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Ausgabe:

1978

Spalte:

658-660

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Shaner, Donald W.

Titel/Untertitel:

A christian view of divorce 1978

Rezensent:

Baltensweiler, Heinrich

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Radermakers, Jean, S. J.: La boune nouvelle de Jesus selon
Saint Marc. i. Texte 2. Lecture eontinue. Bruxelles: Institut
rJEtudes Theologiques 1974. 79 S. u. 447 S. gr. 8°. bfr. 490,-.

Dieser Kommentar zum Markusevangelium, Zwillingsbruder
eines früher erschienen Malthäuskommentars1, hält sich etwa
in der Mitte zwischen einem wissenschaftlichen und einem allgemeinverständlichen
Werk und brauchte somit den Fachtheologen
nur am Rand zu interessieren. Sein Spezificum, um des-
sentwillen er für den deutschen Leser interessant sein könnte,
bogt auf henneneutischem Gebiet2. Radermakers versucht eine
Kombination zweier Arbeitsmethoden, der historisch-kritischen
uud der strukturalistischen, aus der Erkenntnis heraus, daß sie
beide nötig sind: Die historische Kritik mit ihrem Kausalismus
verkennt notwendigerweise kreative Freiheit jedes Autors (223*)
und muß darum durch die strukturalistische ergänzt werden.
Hier bewegt sich Radermakers im weitern Umkreis von Grei-
mas, Barthes, Derrida, Lacan und andern. Worum geht es bei
seiner strukturalistischen Exegese? Nicht einfach um eine Analyse
der von einem Autor bewußt in den Text hineingebrachten
Struktur, sondern darüber hinaus um den Versuch, eine Anordnung
zu verstehen, die dem klaren Bewußtsein dessen, der
spricht oder schreibt, entgeht (223*). Strukturalistische Exegese
fragt also auch nach etwas Vor-Textlichem; feie „reduit le texte
ä une autre chose, cette autre chose etant le ,non-dit' du discours"
(224*). Die Gefahr solcher Methode erkennt R. sehr genau:
Strukturalistische Exegese ist eine „fuite vers Tobjectif et
Tuniversel", die sich aber als sehr subjektiv erweist, „car lobjet
est necessairement reduit par le projet structural, dont Tinter-
prete reste, quoi qu'il veuille, le sujet" (225*). Es bleibt nur
noch übrig, diese Kritik Radermakers auf seinen eigenen Ansatz
anzuwenden. Die Struktur des Markusevangeliums ist gestaltet,
„par la figurc objeclive de Jesus... celle qui s'impose ä lui et
que TEsprit, dans fEglise, lui donne de proclamer" (38). So hilft
die strukturale Analyse, die Differenz der Zeit zu überspringen,
indem sie nicht nur das historisch Einmalige und Einzigartige
an Jesus, sondern „aussi le caractere divin et universel de Jesus
et fnetuahte de son message pour les hommes de tous les
temps" (37) deutlich macht. Die Feststellung bleibt natürlich,
daß gerade diese objektive, der Geschichte entsteigende und sie
umspannende Seite des strukturalistisch erfaßten objektiven
Jesus in besonderer Weise dem Subjektivismusverdacht erliegt.

Gegenüber diesem hochgespannten Programm wirkt dann
allerdings der Kommentar vergleichsweise nüchtern. Formal
besieht eine Eigenart darin, daß er nicht einzelne Perikopen,
sondern längere Abschnitte analysiert. Die Auslegung gliedert
sich jeweils in vier Abschnitte: 1. einen kurzen Abschnitt „Situation
", 2. die „presentaüon du texte", eine paraphrasierende
Interpretation, 3. einen Abschnitt „Du texte ä Jesus", der eine
sehr knappe Traditionsgeschichte und die Strukturanalyse des
Texte* enthält und 4. einen jeweils auch sehr knappen Abschnitt
„message du texte" mit allen Merkmalen erbaulichen
Stils. Das Interesse konzentriert sich natürlich auf die Strukturanalysen
der einzelnen Teilabschnitte, deren Resultate der Verfasser
auf den Seilen Ü6.106f. 151-154.200f. 230f. 283-286.
344 —347. 398f. 404—406. 430 übersichtlich zusammenstellt. Verbreitet
ist nach Radermakers ein konzentrisches Gitter ABC D
CBA, nach dem zahlreiche größere Abschnitte gegliedert sind.
Ich referiere als Beispiel die Gliederung von 1,21—45 (S. 106f.):
A= 1,21—27 mit Inklusion 22/27, Stichwort „Schweigen";
B= 1,28 Stichwort „ganz Galiläa"; C= 1,29-31 Stichwort:
„Intervention der vier Gefährten"; D= 1,32—34 Stichwort
„Schweigen"; C = 1,35—38 Stichwort „Intervention der vier
Geführten"; B= 1,39 Stichwort „ganz Galiläa"; A= 1,40—45
mit Inklusion 40/45, Stichwort „Schweigen". Man sieht deutlich
die Tendenz zu Willkürlichkciten sowohl in der Perikopcnab-
grrnzung. als auch in der Auswahl der Stichworte, deren Funktion
und Bedeutung im Text oft nicht berücksichtigt werden, ja
oft nicht einmal der Wortlaut. Man liest also diese Strukturanalysen
mit einigem Befremden, aber nicht ohne da und dort
sich über eine wirklich hilfreiche Beobachtung zu freuen. Ander
. Aufbauschcmcn sind: ABC DEF ABC (z. B. 6,30-8,26;

