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Ausgabe:

1978

Spalte:

660-662

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

La miseria dell' uomo 1978

Rezensent:

Weiß, Konrad

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wachsen. Also ergibt sich, daß das eigentliche Jesuswort in Lukas
16,18 zu finden ist.

2. Die Unzuchlsklausel bei Mt (19,9; 5,32): Nach Shaner
meint die Klausel, daß die Ehe bei fortwährendem und unbe-
reutem Ehebruch der Frau geschieden werden darf. Wahrscheinlich
ist auch voreheliche Unkeuschheil mit eingeschlossen.

3. Das Streitgespräch: Es gipfelt in der Feststellung Markus
10,9 und Matthäus 19,6: „Was Golt zusammengefügt hat, das
soll der Mensch nicht scheiden."

Jesus erklärt, daß Mann und Frau e i n Fleisch werden.
Scheidung und Wiederverheiratung ist also Ehebruch. Jesus
versteht diese Weisung aber nicht als ein Gesetz, sondern betrachtet
sie als ein Prinzip, das in Gottes Liebe begründet ist.
In der ersten Gemeinde geht dann die Entwicklung im Sinn
der Unzuchtsklausel des Matthäus weiter.

Auch Paulus hat das Jesuswort aufgenommen und hat es
seiner Situation angepaßt. (IKor 7,12f.). Er gesteht bekanntlich
eine Ehescheidung dann zu, wenn der ungläubige Teil sich
scheiden will (IKor 7,15f.). Dabei sind Jesus und Paulus von
der eschatoiogisehen Sicht der Dinge her bestimmt. Bei Jesus
ist dies nicht ausdrücklich erwähnt, wohl aber bei Paulus.

Wie sind nun diese Erkenntnisse in die moderne Zeit zu
übersetzen? Diesen Fragen sind Kap. IV und V (S. 67—106)
gewidmet. Hier liegt offenbar die Bedeutung des Buches von
Shaner. Er versucht, die exegetischen Weisungen in unsere Zeit
zu transformieren, wobei die heulige Kirche unterscheiden muß
zwischen der Unmöglichkeit einer Ehescheidung von der gölt-
lichcn Schöpfungsordnung her und andererseits der Möglichkeit
der Ehescheidung von der menschlichen Natur her, die verdorben
ist. Der Vf. ist der Meinung, daß die Urgemeinde das
Jesuswort richtig als lutention und nicht als Gesetz aufgefaßt
hat, so daß die erste Kirche das Wort auf ethische Situationen
ihrer Zeit (von den Paulusbriefen seit 50 n. Chr. bis zum Hermasbrief
150 n. Chr.) anwenden konnte. Spezialprobleme wurden
von dieser Intention her gelöst. Ais Beispiele seien die gemischten
Ehen bei Paulus genannt und die Unzuchlsklausel bei
Matthäus. Auch auf die moderne Situation sei das Jesuswort
anwendbar. Das Jesuswort verlange Geduld, üurchhaltewille
und Vergebungsbereitschaft. In der modernen Kultur und Zivilisation
ist die Ehe durch neue äußerliche Momente gefährdet,
die im NT noch nicht in Sicht waren, z. B. durch Geisteskrankheit
oder durch Alkoholismus, Krankheiten, die durch die fortschreitende
Medizin wohl gebessert, aber nicht geheilt werden
können. In diesem Fall ist wohl nach Jesu Intention die Erhaltung
der Ehe anzustreben; aber Ehescheidung und Wiederverheiratung
als kleineres von zwei Übeln muß bejaht werden.
Die Kirche muß dann in verantwortlicher Weise die Vergebung
predigen, so daß geschiedene Personen auch weiterhin im christlichen
Glauben leben können. So kann ihnen eine neue Ehe
ermöglicht werden, die zentriert ist in der Liebe Jesu, so daß
eine neuerliche Ehescheidung nicht mehr zu erwarten ist.

Soweit die Darlegungen von D. W. Shaner. Sein Anliegen
könnte man fast als ein seelsorgerliches bezeichnen. Er möchte
mit der stillschweigenden Diskriminierung der Geschiedenen in
der Kirche aufräumen. Die Ergebnisse, zu denen er gelangt,
sind eigentlich nicht neu. Aber er versucht entschlossen gegen
das gesetzliche Verständnis des Ehescheidungsverbotes anzugehen
. Dieses wird ja nicht nur in der röm.-kath. Kirche praktiziert
, sondern auch im Verborgenen und unbewußt in vielen
andern Kirchen. Vorurteile sind manchmal schwer auszurotten.

Als Mangel könnte man bemerken, daß D. W. Shaner vielleicht
die Texte des NTs zu sehr durch die Brille seiner theologischen
Gewährsmänner liest. Würde man ganz von den
Texten des NTs her kommen, dann müßte man in Bechnung
stellen, daß am Anfang auch in der Frage der Ehescheidung,
wie neuere Forschungen4 zeigen, der urchristlich asketische Enthusiasmus
steht. Das bedeutet aber, daß das, was uns heutige
Menschen in bezug auf die Ehescheidung bewegt, dem Urchristentum
sehr fern lag und umgekehrt. Im hermeneutischen
Prozeß müßte dieser Graben (nicht nur ein historischer, sondern
auch ein sachlicher!) übersprungen werden, vielleicht auch so,
daß wir den Mut haben müßten, die Intention der neutesta-

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menllichen Texte nicht nur im Sinn einer Weiterführung, sondern
auch im Sinn eines Widerspruchs lebendig zu erhalten.

