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Ausgabe:

1978

Spalte:

672

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Congar, Yves

Titel/Untertitel:

Der Fall Lefebvre 1978

Rezensent:

Kirchner, Hubert

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Seite 1

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I hcologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 9

672

wegische Ausg. erschien 1953, 2. revidierte Ausg. 1961, englische
Ausg. 1959, revidierte engl. Ausg. 1961 (Chrislcndum:
The Christi an Churches. Their Doctrines, Constitutional Form»
and Ways of Worship), chinesische Ausg. 1966, und 1976 eine
3., stark umgearbeitete norwegische Ausg., und eine dänische
Ausg.

Der Konfessionskundler hat heute gute Hilfsmittel für dus
Studium der Konfessionskunde. Zwar könnte man sich eine
neue, erweiterte Ausg. von Philip Schaff, The Creeds of Christen-
doin wünschen. Aber vorläufig muß man das Material, das man
bei Schaff vermißt, anderswo suchen, z.B. in der noch nicht
vollständigen Heihe Kirchen der Welt, in Sammelhänden wie
W. L. Luinpkin, Baptist Confessions of Faith, in zahlreichen
Monographien über die einzelnen Denominationen und in ökumenischen
Dokumenten. Der Vf. hat alle diese Hilfsmittel he-
nülzt. Die systematisch geordnete und sehr gut äjour geführte
Bibliographie umfaßt 22 S. für den Vf. ist es nicht genug gewesen
, wie man es früher getan hat, bloß die Lehre auf
Grundlage der Bekenntnisschriften darzustellen. Hier sind geschichtliche
Voraussetzungen und Ursprung, Lehre und konfessionelle
Eigenart, Ethos, Organisation und gottesdienstliches
Leben die Bestandteile der Darstellung aller hier behandelten
Kirchen und Glaubensgemeinschaften. Es geht also hier nicht
nur um Symbolik, sondern um eine ausführlichere und inklusive
Konfessionskunde.

Die Methode ist historisch-kritisch und deskriptiv. Das Ziel
ist, daß der Angehörige der behandelten Denomination, wenn
er die Darstellung liest, sie als korrekt anerkennen muß, wenn
er auch selbst nicht ganz so geschrieben haben würde. Ich finde,
daß es dem Vf. gelungen ist, eine außerordentlich sachliche
Konfessionskunde zu schreiben, obschon der Vf. zugibt, daß
die unbedingte Objektivität eine Illusion ist. Die Position des
Vfs. ist die offene, ökumenisch-lutherische mit einer Vorliebe
für gute Beziehungen zu der römisch-katholischen, der orthodoxen
und der anglikanischen Kirche

Mit Rücksicht auf Objektivität, sachgemäße Proportionen,
nüchternes Urleil und zuverlässige Information ist die Konfessionskunde
von E. M., meines Erachtens, das beste Handbuch
für Konfessionskunde, das bisher erschienen ist. (Ein ähnliches
Werturteil habe ich in einer Besprechung noch niemals geschrieben
.)

In der letzten Ausg. von E. M.s Konfessionskunde gibt es
eine lange Heihe von Hinzufügungen und Verbesserungen. Das
Kapitel über die römisch-katholische Kirche ist auf der Grundlage
der neuesten Dokumente und Monographien völlig umgearbeitet
. Die spannungsvolle Eigenart des postkonziliaren
Katholizismus ist klar gezeichnet und die liturgischen Veränderungen
sind instruktiv beschrieben.

Der Vf. drückt sich sehr klar aus und kann deshalb neben
der Beschreibung von 20 Konfessionsfamilien auch Übersichten
zu Unitarismus, Christian Science, Zeugen Jchovas und Mormonen
darbieten und darüberlünaus wertvolle Reflexionen über
die Grenzen der Christenheit und die Zersplitterung als theologisches
Problem geben. Es gibt auch ein Kapitel über christliche
Einheitsbestrebungen und ein Kapitel mit der Überschrift
,.IJnionskirchcn" (darunter auch deutsche unierte Kirchen).

Einige detailkritische Bemerkungen sollen kurz erwähnt werden
: Die Sowjetunion wird stets Rußland genannt. Die besondere
russische Frömmigkeit mit Starets usw. könnte ausdrücklicher
genannt werden. Die Anhänger der Churches of
Christ (The Christian Church) werden kaum mehr als Camp-
belliten bezeichnet, sondern regelmäßig als Disciples of Christ.
Schließlich würde ich auch etwa eine nuanciertere Behandlung
der römisch-katholischen Lösung des Gewißheitsproblems gesehen
haben, mit Rücksicht auch auf pastoraltheologische
Aspekte. Sonst: das neueste Handbuch von E. M. ist bisher
unübertroffen, sogar wenn mau an die folgenden Verfasser
denkt: Konrad Algermissen (II. Fries, W. de Vries, E. Iserloh,
K. Keimal, L. Klein), H. Mulert (E. Schott). J. L. Neve, Peter
Meinhold, F. E. Mayer (Vereinigle Staaten) und Kurt Hutten.