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14,17-52) oder ABC CBA (z. B. 8,27-9,13). Kapitel 13 ist
schwer zu integrieren. Einleuchtender war mir die von R. vorgeschlagene
Gliederung des gesamten Evangeliums (41—45), die
sich zwar an das verbreitete Schema der sechs Hauptteile mit
Prolog und Epilog hält, im einzelnen aber viele gute Beobachtungen
bringt, so etwa Hinweise auf Inklusionen ganzer Texte
(1,21-28/3,1-6 Synagoge; 3,20ff./6,llf. Famibe Jesu; 6,14-16/
8,27—30; 8,34—9,1/10,23—31 meinetwegen und wegen des Evangeliums
; 10.47&.; 12,35ff. Davidssohn; 14,3ff.; 15,428. Grablegung
.

So erfährt man im ganzen immer wieder Belehrung, bleibt
aber beim Eindruck stehen, daß sowohl die methodologischen
als auch die philosophischen Implikationen slrukturalistischer
Exegese noch erheblicher Klärung bedürfen.

Gültiiigen Ulrich Lui

1 J. Radermakers: Au fit de Tevangile Selon saint Matthieu, 2 Bde
Bruxelles 1972.

7 Sein hormeneutisches Programm und einige Ergebnisse stellt R. in
kompakter Form in einem Autsatz dar: Lcvangile de Marc. Structure et
theologie, in: M. Sabbe, Eevangile selon Marc. Tradition et Redaction,
Bibl. Eph. Tbeol. Lov. 34, 1874, 221-239. Die mit • versehenen Seitenangaben
bei Zitaten stammen aus diesem Autsau.

Shaner, Donald W.: A Christian View of Divorcc. According
to the Tcachings of the New Testament. Leiden: Brill 1969
XI, 115 S. gr. 8°. Lw. hfl. 30,-.

Der Verfasser möchte nicht d i e christliche Lehre über die
Ehescheidung darlegen. Im Verlauf der Kirchengcschichte hat
es verschiedene Auslegungen und Meinungen in Bezug auf die
Möglichkeit einer Ehescheidung gegeben. Darum will der Vf.
eine bestimmte Sicht des Problems der Ehescheidung entwickeln
, denn die Ehescheidung spielt in der modernen Gesellschaft
eine große Rolle und die Kirche kann dazu nicht einfach
schweigen.

Der VI. geht das Problem historisch, exegetisch und theologisch
an. Nach einer Einführung gibt er im 2. Kapitel (S.
9—30) einen historischen Uberblick über die Stellungnahmen,
welche verschiedene Theologen im Lauf der Jahre bezogen
hoben. Allerdings läßt er die ganze umfangreiche Tradition beiseite
und beginnt seinen überblick in der Mitte des letzten
Jahrhunderts. Die Stellungnahme der zitierten Theologen hängt
natürlich weitgehend von deren Zugehörigkeit zu den verschiedenen
Denominationen und Konfessionen ab. Dabei ergeben
sich drei Gruppierungen: Eine erste Gruppe bilden die sog.
Konservativen'. Für diese ist die Ehe unauflöslich; es wird bei
Ehebruch höchstens eine Trennung von Tisch und Bett zugestanden
. Eine zweite gemäßigte Gruppe2 gesteht eine Ehescheidung
bei Ehebruch zu, während die dritte, sog. liberale Gruppe3
für die Möglichkeit einer Ehescheidung bei Ehebruch und anderen
Vorkommnissen, z. B. bei Verlassen des einen Ehepartners
durch den andern, eintritt. Das Spektrum der vertretenen
Meinungen reicht von den römisch-katholischen Forschern über
Anglikaner bis zu den Gliedern der offenen Plymouth-Brüder,
Wobei die Auswahl sehr subjektiv ist. Es sind hauptsächlich
angelsächsische Theologen vertreten, deutschsprachige fehlen
gänzlich.

Das dritte Kapitel (S. 31—67) bringt den exegetischen Teil.
Hier werden die Voraussetzungen im Alten Testament und im
Judentum nur kurz gestreift. Der Inhalt dieses Kapitels bildet
die l):irslcllung der verschiedenen Probleme, welche das Streitgespräch
(Mk 10,1IT.; Mt 19,1 IT.) und das Jesuswort über die
Ehescheidung (Mk 10,10ff.; Ml 19,9//Lk 16.18; Mt 5,32 Q) uns
aufgehen. Der Vf. geht dabei so vor, daß er verschiedene Ansichten
neulestamentlicher Forscher referiert und gewisse Schlußfolgerungen
übernimmt. Diese sehen folgendermaßen aus:

1. Das llerrenwort über die Ehescheidung: In Lukas 16,18
(zu Q gehörig) finden wir das eigentliche originale Wort, das
gewisse Einflüsse von Markus 10,12 spiegelt. Der Paralleltext,
Matthäus 5,32 ist eine Zusnmmcnschau von Q mit Markus
10,111. Matthäus 19,9 ist direkt aus Markus 10,11 herausge-

Theologische Literaturzeilung 103. Jahrgang 1978 Nr. 9