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Ausgabe:

1978

Spalte:

45-46

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Aspects de l'anglicanisme 1978

Rezensent:

Gassmann, Günther

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 1

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gischc Hermeneutik der Konzilsaussagen eine grundlegende
Bedeutung. Denn - um bei dem „Fall Lefebvre" zu bleiben -
gerade diese Entwicklung zu verneinen und die Richtung umzukehren
ist das Anliegen derjenigen Kräfte, die die Dynamik
der Neuansätze nicht einsehen wollen. Man kann dem nur zustimmen
, daß in der heutigen Krise um „den Geist des Konzils"
das nicht vergessen werden darf, „was im Wechsel der Zeiten
das wahrhaft Tragende ist" (S.52). Dies wird m.W. kaum von
denjenigen bestritten, die sich z. B. um die Zeitschrift Con-
cilium versammelt haben. Wenn man aber für das wahrhaft
Tragende eintreten will, dann wird dies kaum durch die Rede
vom notwendigen Kirchenbann, sondern gerade in der Absage
an die exeommunicatio und in der Freiheit theologischer
Deutungsmöglichkeiten geschehen (gegen Mörsdorf, S.66f.).
Kard. Willcbrands hat mit Recht den communio-Begriff als
„eine Perspektive des Ökumcnismus von Morgen" dargestellt
(S.92). Denn in der communio wird echte Konziliarität und
Kollegialität (S.86 ff.) ermöglicht. Welche Kcphale-Funktion
innerhalb dieser communio möglich ist, bleibt weiterhin eine
Frage des Dialogs unter Kirchen, die noch keine vollkommene
communio miteinander erreicht haben. (Druckfehler: das
Ärgerlichste, was in einem ökumenischen Beitrag dem Leser
begegnen kann, ist der Druckfehler, der vom „Ökonomischen"
Rat der Kirchen spricht, siehe S.86 !)

Strasbourg Vilmos Vajta

Aspects de l'Anglicanisme. Colloquc de Strasbourg 14-16 juin
1972. Paris: Presses Universitaircs de France 1974. 245 S.
8" = Bibliotheque des Centres cTEtudes Supericurcs Specia-
lises. Travaux du Centre cTEtudes Superieures specialise
cTHistoire des Religions de Strasbourg.

Der vorliegende Band enthält die Referate, die während
eines Colloquiums anglikanischer und römisch-katholischer
Theologen vom 14. bis 16. Juni 1972 in Strasburg gehalten
wurden. Die in englischer oder französischer Sprache geschriebenen
Beiträge befassen sich zumeist mit spezifischen Aspekten
der anglikanischen Tradition oder einzelnen Persönlichkeiten.
Sic richten sich somit stärker an einen Leserkreis, der bereits
über eine gewisse Kenntnis des Anglikanismus verfügt und an
deren Vertiefung und Erweiterung interessiert ist. Die zwölf
sehr interessanten Beiträge können hier nur kurz vorgestellt
werden.

Unter dem Thema „Some Late Medicval Ingrcdients in the
Rcformed English Church" zeigt G. R. Dunstan anhand weniger
bekannter Beispiele auf, wie die Anglikanische Kirche über die
Reformation hinweg — neben der Liturgie, dem Bischofsamt,
etc. — Elemente der vorreformatorischen Kirche bewahrt hat.
Er entnimmt seine Beispiele vornehmlich dem Bereich bischöflicher
Jurisdiktion, so in Fragen der öffentlichen Moral und
Sitte, des Verständnisses des bischöflichen „Haushalts" als
einer geistlichen und gottesdienstlichen Einheit und des Ehc-
rechts. Eric Kemp beschreibt in „The Organization of the
English Episcopate from the Reformation to the Twenticth
Century" das Ringen um eine angemessene Gliederung der
englischen Bistümer und der damit verbundenen Frage einer
zureichenden Verwirklichung der dem Bischofsamt eigenen
Pastoralen und liturgischen Aufgaben, Hierzu gehören sowohl
der in die staatskirchlichen Verhältnisse eingebundene schwierige
Prozeß der Teilung ursprünglich übermäßig großer
Diözesen und die Anpassung der Diözesen an die veränderten
soziographischen Verhältnisse als auch die — auch theologisch
nicht irrelevante — Frage der Suffragan- bzw. Weihbischöfe.

