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Ausgabe:

1978

Spalte:

663

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Rott, Jean

Titel/Untertitel:

Correspondance de Martin Bucer 1978

Rezensent:

Pollet, Jacques V.

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663

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

[Bucer, Martin :j Correspondance de Martin Bucer. Liste
alphabelique des eorrespondants par J. Rott. Strasbourg:
Faeulte de Theologie Prolcstante de Hjuiversite 1977. IV,
100 S., 1 Abb. 8° = Association des Publieations de la
Faeulte de Theologie Protestant« de rUniversite des Sciences
Humaines de Strasbourg. Bulletin No 1.

Die hervorragende Persönlichkeit des Straßburger Reformators
Martin Bucer (1491—1551) und seine rastlose Tätigkeit
haben von jeher Theologen und Geschichtsforscher in ihren
Bann gezogen. Zum besseren Verständnis seiner Geisteswelt und
seines Wirkens tragen in fortschreitendem Maß die seit einigen
Jahren erscheinenden Bände seiner „Deutschen Schriften' und
seiner „Opera Latina" bei, zu denen sich jetzt der druckfertige
erste Band seiner ausgedehnten Korrespondenz gesellen wird.

Um schon vor dessen Erscheinen den Gelehrten einen Einblick
in die Weite und Vielseitigkeit dieses Briefwechsels zu
gewähren, wird nun das alphabetische Verzeichnis der Korrespondenten
vorgelegt, in dem für jeden dieser die von Bucer an
ihn gerichteten, bzw. die von ihm an Bucer abgeschickten Briefe
in chronologischer Reihenfolge angegeben sind. Von insgesamt
2503 bis jetzt festgestellten Schreiben aus den Jahren 1511/17
bis 1551 und 456 Adressaten sind 1618 Briefe von Bucer an
367 Einzelpersonen und 89 Körperschaften gerichtet, während
885 Schreiben ihm von 226 Einzelpersonen und 18 Körperschaften
geschickt wurden. Das bedeutet, daß die Zahl der von
Bucer verfaßten und auf uns gekommenen Briefe die Zahl
der von ihm empfangenen Briefe weit überwiegt, was nicht
ohne Verluste vor sich gegangen sein kann. So fehlen z. B. die
Briefe von Ambr. Blaurer an Bucer seit 1535 vollständig, während
die Korrespondenz von Margaretha Blaurer mit Bucer
restlos verloren zu sein scheint.

Wenn auch diese Abhandlung nur ein Schema darstellt, läßt
sie den Reichtum dieses vielseitigen Briefwechsels einigermaßen
ahnen und in uns den Wunsch erwachen, daß der 1. Band dieser
Korrespondenz, dessen Manuskript druckfertig ist, bald erscheinen
möge. Von Dr. Hans-Georg Rott, dem besten Kenner
der Elsäßischen Geschichte der Reformationszeit, darf man erwarten
, daß diese mit umfassendem Kommentar versehene Edition
, die die Frucht einer vieljährigen Arbeit ist, alle gleichartigen
Publikationen überbieten und epochemachend sein wird.

Pari» J. V. Poltet

Sider, Ronald J.: Andreas Bodenstein von Karlstadl. TTie
Development of Iiis Thought 1517-1525. Leiden: Brill 1974.
XII, 318 S. gr. 8° = Studies in Medieval and Reformation
Thought, ed. by H. A. Oberman, XI. Lw. hfl. 80,-.

In jüngster Zeit ist Karlstadt (= K.) in zunehmendem Maße
zum Dissertationsthema geworden. Im Druck erschienen die
Arbeiten von F. Kriechbaum und U. Bubenheimer. Auch die
vorliegende Arbeit ist aus einer von B. H. Bainton angeregten
und von J. J. Pelikan betreuten Dissertation hervorgegangen.
Sie stellt sich die Aufgabe, K.s theologische Entwicklung in den
für die Reformation wichtigen Jahren anhand der Quellen und
in ständiger Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur darzustellen
. Das ist seit H. Barges umstrittenem opus magnum
von 1905 in diesem Umfang noch nicht wieder geschehen.
Nach einem kurzen Uberblick über die Forschungsgeschichte
und K.s Frühzeit, kennzeichnet Sider (= S.) K.s erste reformatorische
Phase traditionell als „Adoption of an Augustinian
Theology (1517—1518)". Nach einer Uberprüfung der wichtigsten
Lehrpunkte (auf einer umfassenderen Quellengrundlage
als das bisher in der Regel der Fall war), kann er feststellen
, K.s „coneeplion was genuinely Augustinian" (22). Beim
Wechsel von der Scholastik zu Augustin war Staupitz nach
K.s eigenem Zeugnis eine große Hilfe. Bei aller Ähnlichkeit

