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Ausgabe:

1978

Spalte:

43-44

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Strauß, David Friedrich

Titel/Untertitel:

Der Christus des Glaubens und der Jesus der Geschichte 1978

Rezensent:

Kwiran, Manfred

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 1

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Strauß, David Friedrich: Der Christus des Glaubens und der
Jesus der Geschichte. Eine Kritik des Schleiermacher'schen
Lebens Jesu, hrsg. v. H.-J. Geischer. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus G. Mohn [1971]). 106 S. gr. 8° = Texte zur
Kirchen- u. Theologiegeschichte, hrsg. v. G. Ruhbach unter
Mitarb. v. G. A. Benrath, H. Scheible u. K.-V. Selge, 14. Kart.
DM 14,80.

Strauß wurde mit der „mythischen Christologic" seines
„Leben Jesu" (1835) berühmt. Zeitlebens kam er von diesem
Thema nicht los und veröffentlichte 1864 sein „Leben Jesu für
das deutsche Volk". Im selben Jahr erschien zum erstenmal in
der Veröffentlichung von Schlcicrmachers sämtlichen Werken
dessen Vorlesung über das Leben Jesu. Mit dieser Vorlesung
setzt sich Strauß in unserer Studie auseinander.

Die Problematik des historischen Jesus — hier zwischen
Straufj und Schlciennachcr — beschäftigt auch unsere Zeit.
Ernst Käsemann hatte 1953 für den Neubeginn einer intensiven
Besinnung mit dem historischen Jesus den Anstoß gegeben
. Der Wiederabdruck der Strauß'schen Kritik an Schlcier-
machers Christologic kann der heutigen Diskussion nur dienen.

Auch schon vor der Veröffentlichung dieser Schleiermachcr-
schen Vorlesung hatte Strauß sich ständig aufgrund eigener
Notizen und Nachschriften mit dieser Schleiermacherschen
Christologic befaßt. Die Auseinandersetzung stellt Schleiermacher
als großen Meister dar, ohne aber in purer Verehrung
aufzugehen. Gerade indem Strauß zur heftigsten Kritik ausholt
, wird die Größe Schleiermachers offenbar. Für Strauß ist
Schleiermachers Christologic ein letzter Versuch, den Christus
der Kirche in Einklang mit dem damaligen Zeitgeist zu
bringen. Er versucht anzuzeigen, daß der Christus, den
Schleiermacher darstellt, ebensowenig wie der Christus der
Kirche ein wirklicher Mensch ist. Strauß sieht in den Evangelien
einen ganz anderen Christus verkündigt: „Der hauptsächlich
auf Schleiermachcrs Ausführungen sich stützende
Wahn, Jesus könne ein Mensch im vollen Sinne gewesen sein
und doch als Einziger über der ganzen Menschheit stehen, ist
die Kette, welche den Hafen der christlichen Theologie gegen
die offene See der vernünftigen Wissenschaft noch absperrt:
diese Kette zu sprengen, hat auch die gegenwärtige, wie von
jeher alle meine theologischen Schriften zum Zwecke" (S.12).
Da man erst 30 Jahre nach Schleiermachcrs Tod seine Vorlesung
über das Leben Jesu veröffentlichte, sah Strauß seine
Vermutung bestätigt, daß die Schleiermacher-Schülcr es
ursprünglich nicht wagten, diese vorher zu veröffentlichen, da
sie hinsichtlich des Strauß'schen Jesus keine Erwiderung oder
Widerlegung war. Schleiermachcrs Leben Jesu war nach Strauß
noch allzusehr dem kirchlichen Vorurteil verhaftet. Seine
Christologie war supranaturalistisch; seine Kritik und Exegese
war rationalistisch geprägt. „Sein Christus, so viele von den
wunderhaffen Attributen der alten Glaubensichle er ihm auch
abgetan hat, bleibt doch wesentlich ein übermenschliches
Wesen; dagegen ist seine Schrifterklärung, soweit sie das
Wunderhafte in der Schrift angeht, von der Paulus'schcn nur
durch etwas mehr Geist und Feinheit unterschieden; ein Unterschied
, der indes gerade bei Hauptpunkten, wie die Auferstehungsgeschichte
, bis zum Unmerklichen verschwindet"
(S.100). Um an der geschichtlichen Persönlichkeit des übernatürlichen
Christus festhalten zu können, bleiben für Schleiermacher
die Evangelien geschichtliche Quellen. Und trotzdem
wäre der Schlcicrmachcrsche Jesus nicht der der Evangelisten;
er hat eher die modernen Züge, die auf Spinoza und Kant
zurückgehen. Für Strauß muß sein Jahrhundert die letzte Konsequenz
ziehen, d. h., Gott, Welt und Christus kann für ihn
nicht mehr das sein, was sie für die Evangelisten waren. Alles
andere wäre eine Lüge und der Wahrhaftigkeit untreu. Nur
der rein menschliche Jesus verdient für ihn die Verehrung und
Liebe. Die Aufgabe der Theologie sollte die der gründlichen
Erforschung des geschichtlichen Jesus von Nazarcth sein. Hierzu
sollte seine Auseinandersetzung mit der Schleiermacherschen
Christologie den Anstoß geben.