Cungar, Yves: Der Fall Lcfebvre. Schisma in der Kirehe? Mit
einer Einführung von K. Lehmann. Obers, v. E. Darlap.
Freiburg-Basel-Wien: Herder [1977]. 144 S. 8°. Kart.
DM 12,80.

Seit dem 11. Vatikanischen Konzil gibt es wohl kaum einen
Vorgang in der röin.-k.ath. Kirche, welcher derart die Aufmerksamkeit
der Öffentlichkeit erregt hat, wie die Ereignisse um
den Alt-Erzbischof Marcel Lefebvre und sein Streit mit der
Kirche um eben dieses II. Vatikanische Konzil und den von
ihm eingeleiteten neuen Weg der Kirche, worin nach Meinung
de* Erzbischofs die Kirche ihre katholische Identität preiszugeben
sich anschickt. In den Ergebnissen des Konzils sei der
längst verurteilte Modernismus auf seinem langen geheimen
„Marsch durch die Institutionen" offenbar an sein Ziel der
Unterwanderung der ganzen Kirche gelangt, und damit hätte
die französische Revolution von 1789 mit ihren drei die Kirche
deslruierenden Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
ihren verspäteten Sieg auch in der katholischen Kirche
errungen. Von einer solchen Position aus, die sich aus theologischen
und politischen Optionen in gleicher Weise nährt, meint
Ijefebvrc, die Kirche gegen sich selber verteidigen, im Namen
des wahren Katholizismus die gegenwärtige Kirche verwerfen
und um des Gehorsams gegenüber dem Papsttum und der Autorität
überhaupt willen dein verstorbenen Papst Paul VI.
den Gehorsam verweigern zu müssen. Seinen kräftigsten Ausdruck
findet dieses Streben in der Errichtung eines eigenen
Pricstersemiuars in Ecöne (Schweiz), in der Stiftung einer
rriesterbruderschaft unter dem Namen Pius X., eben des
Papstes, der den Modernismus bekämpfte, in der demonstrativen
Feier von Messen im vorkonziliaren Ritus sowie endlich
in der Bildung kleiner Zellen traditionalislisch eingestellter
Priester und Gläubiger ohne Bindung an den jeweiligen Ortsbischof
, um auf diese Weise gleichsam von innen her alles zu
tun, um das Rad der Entwicklung der Kirche vielleicht doch
noJi zurückzudrehen. Alle Versuche zu einer gütlichen Einigung,
Appelle, Gespräche, selbst Audienzen beim Papst haben den
Erzbischof bislang nicht zum Einlenken zu bewegen vermocht.
Inzwischen ist er a divinis suspendiert, und so bedarf es tatsächlich
nur noch eines kleinen Schrittes bis zum vollendeten
Schisma.

Mit dem vorliegenden Buch versucht der französische Dominikaner
Y. Congar, als einer der .geistigen Wegbereiter und
Väter' des 11. Vatikanischen Konzils, durch sein Vertrautsein
mit der Tradition wie durch seine unmittelbare Kenntnis der
französischen Situation vor anderen für diese Aufgabe geeignet,
die Hinlergründe und Zusammenhänge dieser für die Kirche
so schwerwiegenden Problematik zu durchleuchten und ihre
Konsequenzen aufzuweisen. Angesichts des drohenden Schismas
gellt es ihm nicht um Polemik, sondern um Klärung und Verstehen
, vor allem für die Gläubigen, die durch diese Entwicklung
in ihrem Glauben und ihrer Stellung zur Kirche verunsichert
worden sind. Es geht um Information, in erster Linie
über die Tragweite der Konzilsbeschlüsse, die vielleicht — und
da liegt offenbar der Anknüpfungspunkt für Lefebvre und
seine konzilsfeiudliche Polemik — für manche etwas zu
unvorbereitet durchgeführt wurden, nicht zuletzt aber auch
über die Haltlosigkeit der theologischen Positionen Lefebvres,
wobei eine Fülle im Deutschen bislang kaum nachlesbarer
Äußerungen des Alt-Erzbischofs mitgeteilt werden. Es
geht um „einen Beitrag zur Versachlichung der Auseinandersetzung
und zur Rettung des kostbaren Gutes der Einheil
", so K. Lehmanu in seiner Einführung zur deutschen Ausgabe
des Buches (15). Diesem Ziel dürften vor allem auch die
beigegebenen Dokumente, hier teilweise zum ersten Male veröffentlicht
, dienen. Inzwischen freilich ist die Entwicklung bereits
wieder weiter fortgeschritten. Eine Wendung zum Besseren
zeichnet sich noch nicht ab. Es bleibt zu hoffen, daß das Buch
mit dieser Intention im weiteren Verlauf noch seinen Beitrag
zu leisten vermag und nicht allzu schnell zu einem nur noch
historischen Dokument wird insofern, daß der Riß nicht mehr
einzudämmen war.

Oslo

Nils E. Bloch-Hoell

Schöneiche b. Berlin

Hubert Kirchner