, sondern
auch von Menschen, wobei die Wahrheiten in der einen
ihren Ursprung haben, derer Menschen ihres geglückten Lebens
in Jesus Christus ansichtig werden können. Freilich handelt es
sich hierbei um theologische Sätze, die sich empirisch nicht
verifizieren lassen. Obwohl R. die Geschichtlichkeit der Offenbarung
und des Offenbaren» anerkannt, behauptet er doch
eine Dbernalur, ein Jenseits der Erfahrung, das der diesseitigen
überlegen sein soll.

Begründet ist diese Auffassung in der Anthropologie. Leib
und Seele sind R. zufolge zu unterscheiden, wenn auch „eine
existentielle Diastase zwischen Leib und Seele sogar unmöglich
" (420) ist. Dennoch ist an der Unterscheidung unbedingt
festzuhalten, da „der Mensch als Subjekt unbegrenzter Trans-
zendentalität und entsprechender Freiheit nicht einfach in dem
Sinn materiell sein kann, wie uns sonst Materialität begegnet"
(462). Wenn auch das „konkret Antreffbare immer das schon
Geeinte" (423) ist, muß christliche Anthropologie doch dualistisch
sein. Im Wesen ist zwar der Mensch räumlich und
zeitlich konstituiert „bis in sein Heil hinein" (398); gleichzeitig
kann er aber „über die gnadenhaft erhobene Transzenden-
talität in Annahme oder Protest" (43f.) frei verfügen. Binare
Anthropologie und analogia entis behalten für R. also ihr
Reell t, wenn sie auch etwas anders interpretiert werden.

Glaube ist demgemäß „das eine ursprüngliche Ganze von
Rationalität und Freiheit" (107), wobei Freiheit als „das eigentlichste
Wesen von Emotionalität überhaupt" (90) verstanden
wird. An dieser Stelle hätte man gerne noch mehr gehört über
die emotionale Seite christlichen Glaubens und kirchlichen
Lebens. So bleibt das Gesagte zu wenig greifbar, zu abstrakt.

Der christliche Glaube ist aufgehoben in der Lehre der
Kirche. Dennoch kann zwischen beiden „eine gewisse Diastase,
Differenz und Spannung" (25) konstatiert werden, die sich
nicht aufheben läßt. Denn die Kirche in ihrer Gestalt ist sündig
und kann auch irren, sie ist „Semper reformanda" (37). Insofern
kann R. auch den Fragen an die Unfehlbarkeit des Papstes
einen gewissen Raum und ein gewisses Recht einräumen. Vor
allem kann er den römischen Behörden des Vatikans vorhalten,
sich nicht genügend auf die Gesprächssituation einzulassen.
Dennoch bleibt die Kirche die „eschatologisch unüberwindliche
Glaubensgemeinschaft" (488). Die konfessionellen Unterschiede
zwischen den Kirchen haben heute die Chance, bereinigt zu
werden. Doch ist die ökumenische Frage heute in erster Linie
„eine Frage an die Träger des Amtes in den Kirchen" (567).
Da die geschichtliche Kontinuität der Kirche am deutlichsten
in der katholischen gegeben ist, werden „alle positiven Anbogen
der Kirchen der Reformation auch eine selbstverständliche
Heimat in der katholischen Kirche" (545) der Zukunft haben

können. Mit anderen Worten: wenn auch zwischen Wesen und
Gestalt der Kirche unterschieden werden muß, sind doch diu
anderen Kirchen aufgerufen, sich der katholischen anzuschließen
. Der Wandel im Kirchenverständnis bleibt nur graduell
OH dein traditionellen verschieden.

Immerhin wünscht R. Fraktionen in der Kirche, da ihm
eine kritische Haltung zur Kirche auch für Katholiken selbstverständlich
erscheint. In dem Gmgang der verschiedenen
Typen und Richtungen in der Kirche miteinander könnte die
Kirche „auch für die Profangcscllschaft vorbildlich werden"
(521). -

Karl 11. Neufeld hat seine Bearbeitung weithin so angelegt,
daß er auf parallele oder weiterführende Stellen im weitverzweigten
Schrifttum R.s verweist. Ein Register (609ff.) erleichtert
den Umgang mit dem umfänglichen Werk.