Der Wiederabdruck dieser Strauß'schen Studie reiht eine der
wichtigsten klassischen Schriften des 19. Jahrhunderts in die

Textsammlung ein. Der Untertitel läßt keinen Zweifel an
Strauß'schcr Intention: Eine Kritik des Schleiermacher'schen
Lebens Jesu. Nach einer kurzen Einleitung von Geischer folgt
ein wertvolles Literaturverzeichnis, das nicht nur Bibliographien
zu Strauß und Schleiermacher aufweist, sondern die
bisher wichtigsten Werke zu der Strauß'schen und Schleiermacher
'schen Christologie verzeichnet. Die Rechtschreibung
wurde unserem heutigen Stand vorsichtig angeglichen. Zusätzliche
Anmerkungen ergänzen diesen Wiederabdruck und bereichern
das ohnehin schon klassische Werk.

Würzburg Manfred Kwiran

KIRCHEN- UND
KONFESSIONSKUNDE

Bauch, A., Gläßer, A., u. M. Seybold [Hrsg.]: Zehn Jahre
Vaticanum II. Mit Beiträgen von J. Kardinal Döpfner,
F. Kardinal König, H. Meier, K. Mörsdorf, J. Ratzinger,
J. Kardinal Willebrands. Einführung und Diskussionsberichte
v. M. Seybold. Regensburg: Pustet [1976]. 115 S. 8°. Kart.
DM 9,80.

Der Fachbereich Katholische Theologie der Gesamthochschule
Eichstätt veröffentlicht in diesem Heft die Beiträge
einer öffentlichen Ringvorlesung (H. Meier, J. Ratzinger,
K. Mörsdorf, J. Kard. Willebrands, Fr. Kard. König und J. Kard.
Döpfner). Dankenswerterweise wird auch über die Diskussionen
, die den Vorlesungen folgten, kurz berichtet. Zehn
Jahre nach Abschluß des Konzils werden in diesen Beiträgen
die „Hoffnungen von damals" und „die Wirklichkeit von
heute" in den Blick genommen. Die verschiedenen Beiträge
zeugen davon, daß die vergangene Zeit keine eindeutige
Rezeption der Konzilsbeschlüsse hervorgerufen hat. Durch alle
Darstellungen zieht sich deshalb als ein roter Faden die her-
meneutische Frage im Blick auf die Konzilstexte. Obwohl die
Vorlesungen noch vor dem „Fall Lcfcbvre" gehalten wurden,
zeigt sich doch, daß „die wirkliche Rezeption des Konzils noch
gar nicht begonnen hat" (Ratzinger, S.49). Dieses Urteil mag
überraschen. Richtig daran ist aber die tatsächliche Beobachtung
, daß die Konzilstexte verschiedene Deutungen und entsprechende
Wirkungen gehabt haben. Man muß zu bedenken
geben, daß diese Texte keineswegs theologische Traktate aus
einem systematischen Guß sind. Glücklicherweise enthalten sie
neben den Wiederholungen traditioneller Schulthcologic auch
Neuansätze, und zwar entscheidende. Wenn heute die Theologen
, die in die Zukunft der Kirche blicken, von den Neuansätzen
her argumentieren, dann ist damit noch keineswegs
ein hcrmcncutisch falscher Weg beschritten worden. Die Alternative
, ob die Konzilstcxtc von Gaudium et Spes oder von
Lumen Gentium her interpretiert werden sollten, ist vermutlich
falsch gewählt. Denn auch die Kirchenkonstitution enthält
genügend Neuansätze, die den alten Rahmen sprengen und die
Absicherungen traditioneller Formeln schwierig ertragen. Vermutlich
hat man noch gar nicht die hermeneutische Reichweite
der Verwendung der Muttersprache in der Liturgie und die
damit verbundene Öffnung zur pluralistischen Kultur beobachtet
. Ihr wird heute durch „eine Tendenz zur rationalen, oft
rationalistischen Verbalisierung" entgegengewirkt (H. Meier,
S.21). Wenn der Politiker recht hat damit, „daß sich in der
Pastoralkonstitution, scheinbar unauffällig, die Rezeption dreier
seit dem 18. Jh. im kirchlichen Denken leidenschaftlich umstrittenen
Traditionen vollzieht: der Tradition der Menschen-
und Bürgerrechte; der Tradition des Verfassungsstaates; der
Tradition der modernen Demokratie" (S.31); und wenn weiterhin
der Theologe zugibt, „daß der Text die Rolle eines Gegen-
syllabus spielt" (S.40), weil „eine grundsätzliche Neubestimmung
des Verhältnisses zu der Welt, wie sie sich nach 1789
darstellte", noch ausstand (ebd.), so hat dies für die theolo-