Basel Heinrich Baltensweiler

1 Zu dieser Gruppe zählt Sbauer folgende Theologen: Gigot, Bonsirven
und Duponl (nlle römisch-katholisch) ; Tyson, Cirlot und Grant (alles
Episkopale); ferner Box und Gore (Anglikaner).

2 Hovey (Baptist) und Chase (Anglikaner).

1 Zu dieser Gruppe rechnet Slinner den Anglikaner Charles, die Episkopalen
Johnson und Easton, den I'resbyterianer Murray und schließlich
Parkes (Plymouth Brethren).

* vgl. K. Niederwimraer, Askese und Mysterium, 1975.

Maddalena, Antonio: LaLeltera ai romani. 1: La miseria deiruomo.
2: II Vangelo dclla Grazia. Bologna: Patron Editore [1974/75].
Je 318 S. gr. 8°.

In einem kurzen Vorwort zu seiner Bömerbrief-Ausiegung
macht Maddalena klar, was seine Arbeit sein will und was sie
nicht ist. In Form einer fortschreitenden Textanalyse, die nur
implizit Annahme oder Ablehnung anderer Auslegungen einbezieht
, will er die Antwort des Paulus auf die Frage nach dem
Sinn der menschlichen Existenz, die er aus dem Bömerbrief
(und anderen ihn erläuternden Paulustexten) herausgehört hat,
darbieten. Der Klappentext vergleicht daher diese Auslegung
in Hinsicht auf den von Anfang bis Ende durchgehaltenen
einen und einheitlichen Auslegungs-Skopus formal mit Barths
Bömerbrief.

Nun redet in diesem Buche aber ein Mann, der als Professor
für Griechische Literatur an der Universität Turin und als Verfasser
einer stattlichen Beihe von Monographien über griechische
Denker, Historiker und Tragiker von Thaies und Heraklit bis
Philo von Alexandrien deren Antworten auf die Sinnfrage ebensowohl
zu würdigen weiß wie die (von Paulus so genannte)
Vorankündigung der christlichen Erlösungsbotschaft durch das
Alte Testament. Durch deren die allein gültige Antwort ahnend
avisierende, auf sie hinzielende, aber sie im Entscheidenden nie
erreichende Gedanken und Aussagen, die er in eindrucksvoller
Auswahl in die Darlegung einflicht, gibt er der paulinischen Erlösungsbotschaft
einen imposanten Belief-Hintergrund. Der griechischen
Lösung, daß Seele und Geist den Sieg über die
Schmerzen und öbel der Welt davonzutragen bestimmt sind,
fügt, nach M., Philo die Botschaft von der Gnadengabe der Inspiration
durch den allmächtigen Gott hinzu, die den ohnmächtigen
Menschen zu diesem Sieg befähigt. Aber erst Paulus vollendet
die Skala der Lösungen durch die Botschaft von der
Kondescendenz Gottes in seinem Sohn Jesus Christus in diese
Zeit und Welt. In ihm, durch die in ihm offenbare Liebe vergibt
er allen und alles — ohne Ausnahme. Indem der Sohn und
alle, die durch ihn und seinen Geist zu Söhnen werden, alle
Schmerzen, alle Übel, alle Unvollkommenheiten, alles Unrecht,
alle Schmach von Zeit, Welt und Menschheit liebend akzeptieren
, werden sie zu Siegern in dem sonst hoffnungslosen Bingen
um den Sinn des Lebens. So, nur so, löst sich für Maddalena
das Problem, das ihn quält, „seitdem er zu denken vermag",
und das „Form und Wesen aller seiner Studien und all seine
Meditationen" bestimmte, das Problem der illusionistischen,
immer de-i' oionierten menschlichen Existenz, eines von inneren
und äußeren Schmerzen geplagten, ephemeren und doch
immer von Süchten umgetriebenen, qualvollen Daseins.

Diese Lösung impliziert die Ausschaltung von Zorn und Vergeltung
des Bösen aus dem Gottesbild in einer Radikalität, die
die folgenden Textproben veranschaulichen mögen:

„Der Zorn Gottes, von dem Paulus spricht, ist der Zorn des
unbekannten Gottes, um den die Juden eiferten, aber dem sie
ihre unreine und unfruchtbare Gerechtigkeit beilegten, eine Gerechtigkeit
, die jetzt verdammt und eines fernen Tages einmal
Erbarmen übt. Barth schreibt (zu 3,21): ,Auch Gottes Zorn ist
Gottes Gerechtigkeit (1,18). Es ist Gottes Gerechtigkeit, wie sie
sich dem Unglauben enthüllt' — nur verhält es sich, genau
genommen, so: Wenn der Zorn Gottes die Gerechtigkeit Gottes

Theologische üteraturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 9