Kiel/Stutttgart Werner Siiiulz/Haoi-Georg Purt

Blum, Georg Günter: Offenbarung und Überlieferung. Die dogmatische
Konstitution Dei Verbum des II. Vaticanums im
Lichte altkirchlicher und moderner Theologie. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht [1971]. 234 S. gr. 8° = Forschungen
zur systematischen und ökumenischen Theologie, hrsg.
v. E. Schlink, 28. DM 34,-.

Zehn Jahre nach der Beendigung des II. Vaticanum konnte
festgestellt werden, daß „die wirkliche Rezeption des Konzils
noch gar nicht begonnen hat'- (J. Ralzinger in: Zehn Jahre
Vaticanum II. Hrsg. v. A. Bauch u. a. Regensburg 1976 S. 49).
Das vorhegende Buch, das ohne Verschulden des Rez. erst
jetzt zur Anzeige kommt, leistete, gemessen an dem genannten
Zitat, schon relativ frühzeitig einen Beitrag, der im besten Sinn
als zur Rezeption des Konzils gehörig betrachtet werden kann.
Das Thema „Offenbarung und Überlieferung" läßt auf den
ersten Blick auf eine kontroverstheologische Behandlung der
entsprechenden Probleme reformatorischcr und gegen reformatorischer
Theologie schließen. Daß aber, ohne den genannten
Zeitraum und seine Fragen theologisch auszusparen, eine „Begegnung
zwischen der Vätertheologie und der dogmatischen
Konstitution über die göttliche Offenbarung" vorgelegt wird,
die „an bestimmten Schwerpunkten auch eine kritische Auseinandersetzung
mit modernen theologischen Konzeptionen zum
Thema" führt und damit „die Aktualität patristischcr Arbeit
veranschaulichen" will (7), macht den eigentlichen Reiz der
Arbeit aus. Spannung erweckt sodann die Bestimmung der
„Methode und Intention der Interpretation" (Kap. I): Weder
eine historisch-genetische Erklärung von Dei Verbum, noch
ihre Auslegung als vorläufig letzte Stufe einer langen vorausgehenden
theologie- und dogmengeschichtlichen Entwicklung,
noch ihre Konfrontation mit der reformatorischen Position ist
tauglich, außer der Beibringung einzelner wohl wichtiger Gesichtspunkte
, „in befriedigender Weise auf den ökumenischen
Neuansatz und Aufbruch des 11. Vaticanums eingehen" zu können
(13). Die Methode muß eine ..ökumenisch orientierte(n) und
auf Zukunft gerichtelc(n) Hermeneutik" sein (ebd.), die in der
Lage ist, „die dogmatische Konstitution Dei Verbum auf ihre
ökumenische Intention und Tragweite hin zu untersuchen" (16),
d. h. die „bedrohliche(n) Verengung und Verkürzung der gesamten
Pioblemstellung" aufzubrechen, zu der es „in der westlichen
Geschichte des Traditionsverständnisses" gekommen ist
(15).

So vorbereitet, erfolgt dann die Behandlung des Offenbarungsverständnisses
(Kap. II) des II. Vaticanum und bei Irenaus,
der insgesamt deshalb zum Vergleich herangezogen wird, um
„diejenigen Züge des Offenbarungsverständnisses zu erfassen,
die schon eine bestimmte Konzeption der Überlieferung beinhalten
" (37). Dem schließen sich in einem umfänglicheren Kapitel
III Überlegungen zur Konzeption der Uberiieferung an.
Einsetzend beim Traditionsbegriff von Dei Verbum (ganzheitlich
-dynamisch, personhaft-ganzheitlieh, 49), wird die theolo-