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existieren im Auguslinianisinus beider gravierende Unterschiede
(im Gegensatz zu Staupitz eine geringere christologische
Orientierung der Gnadenlehre, Ablehnung einer menschlichen
Disposition für die Gnade und Neigung zur I^ehre von der
doppelten Prädestination). Der Staupitzeinfluß auf K. darf
demnach nicht überschätzt werden; „the most important factor
shaping K.s new Augustinian theology was his own (and
Euther's) direct study of the bishop of Hippo" (44). Die 2. reformatorische
Phase K.s (von Mitte 1518—1519) stellt S. unter
die Stichworte „hesitation, transition and debate". Unschlüssig
war sich K. zunächst über das Verhältnis von biblischer und
kirchlicher Autorität. Eine ähnliche Harmonisierungstendenz
findet sich vorerst auch in K.s Stellung zum Ablaß. Der wachsende
Einfluß Luthers zeigt sich im Sünden- (Wirksamkeit der
Concupiscenz nach der Taufe), im forensischen Rechlfertigungs-
(z. Z. der Leipziger Disputation) und im Bußverständnis. Als
regelrechtes Unglück für die Wiltenberger kann auch K.s Anteil
an der Leipziger Disputation nicht bezeichnet werden, hatte
er doch sogar, wenn auch spät und nicht konsequent genug,
einen Widerspruch in Ecks Äußerungen zur Willensfreiheit
aufgedeckt (78. 80f.). Ecks Unterscheidung zwischen einer theologischen
Fachdebatte und der öffentlichen Verkündigung an
das Volk forderte K.s starkes Engagement in der Laienfrage
mit heraus. Die nächste Entwicklungsphase, K.s Bruch mit
Rom (1520), scheint durch die Leipziger Disputation eingeleitet
worden zu sein. Mit der Übernahme des Sola-scriptura-Prin-
zips wurde der Bruch theoretisch und mit der schriftlichen
Apellation an ein künftiges Konzil (19. Oktober 1520) wurde
er mich praktisch vollzogen. Die darauffolgende Phase nennt
S. ..K.s malure Wittenberg theology (1520—1521)". Er widerspricht
Barges Tendenz, bereits für diese Phase einen grundlegenden
Unterschied zwischen Luther und K. herauszustellen.
Die Abweichungen und eigenen Akzentsetzungen K.s (normativer
Charakter des AT, entscheidende Bedeutung der inneren
spirituellen Berufung für den Prediger, Verwerfung der Elevatum
und der Ohrenbeichte, Empfang des Abendmahls in einer
Gestalt als Sünde), ändern nichts an dem Ergebnis der Quel-
leiuintersuchung: „. . . Luther and K. were in fundamental
llieological agreement through the period of Luther's sojourn
at the Wartburg" (147). In der Phase vom Januar 1521 bis
zum Februar 1522 („Froin theory to practice") geht es um
K.s Position in der Wittenberger Bewegung. Bei allem Einsatz
für eine Veränderung der Frömmigkeitsformen ist ein Aufruf
zu ungeordnetem, gewaltsamem Vorgehen bei K. ebensowenig
nachweisbar wie ein Einfluß der Zwickauer Propheten. Die anschließende
Phase umfaßt die Zeit von 1523—1524, von K.s
Weggang nach Orlamünde bis zur Ausweisung aus Sachsen.
S. mustert noch einmal das Quellenmatcrial für diese Zeit
durch und hält Kertzschs Interpretation der einschneidenden
Veränderungen in K.s Theologie und Verhalten als Bekehrung
für „defensible and illuminating" (180). K. bemühte sich in
Orlamünde um „a different pattern of reformation" (189), um
eine Mittelposition zwischen Müntzer und Luther. Für den
Bruch mit Luther waren neben theologischen gleichwertig auch
„strategische" Gründe maßgeblich, nämlich „a different sense
of the proper strategy and Urning for introducing change"
(197). Mit dem letzte n Kap. über K.s Orlamünder Theologie
(1523 bis Frühjahr 1525) erreicht S. den Schwerpunkt seines
Buches (202—303). K.s Theologie hat ihren ..primary focus"
in „the doctrine of regeneration and sanetification", d. h. „Iiis
central theme was the divinely wrought supernatural rebirth
of the egocentrir seif" (212f.), S. exemplifiziert seine These a)
am Sündenverständnis (nicht wollen wie Gott will, ausgesprochenes
Interesse an sich selbst oder den Kreaturen), b) an der
Auffassung von der Gelassenheit als Vorbereitung für die
Wiedergeburt (mortificalio nur als negative Seite der Wiedergeburt
), c) au den Lehren vom neuen Mensehen (nur ethische,
keine ontologische Veränderung in der Kreatur), d) am Glauben
(237: „the total response and stance of the regenerate
man"), e) an der Vermittlung der Gnade (Notwendigkeit des
äußeren Wortes, trotz aller Unzulänglichkeit), f) an der Voraussetzung
für das ewige Leben (253f.: „the importauce of

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 9