Der Gastgeber des Straßburger Colloquiums, Marcel Simon,
stellt in seinem Beitrag „Isaac Casaubon, Fra Paolo Sarpi et
l'Eglise cTAnglcterre" zwei bedeutende Gestalten aus der Zeit
des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts in
ihrer Beziehung zur Anglikanischen Kirche dar. Dies läßt sich
zweifellos deutlicher an der Gestalt des reformierten Humanisten
Casaubon zeigen, der in der Anglikanischen Kirche die
ihm gemäße geistliche Heimat zwischen einem rigorosen Kalvinismus
und einem abergläubischen Romanismus fand. Dagegen
gelangte der venetianischc Hoftheologe und exkommunizierte
Priester Sarpi trotz seiner Sympathie für das englische
Modell von Staat und Kirche aufgrund seiner antihierarchischen
Einstellung zu einer weitgehenden Übereinstimmung mit der
reformierten Tradition. Mit „Forme et pratique de la meditation
chez Joseph Hall" stellt Claude Lacassagne Bischof Hall als
eine die anglikanische Spiritualität prägende Gestalt des
17. Jahrhunderts vor. Motive und theologische Überzeugungen
der im 18. Jahrhundert aufkommenden cvangclikalcn Bewegung
innerhalb der Kirche von England und das Verhältnis zu
den „Nonkonformistcn" werden in einer höchst instruktiven
Weise von J. D. Walsh in „The Anglican Evangelicals in the
Eightecnth Century" dargestellt. Sachlich verwandt hierzu ist
Claude-Jean Bertrands These „Le Mcthodisme, .province'
meconnue de la Communion anglicane?", mit der er, wie der
Titel bereits andeutet, dem Methodismus in seinen Ursprüngen
und charakteristischen Merkmalen als ein dem Anglikanismus
gleichsam inhärentes und lediglich durch komplexe historische
Umstände in die Separation getriebenes Gebilde beschreibt und
beurteilt.

„The Development of Anglican Worship" von C. W. Dugmorc
ist sicher der für einen breiteren Leserkreis informativste Beitrag
des Bandes zu einem mehr allgemeinen Thema. Die eigenständige
Formung der anglikanischen Liturgie aus vorreformatorischen
, lutherischen und reformierten Elementen wird unter
Heranziehung der Quellen und neuerer Studien entfaltet. Dem
schließt sich ein Überblick über die Entwicklung der gottesdienstlichen
Sitten und Formen an. Im Schlußteil wird kurz
über die gegenwärtige Revision der überkommenen agendarischen
Formulare in der Kirche von England berichtet. Ein
für anglikanisches Denken und Leben vielleicht spezifisches
Thema der sozialen Folgerungen aus einer Inkarnations-
theologic wird von A. M. Allchin am Beispiel zweier „christlicher
Sozialisten" des 19. Jahrhunderts behandelt: „Social and
Sacramenlal Implications of the Doctrine of the Incarnation
in the Thougt of Thomas Hancock and Stewart Headlam." In
seinem Beitrag „Le Reverend William Tuckwell ou les Souvenirs
cTun socialistc anti-tractarien" entfaltet Maurice Nedoncellc
weniger, wie der Titel zunächst vermuten ließe, die sozialistische
und anti-traktarianische Haltung dieses anglikanischen
Theologen des 19. Jahrhunderts, sondern zieht vielmehr dessen
Erinnerungen heran, um von hier aus weniger bekannte Seiten
der Persönlichkeit führender Traktarianer (bes. Newman und
Puscy) zu beleuchten.

Ein grundlegender und für Nicht-Engländer immer wieder
verwirrender Aspekt der Kirche von England wird im Aufsatz
von Owen Chadwick über „The Idea of a National Church:
Gladstone and Hcnson" verdeutlicht. Kirche — Staat — Nation:
das sind die drei Elemente, in deren Rahmen die Kirche von
England ihren Standort zu bestimmen hatte und auch heute,
unter veränderten Verhältnissen, neu zu finden sucht. Solche
Standortbestimmungen werden von Chadwick am Beispiel der
Wandlungen in der Konzeption einer National- oder Staatskirche
bei Gladstone, dem bedeutenden Staatsmann in der
Mitte des 19. Jahrhunderts, und Henson, einer der profiliertesten
bischöflichen Gestalten in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts
, dargelegt und interpretiert. Mit einer kurzen Darstellung
der Ausbildung eigener synodaler Formen der Kirche
von England zieht er die Linien bis in die Gegenwart aus.
Anhand der soziologischen Untersuchungen (Karten, Statistiken
, Tabellen und deren Auswertung) des anglikanischen Gemeindepfarrers
Abraham Humc (1814—1884) stellt J.-A. Lcsourd
einen Pionier der Religionssoziologie vor: „Un pretre anglican,
pionnicr de la sociologie rcligicuse". Im abschließenden Beitrag
des Bandes von Raoul Mortlcy über „The Anglican Church
in Australia" werden die Entstehungsgeschichte dieser anglika
nischen Provinz, ihre allmähliche Ablösung von der Mutterkirche
und eigenständige Strukturicrung sowie die in ihr enthaltenen
unterschiedlichen theologischen und kirchlichen
Strömungen dargelegt.

Fuhrberg/Hannover Günther Gaßmann